23.04.20 – Mut machen trotz düsteren Zeiten – Folge 5

Corona-Krise: Mundfenster-Masken zum „Mithören“

Bestehendes Masken-Manko schließt Gehörlose von Kommunikation aus. Doch Kreative geben bereits Vorlagen wie Lippenlesen weiterhin möglich sein könnte.

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Maske mit Sichtfenster von Nadine Beninga unterstützt Gehörlose oder Schwerhörige dabei auch weiterhin Mitten in der Gesellschaft zu bleiben. © Beninga

 
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In der EU sind 51 Mio. Menschen hörgeschädigt, Hunderttausende von ihnen nutzen ständig oder gelegentlich die Gebärdensprache. Bedarfsanfragen gibt es bereits von zahlreichen Schulen. © Beninga

 

Aktion Mitdenken

Bei der Maskenpflicht im öffentlichen Raum stehen hörgeschädigte und taube Menschen plötzlich vor drastischen Kommunikationsschranken. Weil der textile Hygieneschutz Mund, Nase und damit auch die Mimik des Gesichts verbirgt bzw. die Stimme dämpft, befürchten Betroffene drastische Einschränkungen im Alltag. Abhilfe könnte eine Gesichtsmaske mit „Mundfenster“ schaffen, die aus industrieller Hand noch nicht in Sicht ist.

Bayern, Berlin, Hamburg, Sachsen-Anhalt: Immer mehr Bundesländer sind dazu übergegangen, amtliche Pressekonferenzen und Ansprachen ihrer Ministerpräsidenten simultan durch Gebärdensprachdolmetscher zu übersetzen.

In der EU sind 51 Mio. Menschen hörgeschädigt, Hunderttausende von ihnen nutzen ständig oder gelegentlich die Gebärdensprache – allein in Deutschland nach offiziellen Angaben mindestens 80.000. Die Deutsche Gebärdensprache (DGS) versteht sich als visuell-manuelle Sprache, deren Bestandteile Gestik, Gesichtsmimik und lautlos gesprochene Wörter sind.

Herkömmliche Masken verhindern Lippenlesen

Um sie zu verstehen, müssen die Betroffenen zusätzlich zu den Handzeichen die Bewegungssignale des Gesichts und Lippenkonstellationen des Sprechenden erkennen; ihnen also auch von den Lippen ablesen können. Wer als Busfahrer, Polizeibeamter oder Verkäufer jedoch eine Normalmaske aufhat, der schließt damit die Kommunikation gegenüber Menschen, die auf Gebärdendeutung angewiesen sind, unfreiwillig aus.

Der Österreicher Manfred Schütz, selbst gehörlos, weiß aus eigener Erfahrung:

„Viele haben Probleme von den Lippen abzulesen oder das Mundbild mit einzubeziehen, wenn eine Maske mit im Spiel ist.“

Auf Twitter beklagt sich eine junge gehörlose Frau unter Tränen: Normale Masken würden das Mundbild komplett verdecken; „ich verstehe niemanden mehr“. Ihre Bitte: „Nehmt durchsichtige Masken“. Doch solcher Art Gesichtsschutz ist nicht nur hierzulande ein Manko. Es gibt keine technologischen Entwicklungen und keinerlei Industrieangebote für Masken aus Textil und Folie.

Privatinitiativen mit Pionierfunktion

Lediglich aus Privathand und kleinen Manufakturen sind solche Masken zu bekommen. Hersteller sind beispielsweise Frauen aus dem Weserbergland oder die Schneiderei Tuncer aus Hameln. Sie macht mit sogenannten Visiermasken mit herausnehmbarem Sichtfenster regionale Schlagzeilen und hat erste Artikel einem Taubblindwerk in Fischbeck gespendet. Auch über die deutschen Grenzen hinaus scheut die Industrie offensichtlich vor diesen Maskenmodifikationen im Interesse der Gehörlosen zurück.

• Spanien:

In Südspanien produzieren Freiwillige jetzt erste Masken aus transparentem Kunststoff, eingerahmt in Stoff. Damit die Masken nicht beschlagen, sind sie an der Seite leicht geöffnet.

• USA:

Weil eine „riesige Gesellschaftsgruppe“ übergangen werde, fertigt eine amerikanische Studentin in Kentucky zusammen mit ihrer Mutter jetzt ebenfalls Masken mit Sichtfenster. Der Focus zitiert die Aktivistin mit den Worten: „Wir schicken euch gerne welche oder schicken euch das Muster, damit ihr sie selbst nähen könnt!“

Modedesignerin mit Nähanleitung

Zunächst für eine stummtaube Freundin hatte Nadine Beninga aus dem niedersächsischen Wittmund eine waschbare Fenster-Maske entwickelt. Ihre „Taubstummen-Maske“ besteht aus gewebter Baumwolle mit seitlich herausnehmbaren durchsichtigen Folienfenster. Empfohlen wird eine lebensmittelechte Folie bzw. Polyethylen (PE)-Material, das man von Verpackungen mit Fenster kennt. Die Neuheit, die in geringen Stückzahlen im eigenen Onlineshop angeboten wird, habe ziemliches Interesse von Einzelpersonen aber auch von Schulen, in denen Gehörlose unterrichtet werden, ausgelöst, berichtet die Modedesignerin im Gespräch mit textile network. Das brachte sie auf die Idee, in ihrem Blog das Schnittmuster und die Nähanleitung für den Privatgebrauch zu veröffentlichen.

Hier geht es zur Übersicht der weiteren Folgen aus unserer Serie Mut machen trotz düsteren Zeiten.