25.09.23 – Special „Chancen und Risiken der Demografie“ – Teil 3

Auf die Forschung kommt es an!

Wie sich die Textil- und Modeindustrie für den demografischen Wandel fit macht. FKT-Geschäftsführer Diebel: „Genau in einer solchen Situation dürfen staatliche Mittel nicht gekürzt werden, im Gegenteil!“

Texoversum-Gesamtverband.jpg

Am 10. Juli 2023 öffnete das Texoversum in Reutlingen erstmals seine Türen. Mit dem Start des neuen Ausbildungs- und Studienjahres im Herbst geht das Gebäude offiziell in Nutzung für den Nachwuchs der Textil- und Bekleidungsindustrie. © Gesamtverband textil+mode

 

Die Zahlen aus der Bundesagentur für Arbeit (BA) zur Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt in diesem Sommer bringen es an den Tag: Die demografische Entwicklung schlägt voll auf den Ausbildungsmarkt durch. Auf 100 betriebliche Berufsausbildungsstellen kommen nur 77 Bewerber. Auch Textil-Unternehmen lassen sich immer neue Formate einfallen, um für sich und ihr Unternehmen als Ausbildungsbetrieb zu werben. Zum Beispiel die Gebrüder Munzert im oberfränkischen Naila-Marlesreuth. Seit 1925 entstehen auf den Webstühlen der Firma Gebrüder Munzert feinste Stoffe. Waren es zu Zeiten der Gründer Georg und Heinrich Munzert noch Baumwolldamaste, so werden heute in einer der weltweitmodernsten Jacquardwebereien hochwertige Möbelbezugs- und Dekorationsstoffe hergestellt. Michael Schubert, der vor 16 Jahren selbst bei Munzert gelernt hat, ist inzwischen selbst Ausbildungsleiter im Unternehmen. In einem Video geben er und das Team der Auszubildenden einen kurzweiligen Einblick, was junge Leute bei Munzert alles lernen können. Zusammen gestaltet das Azubi-Team das Gemeindehaus in Marlesreuth neu, eine Projektarbeit, die alle zusammenschweißt. In den Interviews zu ihren ganz persönlichen Wünschen fällt auch das Stichwort: Innovation. Die Jugendlichen wollen Teil von Projekten und nachhaltigen Innovationen sein. Auch hier geht Munzert am Produktionsstandort in Oberfranken mit neuen Produktlinien voran und zeigt, was Textil alles kann.

Für Johannes Diebel, der beim Forschungskuratorium Textil, FKT, tagtäglich in die textile Zukunft schaut, sind Innovationen der Stoff, die die Branche auch im Wettbewerb um junge Menschen anziehend machen.

„Die Textilforschung behauptet sich als Problemlöser auf ganz vielen Zukunftsfeldern, die unsere Welt von morgen nachhaltig gestalten wird. Dabei bieten textile Anwendungen noch viele ungeahnte Möglichkeiten, wenn es um den Schutz unserer Ressourcen und des Klimas geht. Einer der zentralen Schlüssel steckt in der Kreislaufwirtschaft, die von Expert:innen zu Recht auch in der Textil- und Modeindustrie als Game Changer gehandelt wird. Damit ist die Textilforschung an vielen Stellen unverzichtbar für eine industrielle Transformation, die wir nur mit den besten Köpfen und besten Ideen stemmen werden,“ so Diebel bei der Vorstellung des jährlichen Textilforschungsberichts.

Die Textilforschung ist dafür in Deutschland mit über einem Dutzend textilen Forschungsinstituten gut aufgestellt: So zeigt auch der Forschungsbericht des FKT, wie groß die textilen Zukunftspotenziale sind. Was heute noch im Labor beim Tüfteln und Prüfen ist, kann schon morgen der nächste Schlüssel für nachhaltige Geschäftsmodelle sein. Karoline Ihling-Fehrle arbeitet mit im Vorstand des FKT. Die Gesellschafterin der Alfred Apelt GmbH, einem Anbieter von textilen Produkten für die Inneneinrichtung im baden-württembergischen Oberkirch, nennt als einen Grund, warum sie gern im FKT-Vorstand aktiv ist: „Das FKT hat die Möglichkeit, die Textilbranche nach außen glänzen zu lassen und für Nachwuchskräfte interessant zu machen. Es ist wichtig zu zeigen, dass Textil viel mehr ist als Bekleidung.“

So staunt auch der Hauptgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft industrielle Forschungsvereinigungen, AiF, Professor Michael Bruno Klein, was in der Textilindustrie alles an innovativer Forschung auf Zukunftsfeldern wie Kreislaufwirtschaft oder Nachhaltigkeit läuft. Beim Beirats- und Gutachtertreffen des FKT in Berlin weist Prof. Klein darauf hin, dass Textil im Bereich der sogenannten Industriellen Gemeinschaftsforschung, IGF, einer der beiden stärksten Einwerbungsbereiche ist. „Da kommt dann häufig die Frage: Ich dachte, wir haben keine Textilproduktion mehr in Deutschland? Und natürlich denken die Menschen da nur an T-Shirt, Hemd und Hose, die bekanntlich zum großen Teil in anderen Erdteilen hergestellt werden. Das zeigt: Wenn man in den Hightech-Bereich geht, müssen wir die Geschichten der zahlreichen technischen Anwendungen kommunizieren. Ich bin ganz begeistert, was das Forschungsnetzwerk Textil hier alles zu bieten hat.“

Die industrielle Gemeinschaftsforschung ist auch für die Textilindustrie eine strategische Mittelstandsförderung, besonders für die Transformation in ein klimaneutrales Zeitalter. Klar ist: Nicht jedes mittelständische Unternehmen kann sich eine eigene Forschungsabteilung leisten. Für Johannes Diebel ist es deshalb wichtig, dass die AiF der Branche als starker Partner erhalten bleibt. So steht das Forschungskuratorium Textil in ständigem Austausch mit der Bundesregierung, wenn es um die Interessen der Unternehmen und der Branche geht. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Austausch mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, BMWK. Das ist in diesen politisch bewegten Zeiten keine einfache Aufgabe, zumal die Förderung des industriellen Mittelstands an vielen Stellen auf dem Prüfstand steht.

Neben der vorwettbewerblichen Forschung treiben bundesweit aber auch Unternehmen und Textilverbände ganz direkt in ihren Regionen die Themen Bildung und Forschung mit hohem Engagement und eigenen Mitteln voran. Jüngstes Beispiel: Das Texoversum, das als neue Anlaufstelle für textile Talente am Campus der Hochschule Reutlingen seine Tore seit Juli geöffnet hat. Künftig werden hier Jugendliche ihre überbetriebliche Ausbildung absolvieren können. Zudem können Studierende der Hochschule Reutlingen sowie Unternehmen und Forschung die 3.000 qm des neu errichteten Gebäudes mit seinen Schulungsräumen, Werkstätten, Laboren und Think-Tank-Flächen nutzen, um die Textil- und Bekleidungsindustrie zu gestalten. Das neue Gebäude glänzt mit einer erstmalig so umgesetzten transparenten Textilfassade aus Glas- und Carbonfasern, made in Baden-Württemberg. Gespendet von Südwesttextil, dem Verband der Südwestdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie, soll das Texoversum ein europaweiter Leuchtturm für textile Ausbildung und Innovation werden. Auch hier am Texoversum lautet die Devise: Auf textiles Wissen und die Forschung kommt es an! Nur so kann sich Textil fit machen für die nächsten Jahrzehnte, in denen sich alle Industriebranchen der Demografie und dem Fachkräftemangel in Deutschland stellen müssen.