28.08.19 – Leder — read English version

Come back der Naturgerbungen

Die hohe Kunst des Gerbens ist fast so alt wie die Geschichte der Menschheit und ist somit eines der ältesten Handwerke.

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Blick in eine Gerberei: Hier wird Rhabarberleder produziert. © deepmello

 
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Nachwachsende Früchte von Bäumen aus der Gerbextrakte hergestellt werden. © ecopell

 

Die Gerbstoffe wurden ausschließlich aus speziellen Pflanzen gewonnen. Weltweit ständig steigender Lederbedarf, Industrialisierung, Forschung und Entwicklung revolutionierten die Gerbung, d. h. die Pflanzengerbungen wurden bis auf ein Minimum abgelöst und durch die schnelle, preisgünstigere Chromgerbung ersetzt.

Back to the roots

Seit zehn Jahren ist ein Trend „back to the roots“, also hin zu den Naturgerbungen zu beobachten. Als die Menschen das Bedürfnis entwickelten, sich kleiden zu wollen, wurden Tierfelle als Schutz vor Kälte und Nässe genutzt, was Funde und Wandmalereien beweisen. Über viele Jahrtausende haben gegerbte Häute die Entwicklung der menschlichen Zivilisation mitgetragen. Den sensationellsten und ältesten Lederfund der Welt bescherte uns 1991 Ötzi, der Mann, der ca. 5.300 Jahre unter Eis und Schnee zur meistuntersuchtesten Mumie wurde. Auch seine gut erhaltene Bekleidung und Ausrüstung sorgten für Aufsehen. Er trug von Kopf bis Fuß Leder, d. h. eine Bärenfellmütze mit Lederbändern, eine Lederhose und mit Moosen isolierend ausgepolsterte Schuhe, beides aus Ziegenleder. Sein Wams bzw. das Oberteil ist aus schwarzen und weißen Ziegenfellstreifen kunstvoll mit Graskreuzstichnähten gefertigt.

Nach Analyse der Leder bestätigen Gerbfachleute anerkennend, das unerwartet hoch entwickelte pflanzliche Gerbtechniken vor über 5.000 Jahren bereits praktiziert wurden.

Schon Urvölker verfügten über erstaunliche Fertigkeiten, um aus verderblichen Häuten haltbare Leder herzustellen. Mit der Entdeckung des Feuers wurde sehr schnell die konservierende, gerbende Wirkung des Rauches erkannt. Das frühste überlieferte Gerbrezept befindet sich auf einer babylonischen Steintafel aus der Zeit um 720 v. Chr.

Die Entwicklung der Gerbkunst durch Jahrhunderte ist hochinteressant, denn immer mehr Naturtechniken wurden ausprobiert und verfeinert. Die Natur bietet eine große Fülle von Gerbmitteln, woraus sich eine Vielzahl von Gerbmethoden und unterschiedliche Lederqualitäten entwickelt haben.

Gekochte Leder wurden zu Wasserbehältern verarbeitet.

Die Gerbung mit Fischtran war für die Mokassinherstellung und für Trachtenleder das Beste.

Das große Spektrum der pflanzlichen Gerbsäuren brachte Leder in den typischen Braun -und Beigetönen hervor.

Gerbmethoden und ihr unagenehmer Geruch

Ganz gleich, welche Gerbmethoden angewendet wurden, es war immer mit starken, unangenehmen Gerüchen verbunden. Es wurden verschiedene Vorschriften aus dem Mittelalter gefunden, die es in manchen Ländern untersagten, Gerbereien aus diesem Grunde in Städten anzusiedeln.

Gegerbt wird immer mit einer Gerbsäure. Diese durchdringt die Häute und wandelt die Eiweißfasern der Haut in einem schwierigen, komplizierten chemischen Vorgang in Lederfasern um. Dieser erfolgte Gerbprozess ist nicht mehr rückgängig zu machen.

Die Gerbtechniken des Altertums und des Mittelalters haben sich kaum unterschieden. Sie basierten auf bewährten, überlieferten Rezepturen verschiedenster pflanzlicher Gerbmittel und langen Gerbzeiten in der Gerbgrube.

Eine revolutionäre Entwicklung, die die traditionellen Gerbverfahren überrollte, setzte mit Erfindung der Gerbchemie im 20. Jahrhundert ein.

Diese neue rationelle Lederherstellung im rotierenden Gerbfass, die kurzen Gerbzeiten und die erzielte Lederqualität führten zu einem Ledersiegeszug um die Welt. Das neue Leder entwickelte sich zur Massenware, die Naturleder wurden zur Rarität.

Steigendes Umweltbewusstsein, auch die kritische Hinterfragung von Produkten aktivierten neues Interesse an ökologisch verträglichen Produktionen bzw. die Nutzung natürlicher Rohstoffe zeitgemäß zu überdenken. Allerdings ist die Art der pflanzlichen Gerbstoffgewinnung ein beachtenswerter, wichtiger Aspekt.

Gerbstoffernte kritisch betrachten

Nicht zu unterstützen, ist das Abholzen tropischer Bäume oder der Anbau großer Monokulturen zum Zwecke der Gerbstoffernte! Es gibt auch Gerbstoffe, die aus erntbaren Pflanzenteilen gewonnen werden. Das sind Blätter oder Früchte wie z. B. die reifen, gerbstoffreichen Fruchtbecher (Eicheln) verschiedener mediterraner Eichenarten, oder Fruchtschoten des Tarabaumes, auch die Rhabarberwurzeln können nach der Ernte der oberirdischen Pflanzenteile diesbezüglich genutzt werden.

Diese gerbstoffhaltigen Pflanzenteile werden zerkleinert, mit Wasser ausgelaugt und zu einem Extrakt eingedampft. Aus diesem Gerbextrakt setzt der Gerber seine Gerbbrühe an, um die gewachsene Haut in ein kostbares Naturleder zu veredeln. Die Rückbesinnung auf Leder, die mit Naturstoffen gegerbt sind, wie z. B. das Sämischleder, das mit Hilfe von Fischtran und Luftsauerstoff gereift ist, oder auf pflanzlich gegerbte Leder entspricht dem Zeitgeist. Weniger konsumieren, dafür Klasse statt Masse, gibt den Naturledern neue Chancen, insbesondere, wenn die gesamte Produktionskette die Nachhaltigkeit des Produktes nachweist.

Sonja Langer-Korsch

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