18.12.17 – Internationale Fasertagung Dornbirn — read English version

Eine nachdenkliche Chemiefaserindustrie

Chemiefaserindustrie versucht sich zwischen Rechtfertigungen und Vorwärtsstrategien nachhaltig aufzustellen, mit Hilfe von Innovationen und Optimierungen.

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In Dornbirn gab es Neues rund um Fasern, Textilien und Nonwovens für die Sport- und Freitzeitbekleidung © MFC

 
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Mit über 700 internationalen Teilnehmern aus 30 Ländern bestätigt die Fasertagung einmal mehr ihrer Bedeutung © MFC

 

Zur jährlichen Internationalen Fasertagung traf man auf eine Chemiefaserindustrie, die sich in punkto Nachhaltigkeit zwischen Rechtfertigungen und Vorwärtsstrategien zukunftsfähig aufzustellen versucht. Produktinnovationen und Prozessoptimierungen helfen dabei.

 

 Klimakatastrophen, Menschenrechte und Weltfrieden, das „Trilemma der modernen Welt“, wie es Franz Josef Radermacher von der Universität Ulm, Institut für Datenbanken und künstliche Intelligenz, nennt, fordern ein Umdenken. Radermacher, ein Streiter für eine gerechtere Globalisierung, war einer von rund 100 Rednern auf der Internationalen Fasertagung im österreichischen Dornbirn (13. – 15.09.2017).

Für ihn ist die Nachhaltigkeit die einzige Lösung, um einer wachsenden Weltbevölkerung (neun Milliarden Menschen lt. OECD-Studien bis 2050) ein auskömmliches Leben zu sichern. Auch die Faserindustrie, die 2016 zu 75% Chemiefasern, zu 24% Baumwolle und ein Prozent Wolle (CIRFS) produzierte, muss sich dieser Verantwortung stellen – und tut es auch. Doch nicht zuletzt in Dornbirn wurde deutlich, dass speziell die Chemiefaserindustrie gefordert ist, nachhaltig nach vorne zu denken, sich aber gleichzeitig weiterhin in der Öffentlichkeit gegen „Bio“ und „Natur“ verteidigen zu müssen.

Wilhelm Rauch, Geschäftsführer beim IVC (Industrievereinigung Chemiefasern), Frankfurt am Main (D) stellte daher in seiner Rede die Zahlen zur Chemiefaserproduktion bei Wasser-, Energie- und Flächenbedarf denen der Herstellung von Naturfasern gegenüber und verwies zudem auf die Recyclingmöglichkeiten bei Cellulose- und Synthetikfasern. Sein Fazit: „Eine schnelle Beurteilung nach dem Motto „Natur ist besser als Chemie" ist (jedoch) nicht gerechtfertigt, denn in der Gesamt-Ökobilanz verhält sich die Chemiefaser günstiger als Baumwolle.“

Plastik in den Meeren

 Mit dem Plastikabfall in den Weltmeeren hat die gesamte Chemieindustrie ein weiteres brisantes Problem. Experten der Chemiefaserindustrie fordern weitere Studien, um gesicherte Erkenntnisse darüber zu erlangen, ob von Textilien wie Polarfleecen (aus texturierten Mikrofasern) oder Chemiestapelfaser-Produkten (Low-Pilling-Typen) und deren Faserverlust z.B. bei der Wäsche eine Schädigung für Mensch und Tier ausgehen. Noch gibt es dafür keine Anhaltspunkte. Produktentwicklungen wie die toilettengängigen Feuchttücher aus der Kelheimer Viskose Spezialfaser Violoft, die sich besonders schnell auflöst, sind richtungsweisend. Sie wurde bereits mit dem „OK biodegradable MARINE“-Zertifikat“ der belgischen Zertifizierungsorganisation Vinçotte ausgezeichnet.

Circular Economy

 Auch Kreislaufsysteme gelten als zukunftsweisend. Auf EU-Ebene gibt es bereits die „Circular-Economy-Initiative“. In Dornbirn trafen sich vor Kongressbeginn Vertreter von Industrie und Markenunternehmen bzw. Handel zu dem Workshop „Circular Economy Dornbirn“, um über den Status Quo zu diskutieren und Handlungsfelder zu definieren. Vorbildfunktion in der Chemiefaserindustrie haben Konzerne wie Lenzing aus Österreich mit der Lyocellproduktion und der recycelten Cellulosefaser „Refibra“ aus 80% Holzcellulose und 20% Baumwollresten.

Auch Hanf könnte als jährlich nachwachsende Pflanze Zellmaterial für den Lyocellprozess liefern, besagen jüngste Forschungsergebnisse aus Deutschland. Andere Institute gehen Themen wie dem „Textilrecycling mit Enzymen“ nach (Universität für Bodenkultur Wien (A) und das Institut für Umweltbiotechnologie, Tulln (A)). Auch bei den Biopolymeren geht es weiter. An „Nanofasern aus Biopolymeren – ‚Green Electrospinning‘ von funktionellen Vliesen“ forscht die Fachhochschule Bielefeld, während die Avalon Industries AG, Zug (CH), den zuckerbasierten 5-HMF- Polymeren u.a. für formaldehydfreie Verpackungen und Composites nachgeht.

Medizin und Schutz

 Für medizinspezifische Anwendungen wurden Fadenkonstruktionen zur Entwicklung von Biosensorik für chronische Wunden (TU Dresden (D), ITM Dresden (D)) vorgestellt, aber auch textilbasierte Implantate oder Nanokapseln zur Entwicklung von Funktionstextilien im Gesundheitswesen. Auf neue Verfahren zur Prüfung von Schweißerschutzbekleidung auf deren Schutzwirkung gegenüber UV-Strahlung verwies das Hohenstein Institut für Textilinnovation, Bönningheim (D). Dagegen könnten energieaufnehmende Fasern den Aufprallschutz optimieren, während sich elektroaktive Polymere als Fasern oder Garne als Kondensatoren und piezoelektrische Bauelemente anbieten. Für die Prozesstechnologie stellte Tory Industry Inc., Shizuoka (JPN), die Schmelzspinntechnologie zur Herstellung von Nanofasern vor.

Mit dem deutschen Paul-Schlack-Chemiefaser-Preis wurde die Arbeit von Dr.-Ing. Gisa Wortberg und Dr.-Ing. Andreas De Palmenaer ausgezeichnet, in der es um die Weiterentwicklung Polyethylen-basierter Precursors zur thermochemischer Stabilität bei der Carbonfaserherstellung und die Determination von Prozessparametern zur kontinuierlichen Herstellung derselben ging.

 

Der 57. Dornbirn Congress, findet vom 12. – 14. September 2018 mit folgenden Schwerpunktthemen statt:

Faserinnovationen, Transport und Mobilität, Recycling, Energiespeicherung, Oberflächenmodifikation und Additive, Additiv-Technologien

Regine Hövelmann

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