21.01.16 — read English version

Covestro: Und dann kam PU

Bis Anfang der 1940er Jahre war die Mode- und Schuhindustrie bei der Fertigung hochwertiger Produkte auf Leder angewiesen. Die Verfügbarkeit war jedoch begrenzt, die Qualität abhängig von den Lebensumständen der Tiere. Und dann kam Polyurethan als Beschichtungsmaterial von Textilien in Mode.

Als Lederimitat werden Polyurethan-beschichtete Textilien vielseitig eingesetzt Photo: SAK

Als Lederimitat werden Polyurethan-beschichtete Textilien vielseitig eingesetzt Photo: SAK

 
Kennt sich mit PU-Beschichtungsprozessen aus: Rolf Irnich, Director Technical Development Global Textile bei Covestro Photo: SAK

Kennt sich mit PU-Beschichtungsprozessen aus: Rolf Irnich, Director Technical Development Global Textile bei Covestro Photo: SAK

 
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Polyurethan-Beschichtungen (PU) ermöglichten nämlich nicht nur die die Herstellung synthetischer Leder. Sie hatten außerdem weitere positive Eigenschaften, die eine breitere Anwendung gestatteten. So wurden und werden PU-beschichtete Textilien dank ihrer wasserabweisenden und wasserdampfdurchlässigen Funktion in der Mode für Outdoor-Bekleidung, Sportschuhe oder Transfers im T-Shirt-Druck genutzt. Sie finden aber auch Eingang in Verdunklungsstoffen, Planen oder anderen technischen Textilien.

Der wichtigste Abnehmer synthetischer Leder sind nach wie vor die Fashion- und Schuhindustrie. Beide profitieren neben der Funktionalität auch von der unbegrenzten Gestaltungsvielfalt, die PU-beschichtete Stoffe bieten. Oberflächenstruktur, Elastizität, Griff und Warenfall, Farben und optische Spezialeffekte lassen sich aufgrund der Fertigungsverfahren zeitnah umsetzen und schaffen damit die Voraussetzung für die in der Modebranche üblichen, schnellen Kollektionswechsel. Diese hohe Flexibilität spiegelt sich im weltweiten Verbrauch von PU-beschichteten Textilien wider: Jährlich werden acht Milliarden Schuhpaare (davon eine Milliarde Paar Sportschuhe), zwei Milliarden Taschen sowie eine Milliarde Outdoor-Jacken und modische Oberbekleidung aus PU-beschichteten Stoffen produziert.

Bisher mussten die Hersteller und Verarbeiter allerdings mit einen Schönheitsfehler leben: Zur Produktion einer PU-Beschichtung wird das Lösungsmittel Dimethylformamid (DMF) eingesetzt, welches unter der Chemikalienverordnung REACH als hoch bedenkliche Substanz (substances of high concern) eingestuft ist. Dem Nachhaltigkeitsanspruch der Outdoor-Branche und verschiedenen führenden Modemarken konnte das bisher angewendete Herstellungsverfahren also keinesfalls gerecht werden. Covestro, ehemals Bayer MaterialScience mit Hauptsitz in Leverkusen und Erfinder der Polyurethan-Chemie, hat diese ökologische Lücke im Jahr 2014 mit der INSQIN-Technologie geschlossen. Das Unternehmen hat eine wasserbasierte PU-Beschichtung entwickelt, die bei gleichen Eigenschaftsprofilen einen vollständig lösungsmittelfreien Fertigungsprozess erlauben. Der Vertrieb dieser neuen Technologie erfolgt über Covestro Shanghai, wo das Segment „Textilbeschichtung“ sein Entwicklungszentrum und das globale Leitungsteam hat.

