26.01.15 — read English version

Nicht ob, sondern wie

Das Bündnis für nachhaltige Textilien treibt die Branche um – nicht nur in Deutschland. Der Aktionsplan ist für viele Unternehmen nicht gangbar. Das Bündnis ist dennoch nicht vom Tisch. textile network hat recherchiert und nachgefragt. Was ist der Status quo und vor allem wie geht es weiter?

Das Bündnis für nachhaltige Textilien treibt die Branche um Photo: fotolia

Das Bündnis für nachhaltige Textilien treibt die Branche um Photo: fotolia

 
Gründung der Initiative Bündnis für nachhaltige Textilien Photo: BMZ

Gründung der Initiative Bündnis für nachhaltige Textilien Photo: BMZ

 

Am 16. Oktober 2014 fiel der Startschuss für das Bündnis für nachhaltige Textilien. Seit dem sind rund 60 Gewerkschaften, Verbände, Initiativen, NGOs und Unternehmen dem Textilbündnis beigetreten. Letztere sind in erster Linie Pioniere der Nachhaltigkeits- und Naturtextilszene. Die breite Masse der deutschen Textil- und Bekleidungsunternehmen ist bislang nicht dabei.

Unternehmen wie Tchibo, C&A und Otto, die Corporate Social Responsibility (CSR) schon seit vielen Jahren in ihrer Konzernstrategie verankert haben, brachten sich im Vorfeld intensiv mit ein, sehen sich aber bislang nicht in der Lage, den knapp 50-seitigen Aktionsplan zu unterzeichnen. Die Nachhaltigkeitsexperten der Unternehmen loben den Entstehungsprozess und bewerten die Diskussionen im Vorfeld als konstruktiv. Der Aktionsplan sei jedoch zu schnell finalisiert worden. „Unpräzise“, „naiv“ und „unrealistisch“ lautet häufig die Kritik. „Ein deutscher Alleingang ist keine Lösung“, „der Geltungsbereich zu weit“, „der Anspruch zu hoch, zumindest in dem vorgegebenen Zeitrahmen bis 2020.“ Auch der schnelle Schulterschluss mit den NGOs wird von Seiten der Industrie kritisch beobachtet, die sich gleichzeitig nicht stark genug einbezogen fühlt.

Die Kritik des Handelskonzerns Tchibo in einem Statement zum Textilbündnis im Oktober 2014 lautet konkret: „Für ein Bündnis, das die Interessen von Regierung, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Wirtschaft miteinander verbindet, braucht man zwingend konkrete Aktivitäten- und Zeitpläne. Dazu gehören auch Prioritäten und Stufenpläne sowie eine realistische Bewertung der Machbarkeit und der finanziellen Konsequenzen“. Aus unternehmerischer Sicht sei es unseriös und auch fahrlässig, einer politischen Willenserklärung beizutreten, deren Machbarkeit aufgrund fehlender Präzision in keiner Weise zu beurteilen ist und die in dieser Form willkürlich interpretiert werden könne.

CSR-Experten aus Industrie und Handel zu Folge ist es selbst für sehr engagierte Firmen derzeit nicht realisierbar, existenzsichernde Löhne über die erste Zulieferstufe – Tier 1 genannt – hinaus zu garantieren. Im Aktionsplan ist jedoch die Zahlung der sogenannten Living Wages bis zum Baumwollfeld gefordert. Für viele Firmen ist die Durchdringung der Zulieferkette jedoch immer noch eine Black Box und Zusagen gekoppelt an Zeitpläne zu machen, erscheint für viele nicht machbar.

Zwar sieht das Textilbündnis bislang keine Strafmaßnahmen bei Nichteinhaltung oder auch nur eine Überwachung oder Kontrolle der Einhaltung vor. Dennoch halten es viele Unternehmen für unseriös, eine Richtlinie zu unterzeichnen, die sie von vorne herein mit großer Sicherheit im festgesetzten Zeitrahmen nicht einhalten können. Das träfe auch auf einige im Aktionsplan verbotene Chemikalien zu, für die es bislang noch keinen Alternativen gebe, so die Industrie.

Vor diesen Hintergründen ist es Entwicklungsminister Gerd Müller auch noch nicht gelungen, die großen Industrieverbände GermanFashion und Textil + Mode von einem Beitritt zu überzeugen. „Wir waren von April bis Oktober engagiert an jeder Sitzung beteiligt. Der Aktionsplan beinhaltet jedoch unter anderem so weitreichende Maßnahmen, die für unsere Mitgliedsunternehmen nicht umsetzbar sind. Deshalb sehen wir keine Möglichkeit, dem Bündnis beizutreten. Das gilt für uns genauso wie für den GermanFashion“, bestätigt Dr. Hartmut Spiesecke von Textil + Mode. Was aber nicht heiße, dass ein Beitritt auch in Zukunft grundsätzlich abgelehnt werde. Spiesecke räumt ein: „Die Ziele des Bündnisses sind richtig. Strittig ist hingegen, wer was bis wann umsetzen kann. Auch ein Multi-Stakeholder-Ansatz ist richtig.“ Die Verbände seien offen für ein Aufeinander zugehen. „Jetzt ist das Ministerium am Zug. Wir sind gesprächsbereit,“ so Spiesecke.

