30.06.22 – Special Digitalisierung – Teil 2
Praxisbeispiele aus der Arbeit von Textil vernetzt
Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Textil vernetzt unterstützt KMU beim Ausbau ihrer digitalen Fitness. Wie das aussehen kann, zeigen wir anhand von drei Beispielen aus der Unternehmenspraxis.
Clusterung von Körperdaten für individuelle Produkte und mehr Nachhaltigkeit
Die Träger rutschen, die Cups passen nicht zur Brustform, die Bügel drücken. Eigentlich liegt das nur daran, dass BH-Hersteller von einer Standardgröße ausgehen. Lydia Maurer ist Geschäftsführerin von Bodytech, ein Unternehmen, das seinen Kundinnen individualisierte BHs anbietet. Dazu werden Kundendaten erfasst und auf Wunsch ein ganz persönlicher, gutsitzender BH für die Kundin on-demand produziert.
Die gelernte Modedesignerin Lydia Maurer hat die Chancen der Digitalisierung am Schopf gepackt, um ihr Geschäftsmodell aus der Taufe zu heben. Dafür brachte sie aber schon viel Erfahrung aus der Bademode mit:
„Anders als traditionelle Swimwear-Unternehmen, die meistens keine BH Größen und nur fünf Konfektionsgrößen anbieten, habe ich als kleine, selbstständige Marke 27 BH-Größen und 12 Konfektionsgrößen angeboten – und das Made in Europe, mit nachhaltigen Materialien. Nach ein paar Jahren habe ich gemerkt, dass dieses Geschäftsmodell für mich und auch generell für die Umwelt nicht nachhaltig ist. Aus meiner Erfahrung kam die Idee, Größeninklusion und Nachhaltigkeit durch das Nutzen von präzisen Körpermaßdaten in Kombination mit einer agileren und digital-flexibleren Lieferkette zu erreichen.“
Der Schlüssel zur Produktion individueller Unterwäsche liegt in der Analyse von Körperdaten aus Reihenmessungen und deren Clusterung. Um zukünftig in jeder Körperform einen passenden BH anbieten zu können, müssen Körpermaßdaten gesammelt werden. Anhand dieser Daten wird eine KI dazu trainiert, das am besten passende Modell für die Kundin in einem digitalen Modell-Inventar zu finden und individuell anzupassen. Gemeinsam mit Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrums Textil vernetzt und dem Deutsche Institute für Textil- und Faserforschung DITF in Denkendorf bei Stuttgart wurden Scan- sowie Körperdaten analysiert, um die Schnitte zu optimieren.
Digitale Lösung zur Optimierung der eigenen Prozesskette
Bagjack – handmade in Berlin, heißt es auf der Webseite. Wer Peter Brunsberg reden hört, merkt sofort, dass er es mit einem Berliner Urgestein zu tun hat. Gegründet wurde Bagjack in den 1990er-Jahren. Das ist 25 Jahre her und heute hat sich Bagjack auf die Produktion von hochwertigen Rucksäcken, Taschen und dazugehörigen Accessoires spezialisiert.
Angepasst an die Bedürfnisse der verhältnismäßig kleinen und individuellen Produktion verfügt Bagjack über ein ERP-System, eine Softwarelösung, die dabei hilft, die firmeninternen Arbeitsabläufe und Prozesse besser zu strukturieren und zu automatisieren.
Bagjacks Leitmotiv ist Neugier, gepaart mit dem Willen, immer neue Dinge auszuprobieren. Das Team vom Institut für Textiltechnik der RWTH ITA, einem Partner des Kompetenzzentrums Textil vernetzt, unterstützt Bagjack dabei, die bisher noch manuell ablaufende Erstellung der Stücklisten und die notwendigen Berechnungen der Materialbestände zu digitalisieren. Dazu sollen auch die internen Herstellungsaufträge zu den Zwischenprodukten priorisiert und idealerweise parallel beauftragt werden, damit die Maschinenrüstzeiten reduziert werden. Hier bieten QR-Code-/RFID-basierte Warenanmeldungssysteme Abhilfe. Sie beschleunigen logistische Prozesse und steigern damit die Effizienz.
Greifprozesse mittels Robotik: Auf dem Weg zur branchenübergreifenden Lösung
Die BEAS Technology beschäftigt sich seit ihrer Gründung vor sechs Jahren mit der Optimierung und Automatisierung von Fertigungsprozessen, bislang mit Fokus auf die Automobilzulieferindustrie. Ein großes Potenzial liegt in Industriebereichen mit hohem Handarbeitsanteil; auch bei KMU, die maßgeschneiderte Lösungen anbieten.
Das Be- und Entladen von Maschinen ist dabei ein sehr häufig auftretender Anwendungsfall. Hier gilt es, kosteneffiziente, flexible und leicht adaptierbare Lösungen zu entwickeln. Beas Technology arbeitet deshalb gemeinsam mit den Textil vernetzt-Kolleginnen und -Kollegen vom Sächsischen Textilforschungsinstitut, STFI, daran, einen Roboter zu konzipieren, der die für den Fertigungsprozess gewünschten Teile automatisiert per Greifprozess zuführt.
In einem ersten Schritt haben die Projektpartner untersucht, ob das am Textil vernetzt-Schaufenster in Chemnitz dreidimensionale Kamerasystem geeignet ist, um es für den zu automatisierenden Prozess bei BEAS Technology nutzen zu können. Der Nutzen liegt auf der Hand: Wenn die Automatisierung von solchen variablen Prozessen gelingt, können Roboter diese Prozesse übernehmen und so bei einem Dreischichtbetrieb die monotone Tätigkeit ersetzen. Das macht Produktionssysteme branchenübergreifend in Unternehmen flexibler und wandlungsfähiger.