Die wasserbasierten PU-Beschichtungen sind sowohl im Transfer- bzw. Umkehrbeschichtungsverfahren als auch im Direktbeschichtungsverfahren anwendbar. Das lösungsmittelfreie Transferverfahren beruht auf der Herstellung eines Beschichtungsfilms, der anschließend mit dem Textil verklebt wird. Im ersten Schritt wird eine kompakte Polyurethanmasse (skin layer) auf ein spezielles Papier aufgetragen, das dem Material später seine Oberflächenstruktur – beispielsweise die von Rindsleder – verleiht. Nach dem Trocknen wird auf diesen Film eine zweite, voluminösere PU-[RI] Schaumbeschichtung aufgetragen (foam oder intermediate layer). Auch diese wird getrocknet und abschließend mit einem Klebstoff versehen, der die Verbindung mit dem Textil herstellt. Der Klebstoff kann im vorgetrockneten Zustand durch Wärme aktiviert werden und dann mit dem Stoff verbunden werden. Alternativ kann der Kleber, der als Verbindung zwischen PU-Beschichtung und Textil dient, auch nass verwendet werden, weshalb man in diesen Fällen von Nasslaminierung spricht.

Um die beiden „Partner“ zu verkleben, wird das Textil dem auf dem Papierträger befindlichen PU-Film zugeführt, angepresst und getrocknet. Das Trägerpapier wird anschließend abgezogen und gibt die gewünschte Oberfläche frei. Angewendet wird das Transferverfahren nach Auskunft überwiegend für die Herstellung von PU-Kunstleder für Bekleidung oder Schuhobermaterial, berichtet Rolf Irnich, Director Technical Development Global Textile bei Covestro: „Man wird den Umkehrprozess immer dann wählen, wenn entweder das Substrat keine Direktbeschichtung zulässt (elastische Ware, Vlies, Gewirke) und/oder über das Trennpapier eine bestimmte Oberflächenstruktur (Ledernarbe, Textilcharakter, Hochglanz) oder ein besonderer Effekt (Zweifarben-Effekt, Hologramm Effekt) erzielt werden soll. Die Nasslamination wird man für das Schuhobermaterial bevorzugen, da es eine bessere Haftung liefert, im Griff jedoch etwas steifer ausfällt als bei der Trockenlaminierung.

Für Bekleidungsware sind die Anforderungen an die Haftung meist geringer, dafür steht hier aber der weiche Griff im Vordergrund. Darum wird man sich bei der Herstellung von PU-Kunstleder für Bekleidung für die Trockenlamination entscheiden.“

Im Gegensatz zum Umkehrverfahren nimmt das Direktbeschichtungsverfahren keine Umwege. Die PU-Beschichtungsmasse wird direkt auf das Textil appliziert und abschließend getrocknet. „Dieses Verfahren hat Vorteile bei den Herstellungskosten, da der Haftstrich und das Trennpapier eingespart werden. Es wird klassisch für das Applizieren von funktionellen Beschichtungen (wasserdicht, winddicht, atmungsaktiv) verwendet“, erklärt Irnich. „So beschichtete Gewebe gehen in den Bereich Outdoor und Arbeitsschutzkleidung. Das Direktbeschichtungsverfahren wurde auch für die Herstellung von PU-Kunstleder für Bekleidung, Gürtel und Handschuhen weiterentwickelt. Der wässrige PU-Schaum wird dabei direkt auf das Gewebe aufgebracht, nach dem Trocknen mit einem Deckstrich versehen und nach finalem Trocknen geprägt“, berichtet Irnich.

Das Produktkonzept wasserbasierter Polyurethanbeschichtungen ist aber nicht die einzige Neuheit von Covestro. Die neue Produktgruppe wird zusätzlich von einem besonderen Marketing-Konzept begleitet, dem freiwilligen INSQIN Partner Manufacturer Programm. Es hat zum Ziel, die lösungsmittelfrei PU-beschichteten Textilien vom Hersteller bis zum Verarbeiter als starke Marke zu etablieren und dadurch verantwortungsbewusste Produktionsbetriebe und Brands mit hohem Nachhaltigkeitsanspruch zusammenzuführen. Voraussetzung für die Teilnahme am INSQIN Partner Manufacturer Programm ist eine vorausgehende Auditierung der Beschichtungsbetriebe durch Bureau Veritas. Das von Covestro festgelegte, unabhängige Institut überprüft im jährlichen Rhythmus, ob die Partner den zum Partner Programm gehörenden Katalog nachhaltiger Kriterien erfüllen.

[ www.covestro.com]

[Sabine Anton-Katzenbach]

In der kommenden Ausgabe 3-4/2016: Kunshan Xiefu New Material – Beschichtungsunternehmen aus der Region Kunshan und führender Exporteur im Bereich Kunstleder