17.11.16 – London Design Festival — read English version

Im Zeichen des Brexit

London wird jedes Jahr im September das Mekka der Design-Begeisterten. Alle pilgern geradezu an die Stadt an der Themse zum Festival, das in sieben Stadtbezirken stattfindet.

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(Photo: Fotolia)

 
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Margo Selby zeigt aufwändige Jacquards in geometrischen Dessins (Photos: Ilona Schulz)

 
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In sieben großen Londoner Stadtbezirken findet das "London Design Festival" statt, in eleganten Showrooms, in alten Fabrikgeländen oder spannenden Outdoor Locations, flankiert von den drei großen Messen – Decorex in Syon Park, 100 % Design in den großen Messehallen an Earls Court und Focus im Chelsea Harbour Design Centre.

Für Schlagzeilen zum Auftakt des Festivals sorgte indessen Nigel Farage. Er, der sich nach dem Brexit-Votum so schnell aus dem Staub gemacht hatte, forderte in dicken schwarzen Lettern in der britischen Tagespresse: "Wir müssen die EU ganz schnell verlassen."

Die britischen Unternehmen sehen dies anders. "Wir waren unglaublich enttäuscht von dem Ausgang des Votums", erklärt Amanda Back, Head of Communication von Designers Guild. "Wir sind ein internationales Unternehmen, wir agieren und denken europäisch. Und wir werden alles tun, damit sich für unsere Kunden nichts ändern wird." Große Betroffenheit auch bei dem deutschen Repräsentanten eines großen britischen Teppich-Anbieters. "Wir waren absolut schockiert über den Ausgang des Votums. Niemand von uns hätte das erwartet. Wir müssen die weitere Entwicklung beobachten und dann beratschlagen, wie wir von unserer Seite reagieren können."

Dass der EU-Austritt allen unter den Nägeln brennt, zeigte auch eine vielbeachtete Podiumsdiskussion auf der Messe Decorex mit Inneneinrichtern und Designern zum Thema "Die Zukunft des britischen Designs nach dem Brexit." Andere Gesprächspartner auf den Messen hoffen, dass es bis zum endgültigen Aus noch länger dauern wird. Hoffentlich "noch zwei, drei Jahre. Bis dahin - Business as usual", heißt es beispielsweise bei der Londoner Niederlassung eines großen deutschen Textilverlags. In diesen allgemeinen Tenor stimmt man auch bei Stark Carpets ein. "Erst mal zwei, drei Jahre warten, was dann geschieht. Abwarten und Tee trinken". Nichts Genaues weiß man nicht. Aber genau das ist das Problem.

Die Wirtschaft bleibt skeptisch

GTAI - German Trade & Invest, Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing, Berlin, meldet, die britische Wirtschaft blicke skeptisch in die Zukunft. "In einer am 18./19.7.2016 veröffentlichten Umfrage des britischen Arbeitgeberverbandes EEF zeigten sich die befragten Firmen hinsichtlich der weiteren Aussichten skeptisch", so GTAI. Und weiter: "Rund 38 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, aufgrund der nach dem Referendum schlechteren Rahmenbedingungen Investitionen innerhalb der nächsten zwölf Monate zurückzuschrauben. Demgegenüber wollen 9 Prozent ihre Investitionen erhöhen. Rund 43 Prozent planen keine Änderungen.

Das derzeit schwache britische Pfund Sterling begünstigt zwar die Exporte britischer Unternehmen. Eine große Sorge stellt allerdings die Inlandsfrage dar. Fast ein Drittel der durch den EEF befragten Unternehmen (29 Prozent) befürchten für die kommenden sechs Monate weniger Aufträge aus dem Inland.

Die Mehrheit der befragten britischen Firmen (53 Prozent) sieht zwar Chancen durch die schwache britische Währung. Gleichzeitig halten aber drei Viertel der Unternehmen (75 Prozent) den volatilen Wechselkurs für ein Risiko. Das britische Pfund Sterling hatte seit dem Referendum unter anderem gegenüber dem Euro und dem US-Dollar stark an Wert verloren. Wenn man auf der Insel weilt, spürt man als Continental-Europäer erst so richtig, wie sehr das Brexit-Votum das Land gespalten hat. Kein Frühstücksfernsehen ohne Brexit-Diskussion. Keine Tageszeitung ohne Brexit-Kommentare.

Mittlerweile hatte sich auch der neue Außenminister Boris Johnson in der britischen Presse zu Wort gemeldet. BoJo, wie ihn die Briten flapsig nennen, meinte, kein Land in Europa würde so viel italienischen Wein trinken, wie die Briten, und "das lassen sich die Italiener doch nicht entgehen". Der ehemalige Tory-Minister Nick Herbert konterte scharf und warnte vor den drei Kabinetts-Ministern Boris Johnson, Liam Fox und David Davis, die mit der Leitung des Brexit beauftragt sind. Sie würden "wie drei blinde Mäuse" durch die Welt stolpern und nur Ungereimtheiten verbreiten, wie der Brexit zu bewerkstelligen sei. Bei Redaktionsschluss dieser Zeitung kündigte die britische Premierministerin Theresa May einen "harten" Brexit an und riskiert damit wohl wieder Ärger mit den Schotten.

Tradition und Moderne

Jenseits der Brexit-Diskussionen zeigen sich die Angebote auf den Messen in einer wahren Fülle an kreativen wie innovativen Stoff-Entwicklungen. Angefangen beim traditionellen britischen Country Style mit subtileren blumigen Dessinierungen. Sanderson beispielsweise zeigt Inspirationen von English Cottage Gardens mit zarten Gräsern und Blüten. Tricia Guild setzt Motive alter Zeichnungen und Kupferstiche um, wie sie Weltreisende, mutige Damen wie Maria Sibylla Merian angefertigt haben. Digital-Drucke werden hierzu verstärkt eingesetzt, denn "die Farben sind damit viel brillanter", sagt Amanda Back. Und: "Strukturen werden immer wichtiger", sagt Tricia Guild. Clarke & Clarke mixt Florales mit Streifen und Geometriks. Das Traditionshaus Mulberry Home bewegt sich zwischen folkloristischen Ikat-inspirierten Streifendessins und orientalisch anmutenden Ornamentiks. Die Kreativen bei Colefax & Fowler und Jane Churchill blicken in die Zukunft und plädieren für einen neuen, modernen britischen Look mit einer luxuriösen Eleganz. The Isle Mill wiederum punktet mit klassischen, maskulinen Wollstoffen, wie Fischgrats, Hahnentritt, Pepitas etc. für Sofas und Sessel. Margo Selby präsentiert aufwändige Jacquard-Dessinierungen in einer modernen, geometrischen Übersetzung.

Blumenmuster finden sich auch auf Teppichen. Alternative Flooring hat die Lizenz von original Liberty-Stoffen kunstvoll übertragen. The Rug Company setzt auf die Namen großer Designer wie Paul Smith, Vivienne Westwood oder Elie Saab, die ihre unvergleichliche Handschrift auf Teppiche übertragen. Und nicht zuletzt spielt die Haptik mit Strukturen jetzt auch bei Teppichen eine wichtige Rolle, mit Relief-artigen Geweben und raffinierten Ausbrennern.

Es lohnt sich also, die Briten zu beobachten. Nicht nur politisch.

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