Der Handel ist ebenfalls gesprächsbereit. Die Verbände HDE, AVE und BTE gemeinsam mit großen Handelsunternehmen wie den Adler Modemärkten, Aldi Nord, Aldi Süd, C&A, Edeka, Ernsting’s family, Kik, Lidl, Metro Group, Otto Group, Rewe Group und Tchibo sind sogar noch einen Schritt weiter gegangen und haben bereits im Oktober 2014 eine Absichtserklärung unterschrieben und erklären sich bereit, „aktiv und umsetzungsorientiert an der Ausgestaltung eines Prozesses für nachhaltige Textilien mitzuwirken“. In ihrer Absichtserklärung erkennen die Unternehmen und Verbände die im Aktionsplan genannten Hotspots als „relevante Aktionsfelder“ an. Gleichzeitig wird klar gemacht, dass der Plan in seiner jetzigen Fassung noch nicht geeignet sei, Verbesserungen für die in Schwellenländern arbeitenden Menschen in der notwendigen Breite zu erreichen. Es sei unabdingbar, realistische und vor allem umsetzbare Ziele zu formulieren, die nicht nur für einzelne Unternehmen, sondern für die Mehrheit der Textilhandelsunternehmen national und international tragfähig sei.

Seit dem die Absichtserklärung unterzeichnet wurde, setzt man sich nun auf allen Seiten intensiv damit auseinander, welche Projekte in welchem Zeitrahmen in Angriff genommen werden können. „Die Otto Group hat wie viele andere Unternehmen gemeinsam mit den großen Verbänden eine Absichtserklärung abgegeben. Wir sind uns einig, dass die Themen und Ziele des Bündnisses die richtigen sind. Wir sind nun in einem Prozess, uns auf Unternehmensseite abzustimmen, wie mit dem Textilbündnis an geeigneten Aktionsplänen zur breiten Umsetzung dieser Themen gearbeitet werden kann“, sagt Andreas Streubig, Division Manager Corporate Responsibility der Otto Group.

HDE-Geschäftsführer Kai Falk bestätigt: „Wir sind in permanentem Austausch mit den Unternehmen über die nächsten Schritte. Auch mit dem BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und den NGOs sind wir im Dialog. Es gibt auf allen Seiten ein ernsthaftes Bestreben.“ Falk weiter: „Wir brauchen ein Konzept und einen Aktionsplan, der es auch dem deutschen Mittelstand und kleineren Unternehmen – also der breiten Unternehmerschaft und nicht nur den großen Konzernen – möglich macht, den Weg mitzugehen.“ Der Industrieverband Dialog Textil-Bekleidung (DTB) ist dem Textilbündnis bereits beigetreten. Genauso wie der Internationale Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN). Insbesondere der Beitritt des DTB ist bemerkenswert, da in dem Verband konventionelle Industrieunternehmen vereinigt sind.

DTB-Geschäftsführerin Susanne Paß: „Der DTB arbeitet seit 1992 an den Themen Ökologie und Sozialstandards in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Nachhaltigkeit war schon immer Teil unseres Tagesgeschäfts. Da war es nur logisch, dass wir uns bei dem Textilbündnis mit einbringen.“ Nur eine aktive Teilnahme am Bündnis ermögliche die gestaltende Mitarbeit in den diversen Arbeitsgruppen des Bündnisses. Susanne Paß stellt außerdem klar: „Mit der Beitrittserklärung bekundet man lediglich, dass man sich zusammenschließt, um gemeinsam etwas zu entwickeln, und dass man Synergien nutzt und zusammenarbeitet. Das gemeinsame Ziel lautet, innerhalb der Lieferkette Veränderungen zu erreichen. Der Aktionsplan ist nicht in Stein gemeißelt. Das Ministerium hat immer wieder bekräftigt, dass einzelne Punkte diskutierbar und veränderbar sind.“ Dass die Ansprüche des Bündnisses hoch gesetzt wurden, findet sie richtig. „Der Aktionsplan ist visionär und setzt hohe Ziele. Das ist auch richtig so. Was bringt es, als Grundlage vom Status quo auszugehen? Das bringt die Branche für die Ziele der nächsten Jahre nicht weiter voran.“

Die Frage nach dem „Ob“ eines Textilbündnisses für die Wirtschaft stellt sich nicht. Schließlich sind sich alle mehr oder weniger einig, dass ein Bündnis sinnvoll und erstrebenswert ist. Es besteht aber noch Diskussionsbedarf bei der Frage des „Wie“ für den Umsetzungsprozess. Das erkennt auch Bundesminister Gerd Müller.

[Jana Kern]

Was sagt das Bundesministerium?

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