14.09.22 – Interview mit Kai Hattendorf — read English version

Messen sind ein Teil der Lösung

Die Coronakrise hat in der Messelandschaft ihre Spuren hinterlassen. Doch Kai Hattendorf, CEO des Weltmesseverbandes UFI in Paris, ist überzeugt, dass die Messebranche weltweit schon in zwei Jahren wieder da sein wird, wo sie vor der Pandemie war. Dies bekräftigt er im Interview mit dem Verband der deutschen Messewirtschaft AUMA.

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Das Credo von Kai Hattendorf, CEO des Weltmesseverbandes UFI, lautet: Das Messegelände von morgen ist hybrid. © UFI

 

AUMA: In Deutschland sind seit diesem Frühjahr die Messehallen wieder geöffnet. Wie ist die Situation weltweit?

Kai Hattendorf: Deutschland ist der letzte der großen Messemärkte in Europa, der wieder geöffnet hat. Spanien, Italien, Frankreich und Großbritannien waren da – mit entsprechendem politischem Rückenwind – deutlich schneller und profitieren davon. Weltweit zieht der Messemarkt an, mit sehr hoher Dynamik in den USA und in Mittel- und Südamerika. Der Nahe und Mittlere Osten, speziell Dubai, hat einige sehr starke Messemarken vorerst neu an sich binden können. Das gilt beispielsweise für Singapur als einem der Vorreiter in Asien. Internationale Veranstalter haben etwa Messen aus Hongkong hierhin verlagert. China ist wegen seiner Lockdowns das größte Fragezeichen in unserer Branche. Zeitweise war das Land einer der wenigen Märkte, in denen Messen stattfanden.

AUMA: Was schätzen Sie, wann die internationale Messewirtschaft das Vor-Corona-Niveau wieder erreichen wird?

Kai Hattendorf: Unsere Berechnungen zeigen, dass wir weltweit im Mittel schon in zwei Jahren wieder da sein werden, wo wir vor der Pandemie waren. Weltweit erwarten wir in diesem Jahr einen Umsatz, der bei etwas über 70 % der Rekordwerte von 2019 liegen dürfte. Nordamerika als großer Binnenmarkt wird bereits auf knapp 80 % kommen, der Asien-Pazifik-Raum noch unter 70 % liegen. Europa sollte dazwischen liegen. Hier müssen wir sehen, wie die verschobenen Messen laufen.

AUMA: Die Messewirtschaft hat weltweit unter Corona gelitten wie kaum eine andere Branche. Können Sie aber auch positive Effekte feststellen?

Kai Hattendorf: Vor der Pandemie fühlte sich die Branche ja häufig unter Rechtfertigungsdruck, den Return on Invest nachweisen zu müssen – gerade im Vergleich zu digitalen Marketingkanälen, die zu jeder Aktivität eine Vielzahl von nicht immer sinnvollen Kennzahlen liefern. Die Pandemie hat aber die Sinn- und die Wertfrage von Geschäftsveranstaltungen wie Messen für die kommenden Jahre und Jahrzehnte geklärt: Für Business brauchst du den direkten, persönlichen Kontakt. Nun ist aber die große Gefahr, dass man sich zurücklehnt und versucht, weiterzumachen wie vor der Pandemie. Das aber wird ins Verderben führen, denn: Die Kunden, die Unternehmen haben sich weiterentwickelt. Die Pandemie war für alle ein Crashkurs in puncto Digitalisierung. Wir konnten alle lernen, was funktioniert, wie wir Veranstaltungen digital bereichern können und wie wir unseren Kunden – über die Messen hinaus – ganzjährig helfen können, Abnehmer für ihre Produkte zu finden.

Die Branchengrößen von 2030 werden die Unternehmen sein, die diese Potenziale nutzen. Das Messegelände von morgen ist hybrid – will sagen, es braucht digital top ausgestattete Messehallen vor Ort und gleichzeitig top entwickelte und betriebene Online-Angebote. Da wird sich das Verständnis von Messe-Infrastruktur deutlich verändern.

AUMA: Welche Herausforderungen sehen Sie für die Messeveranstalter in den kommenden Monaten?

Kai Hattendorf: Weltweit haben wir zwei brennende Herausforderungen: Wir gehen zum einen mit Volldampf in einen Re-Start, aber uns fehlt es an Mitarbeitern, und zwar ebenso bei den Veranstaltern wie bei den Dienstleistern. Da müssen wir durch und gleichzeitig müssen wir neue Talente für unsere Branche gewinnen. Zum anderen sind wir nicht durch mit der Pandemie – siehe China. Wir müssen flexibel bleiben. Und wir brauchen den Rückhalt der Politik, dass Messen nicht wieder verboten werden, wenn die nächste Corona-Variante kommt. Wir haben gezeigt, und zwar weltweit, dass wir Messen sicher durchführen können. Regierungen rund um den Globus haben verstanden, dass Messen ein Teil der Lösung sind, Erholung von Wirtschaft und Gesellschaft nach der Pandemie zu beschleunigen. Ich wünsche mir, dass das nicht nur in den USA, China und Singapur so gesehen und gelebt wird, sondern auch in Deutschland.

AUMA: Welche drei Entwicklungen werden die globale Messewirtschaft in den nächsten fünf Jahren am stärksten verändern?

Kai Hattendorf: Die Klimakrise, die Digitalisierung und die globalpolitische Entwicklung. Wir haben bei der Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow gemeinsam mit der UN die „Net Zero Carbon Events Initiative“ vorgestellt mit dem Ziel, die gesamte Events-Branche klimaneutral bis allerspätestens 2050 umzubauen. Und ich glaube, das können und müssen wir schneller schaffen. Viele deutsche Messeplätze haben sich dem schon angeschlossen – gut so! Die Digitalisierung habe ich hier schon erwähnt. Und geopolitisch werden wir sehen, dass in einer Welt, die in regionalere Wirtschaftsräume zerfällt, auch Messen weniger global und stärker regional sein werden. Ich spitze es mal zu und sage: Statt einer „Weltleitmesse“ wird es „Leitmessemarken“ geben, unter denen weltweit Messen für einzelne Branchen stattfinden.

Quelle: https://www.unserebroschuere.de/AUMA-Trends-2022-2023/WebView/

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