22.08.17 – Ausstellung — read English version
Eine „vulgäre“ Zeitreise durch die Mode
Die Ausstellung „Vulgär? Fashion Redefined“ im Winterpalais Prinz Eugen in Wien lotete in diesem Frühjahr die Grenzen des „guten“ Geschmacks aus.
Konzipiert durch die Modetheoretikerin Judith Clark und den Psychoanalytiker Adam Philipps auf der Basis der Begrifflichkeit des Vulgären und dessen Anwendbarkeit auf die Mode, werden außergewöhnliche Exponate historischer Mode, ikonische Kreationen von Christian Dior, Elsa Schiaparelli, André Courrèges und Modelle von zeitgenössischen Designern wie Gareth Pugh, Walter van Beirendonck, Viktor & Rolf, Martin Margiela u.v.m. innerhalb von zehn Themenkomplexen („Selbstdarstellung“, Extreme Körper“, „Das neue Barock“ etc.) vor dem Hintergrund der opulenten barocken Räumlichkeiten des Palastes in Szene gesetzt.
Wie man die traumhaft schönen, wie für Göttinnen geschaffenen Kleider mit feinsten Drapierungen von Mme Grès und die -spontane Ausrufe von Besuchern („Mamma mia, che bello!“) hervorrufenden- außerirdischen Modeschöpfungen Iris van Herpens mit Vulgarität in Verbindung bringen kann, eröffnet sich dem Besucher erst nach dem Einlassen auf das von den Kuratoren ergründete Themenkomplex.
„Das Vulgäre ist der geheime Kompromiss zwischen gutem und schlechtem Geschmack.“
Geschmack ist wandelbar. Genauso wie die Mode. Beide unterliegen mobiler Definitionen, geprägt jeweils von der Einstellung der jeweiligen Epoche und ihrem kulturellen und gesellschaftlichen Umfeld. Was als „gut“ oder „schlecht“, anmaßend, ordinär bis hin zu abstoßend zu gelten hat, wurde in Laufe der Geschichte stets von der vorherrschenden Klasse, der Kirche oder dem Adel definiert, um sich –gerade mit dessen Gegensatz- von der gewöhnlichen Masse abzuheben und bestimmte Privilegien für sich zu vereinnahmen. Damit ist es eindeutig ein Ausdruck einer festen Hierarchie und Abgrenzung der „höheren“ Elite von der niederen, gewöhnlichen Masse. Somit ist der Begriff des Vulgären ein Symptom des Aufeinanderprallens und Zusammenwirkens von Kulturen und Klassen.
Der Begriff „Vulgär“ wird vom Lateinischen „vulgus“, also das „gemeine Volk“, abgeleitet. Im englischen Sprachraum wurde es ursprünglich für Bezeichnungen dessen gebraucht, was als gemeinhin verbreitet, gewöhnlich, alltäglich war. Erst im Laufe der Zeit wurde er zum Ausdruck der Beleidigung, Anmaßung, eines krankhaften Ehrgeizes. Wann immer sich die jeweilige Elite bedroht fühlte, bezeichnete sie das als vulgär, was nicht den von ihr vorgegebenen Normen guten Geschmacks oder entsprechender Manieren entsprach. Heute setzen wir „vulgär“ mit abstoßend, derb, unkultiviert gleich, bezeichnen damit Verhaltensweisen, die vor dem Hintergrund kultureller Normen als verächtlich oder tabu gelten, wie z.B. grobe Umgangsformen, rüpelhaftes benehmen oder das aufdringliche Zurschaustellen sexueller Reize.
Unangefochtene zeitlose Schönheitsideale und Sprunghaftigkeit des (Mode-) Geschmacks
Während die zeitlose klassische Kleidung, inspiriert durch die Kultur der Antike und übersetzt in ätherischen Drapé-Kleidern von Mme Grès und zeitgenössischen Designer-Interpretationen nicht dem Wandel eines Modediktats unterliegen und einem nicht anzuzweifelnden, ewig gültigen Schönheitsideal folgen, sieht es mit den Mitte des 18.Jh. am englischen Hof getragenen Mantua-Kleidern mit ausladenden Röcken anders aus: Was wir heute als zu extrem empfinden (und somit in die Nähe des „Vulgären“ rücken), diente den Repräsentationszwecken der in Luxus schwelgenden damaligen Wohlstandsgesellschaft, die ihren „guten Geschmack“ in neue Extreme weiterentwickeln musste, um sich weiterhin von der breiten Masse abzuheben, die aufgrund des technischen Fortschritts und der fortschreitenden Kolonialisierung ihnen den erreichten Wohlstand und Luxus streitig machen konnte.
