23.06.21 – Sommer-Interview mit Wolfgang Lemb

„Die Wertschöpfungstiefe in Deutschland ist zu gering“

Unser Exklusivinterview mit Wolfgang Lemb zum aktuellen Branchenreport über den Textilmaschinenbau in Deutschland aus Arbeitnehmersicht.

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Wolfgang Lemb ist seit November 2013 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall. © IG Metall

 
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Wolfgang Lemb ist als geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall unter anderem zuständig für den Maschinen- und Anlagenbau. © IG Metall

 

Der Report Textilmaschinenbau in Deutschland untersucht Struktur und Entwicklung der Branche, analysiert Trends sowie künftige Herausforderungen und richtet Forderungen an die Politik.

  • textile network: Herr Lemb, Sie haben mehrfach betont, dass die Wertschöpfungskette zur Produktion kritischer Güter in Deutschland und Europa gesichert werden muss. Braucht der Textilmaschinenbau aber nicht auch weitere Absatzmärkte, um in Deutschland / Europa auch wirtschaftlich agieren zu können?

Wolfgang Lemb: Der Textilmaschinenbau braucht selbstverständlich auch Absatzmärkte außerhalb Europas. Das hat aber keinen Einfluss darauf, ob der Verkauf von Maschinen innerhalb Europas wirtschaftlich ist. So haben einige Textilmaschinenbauer gezeigt, dass sie flexibel auf eine veränderte Nachfrage reagieren können und sind in die Maskenproduktion eingestiegen. Wir fordern, dass die industrielle Wertschöpfung genutzt wird, um Schutzbekleidung in Deutschland und Europa herzustellen. Derzeit wird beispielsweise weiterhin die Mehrzahl der Masken aus China importiert. Das gilt es, zu ändern.

  • textile network: China und Indien sind auch beim Textilmaschinenbau weiter auf dem Vormarsch. Bislang wichtige Absatzmärkte wie die USA und Türkei schrumpfen. Das sind schwierige Voraussetzungen, um optimistisch in die Zukunft zu schauen. Wie kann sich die heimische Industrie hier dennoch behaupten? Was müsste die Politik dafür tun?

Wolfgang Lemb: Der Textilmaschinenbau ist bereits seit vielen Jahren so aufgestellt, dass die hohe Exportquote mit Standorten in den Zielländern und einer konstanten Beschäftigung in Deutschland bewältigt wird. Wir wissen, dass Verlagerungen oft mit Qualitätseinbußen und Produktionsausfällen einhergehen, Einsparpotentiale bei Lohnkosten dagegen begrenzt sind. Darüber hinaus liegt in Deutschland Wertschöpfungspotential brach, weil die Wertschöpfungstiefe gering ist. Das muss endlich bei den Unternehmen ankommen. Politik kann hier Anreize setzen, indem sie heimische Wertschöpfung und Investitionen fördert.

  • textile network: Das Interesse chinesischer Investoren am deutschen/europäischen Markt ist nach wie vor groß. Sollten Gegenmaßnahmen ergriffen werden?

Wolfgang Lemb: Auf jeden Fall gilt es, diese Investitionen stärker zu hinterfragen. Das Geschäftsmodell chinesischer Investoren ist nicht zwingend darauf ausgerichtet, kurzfristig wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen, sondern dahinter stehen oftmals Interessen und Subventionen des Staates. Aus Erfahrung wissen wir, dass Übernahmen häufig mit schleichenden Verlagerungen und Knowhow-Transfer einhergehen. Wir befürworten, dass mit der Novellierung der Außenwirtschaftsverordnung und der neuen EU-Industriestrategie entscheidende Schritte getan wurden, um relevante Unternehmen für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu schützen und staatliche subventionierte Übernahmen zu untersagen.

  • textile network: Blick auf den Fachkräftemangel. Hier agiert der Gesamtverband schon seit längerem mit der Initiative „Go textile!“. Warum reicht das nicht aus?

Wolfgang Lemb: Im Textilmaschinenbau gibt es keine vergleichbare Initiative. Wir stellen fest, dass solche Initiativen häufig nur Lippenbekenntnisse sind. So ruft der Bundesverband der Deutschen Industrie zu mehr Ausbildung auf, doch in der Praxis nehmen die Ausbildungsplätze weiterhin ab. Mit Selbstverpflichtungen kommen wir nicht mehr weiter. Wir brauchen ein Umdenken in den Betrieben, auch Schülerinnen und Schülern mit weniger guten Abschlüssen eine Chance zu geben. Zudem ist die Politik gefragt. Wir brauchen verbindliche Vorgaben für Ausbildungsplätze.

  • textile network: Die Verdienstmöglichkeiten im Textilmaschinenbau sind geringer als beim sonstigen Maschinenbau. Warum?

Wolfgang Lemb: Für weniger als 40 Prozent der Betriebe des Textilmaschinenbaus gilt der Flächentarifvertrag. Hier ist im Vergleich zum sonstigen Maschinenbau deutlich Luft nach oben. Nur mit Tarifvertrag sichern wir langfristig faire und gute bezahlte Arbeitsplätze. So würden auch die Verdienstmöglichkeiten im Textilmaschinenbau erhöht und gleichzeitig die Attraktivität der Branche angesichts der Fachkräftesituation gesteigert.

  • textile network: Im Branchenreport beschreiben Sie die Sorgen der Arbeitnehmer vor Arbeitsplatzverlusten durch Standortverlagerung insbesondere durch zu hohe Umweltstandards in Deutschland. Sollten die Umweltstandards im Umkehrschluss also wieder gesenkt werden?

Wolfgang Lemb: Umweltstandards können ein Grund für Verlagerungen sein, sind aber sicher nicht der zentrale Faktor. Angesicht der Erderwärmung wäre ein Abrücken von Umweltstandards das völlig falsche Signal. Es gilt eher noch, nachzubessern. Zentral ist, dass nicht nur wir in Europa vorangehen, sondern die anderen Regionen der Welt mitziehen. So verhindern wir Wettbewerbsverzerrungen. Der EU-CO2-Grenzausgleichmechanismus ist ein guter Weg, um globale Standards zu erreichen und zugleich heimische Produktion zu schützen. Allerdings muss er zweckgebunden in die Gestaltung der Transformation fließen. Darüber hinaus muss Politik vor allem kleine und mittelständische Betriebe finanziell unterstützen, ihre Produktion ressourcenschonend umzustellen.

Herr Lemb, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen für textile network stellte Iris Schlomski.

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