Extreme Körper, entblößte Körper und die Frage nach dem Maß
Wie viel nackte Haut kann man zeigen, ohne als vulgär zu gelten? Vulgarität liegt im Urteil des Betrachters. Die Macht der Mode spielt mit der Selbstinszenierung und Manipulation. Der Körper wird sowohl durch die Kleidung, als auch durch deren Abwesenheit vulgarisiert. Ein Zuviel (zu großer Maßstab der Form, zu aufwändige Verarbeitung, zu teure Materialien, zu pompöse historische Zitate) verhüllt zwar den Körper, zieht aber durch die Extremen die Aufmerksamkeit auf ihn. Genauso verhält es sich mit einem „Zuwenig“ an Kleidung. Auch hier spricht die Mode ein Machtwort: während die für Abendkleidung eingesetzten Dessous-Stoffe von Marc Jacobs für Louis Vuitton keinesfalls anstoßend wirken und Materialien wie Spitze eher die Struktur eines Kleides betonen als dass die Transparenz mit Nacktheit gleichgesetzt wird, so gelten Modeobjekte wie Rudi Gernreichs Monokini (Badeanzug ohne Oberteil), der Minirock der 60er Jahre und Vivienne Westwoods und Malcolm McLarens Punk-Kollektion mit Prints entblößter Brüste eindeutig als Symbole der Provokation, Rebellion und einer sexuellen Revolution. Sind sie deshalb gewagt – oder vulgär? Und war das –beides- nicht auch der „Vorstecker“, das brettartige Mieder, das mit den Manteaus des 18.Jh.getragen wurde und sowohl für die berühmte „Wespentaille“, als auch für die Zurschaustellung der Brüste durch deren Plattdrücken und dem somit erzielten Wölbung über dem platten Schild sorgte?
Interessant in diesem Zusammenhang ist der Entschluss der Ausstellungsmacher, auch dem Gegenpol der Vulgarität – dem Puritanismus, ihre Aufmerksamkeit zu widmen: Während zu den Kennzeichen von Vulgarität ein Mehr, die Übertreibung, die Überwindung von Scham, der Genuss, der Pomp und Kitsch zählen, so gilt der weiße Kragen im 17.Jh., in der Ausstellung gezeigt anhand erlesenster Beispiele höchster Handwerkskunst und Detailreichtums, als Symbol der Reinheit und Askese.
Volkskunst und populäre Kultur
Den Designern gilt die Kunst und das Handwerk des „gemeinen“ Volks von jeher nicht als abstoßend und niedrig, sondern als regelrechte Quelle der Inspiration, wie z.B. im Falle von Christian Lacroix, der in seinen Kreationen oft die Volkstracht seiner südfranzösischen Heimatstadt Arles zitiert bzw. neu interpretiert. Heute legen Designer immer höheren Wert auf das Beleben alter Handwerkstechniken und lokaler Stile, einerseits aus Bewunderung für deren Formenvielfalt, andererseits, um ein Verlorengehen wertvoller traditioneller Fertigkeiten zu verhindern.
Nach dem Einzug der populären Kultur in die „hohe“ Kunst durch die Pop-Art hat man die Alltagskultur zu schätzen gelernt. So gilt auch das, was „durch zu viele Hände geht“, also das massenhaft Hergestellte, nicht mehr als vulgär. Sogar die Haute Couture beschäftigt sich mit Wegwerfprodukten und Materialien und erschafft daraus begehrenswerte Objekte. Die Luxusbranche nimmt ebenfalls Anleihen bei der Unterhaltungskultur: Disneys Bambi erscheint als übergroßer Print bei Givenchy, Moschino spielt mit viel Witz mit populären Slogans, und Jeremy Scott liefert humorvolle (Kleider-) Statements zu Themen wie Fast Food und Problemen wie die Modemarken-Piraterie. „Gewöhnlicher“ Denim gilt auch nicht mehr „nur“ als der Stoff für Arbeitskleidung: Nicolas Ghesquière verleiht ihm Glitzer für Louis Vuitton, und Miu Miu übersetzt in Jeansstoff ikonische Schnitte der Jahrhundertwende bis zur kultivierten Silhouette der 50er Jahre – also keine für Jeans typische Jugend- oder Arbeitskleidung.
Das Gemeine kann also auch vornehm sein – dank der Mode. Ihr bleibt es auch, die Frage zu beantworten:
„Wenn das Streben nach Exzess zur Norm wird – was ist dann vulgär?“
von Neli Mitewa