21.04.20 – Neonyt

Corona-Krise: Fragen an Olaf Schmidt

textile network wollte wissen, wie die Messe Frankfurt mit der globalen Corona-Krise umgeht. Unser Exklusiv-Interview mit Olaf Schmidt.

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„Es ist sehr zu wünschen, dass wir aus der akuten Krise lernen und uns rückbesinnen auf die wichtigen Werte, auf Solidarität zwischen Produzenten und Konsumenten, auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit.“ Olaf Schmidt, Vice President Textiles & Textile Technologies, Messe Frankfurt © Messe Frankfurt/Pietro Sutera

 

textile network: Herr Schmidt, das Corona-Virus hat sich inzwischen auf die ganze Welt ausgebreitet – Textilmessen wurden/sind abgesagt. Wie geht die Messe Frankfurt mit der so sicher noch nie dagewesenen Situation um? Was erwarten Sie für das 2. HJ 2020?

Olaf Schmidt: Die derzeitige Situation betrifft uns international massiv. Erste Auswirkungen davon haben wir bereits während der Frühjahrsmessen in Frankfurt gespürt. In der Folge haben wir sukzessive alle Veranstaltungen bis in den Sommer hinein am Standort Frankfurt aber auch an den Messeplätzen im Ausland verschoben oder abgesagt. Dadurch entstehen natürlich gravierende Umsatzeinbußen. Aber die Messe Frankfurt mit ihrer fast 800-jährigen Geschichte und als eines der international führenden Messeunternehmen ist stabil aufgestellt und kann mit dieser für uns alle neuen Situation umgehen. Unsere Teams arbeiten von zuhause aus oder bauen Überstunden und Urlaubstage ab. Grundsätzlich bleiben wir für unsere Kunden erreichbar und planen die Veranstaltungen für die Zeit nach der Krise. Wann genau wir jedoch wieder physische Messen durchführen können, bzw. dürfen, ist momentan äußerst schwierig einzuschätzen. Denn einhergehend mit der weiterhin herausfordernden globalen Situation hinsichtlich COVID-19 hat die Bundesregierung entschieden, alle Großveranstaltungen bis einschließlich Ende August 2020 zu untersagen. Das stellt uns vor große Herausforderungen und hat konkret zur Folge, dass wir die Sommerausgabe der Neonyt Ende Juni in Berlin in ihrer jetzigen Form absagen mussten. Wir haben die Zuversicht noch nicht verloren, dass sich die Lage bis in ein paar Monaten doch noch entspannt und es unter bestimmten Auflagen eventuell möglich sein wird, die Veranstaltung zu einem späteren Zeitpunkt umzusetzen – Wir prüfen also weiterhin die Möglichkeit, die Veranstaltung terminlich in den Spätsommer legen zu können. Außerdem gibt es bereits viele weitere Ansätze, wie das Messekonzept an diese besondere Situation angepasst werden kann, darunter auch erste Überlegungen eines virtuellen, bzw. digitalen Formats.

textile network: Die Neonyt erfuhr im Januar eine sehr große Zustimmung – nun kommt die Krise – und trifft gerade nachhaltige Labels/kleinere bis mittlere Firmen, die stark abhängig sind vom Einzelhandel.

Olaf Schmidt: Das Virus und die aktuelle Krisensituation werden unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft nachhaltig verändern. Natürlich trifft es gerade kleine und mittelständige Unternehmen mit geringeren Rücklagen besonders hart. Wir hoffen sehr, dass keiner unserer Aussteller in dieser schwierigen Zeit auf der Strecke bleibt. Daher unterstützen wir auch die Initiative #fairfashionsolidarity. Modemarken und Bekleidungshändler müssen Lösungen finden, um gemeinsam Umsatzeinbrüche durchzustehen und wie sie nach den Ladenöffnungen weitermachen. Neben staatlicher Unterstützung fordert die Initiative eine Abkehr von den stets früheren Saisonabläufen. Auf der Website fair-fashion-solidarity.de gibt es ein Manifest zum Unterschreiben und Handlungsempfehlungen dazu, wie nachhaltige Labels und Läden die Coronavirus-Krise gemeinsam durchstehen können. Im Kern geht es darum, Bestehendes zu sichern und wertvolle Mode nicht zu Dumpingpreisen zu verkaufen.

textile network: Welche Auswirkungen auf die kommende Neonyt erwarten Sie?

Olaf Schmidt: Im vergangenen Januar präsentierte der Hub für Fashion, Nachhaltigkeit und Innovation in Berlin mehr als 210 Sustainable Fashion Brands aus 22 Ländern und versammelte damit so viele nachhaltige Modemarken wie nie zuvor. Für die Ausgabe im Sommer plante die Messe Frankfurt bis zuletzt eine deutliche Vergrößerung der Ausstellungsfläche um einen weiteren Hangar im ehemaligen Flughafen Tempelhof Berlin. Die durch die Entscheidung der Bundesregierung bedingte Absage der Neonyt liegen diese Pläne natürlich erstmal auf Eis. Wir sind aber, wie bereits erwähnt, dabei, Überlegungen anzustellen, wie das Messekonzept an diese besondere Situation angepasst werden kann – darunter konkretisieren sich auch Pläne eines virtuellen Events. Und wir sind weiterhin im engen Austausch mit anderen Marktteilnehmern und den zuständigen Behörden in Berlin. Unser Ziel ist es, der Branche ein sicheres, positiv gestimmtes und nach vorne blickendes Umfeld als wertvollen Impuls für die Geschäfte nach der Krise bieten können. Wir setzen deshalb alles daran, eine Präsentationsplattform im zweiten Halbjahr zu schaffen – in welcher Form und zu welchem Termin auch immer – und werden zu gegebener Zeit über den Stand der Dinge informieren.

textile network: Ein Blick in die Zukunft – wird diese Krise die Nachhaltigkeits-Community Ihrer Meinung nach eher beflügeln oder abschwächen?

Olaf Schmidt: Nachhaltigkeit ist für mehr als die Hälfte der weltweiten Einkaufschefs in der Modebranche einer der wichtigsten Aspekte ihrer künftigen Geschäftsstrategie. Dabei können Modeeinkäufer inzwischen aus einem deutlich gesteigerten Angebot an nachhaltiger Kleidung wählen. Zuletzt vergrößerte sich das Angebot jedes Jahr um das Fünffache. Damit ist Nachhaltigkeit endlich auch im konventionellen Handel angekommen. Diese Entwicklung wird sich auch durch die gegenwärtige globale gesundheitliche und wirtschaftliche Krise nicht aufhalten lassen – im Gegenteil: Weltweit erfahren die Menschen in Zeiten der Krise Momente des Innehaltens und der Achtsamkeit. Die Ausbreitung von Covid-19 ist die massivste Störung des öffentlichen Lebens der vergangenen Jahrzehnte. Trotz all der Schatten, die die Pandemie wirft, bietet sie auch eine Chance, sich auf die wichtigen Werte zurückzubesinnen. In unserem Fall ganz konkret auf Solidarität zwischen Produzenten und Konsumenten, auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Das Potenzial der Nachhaltigkeits-Community ist unbestritten. Es bleibt zu hoffen, dass sie langfristig gesehen gestärkt aus dieser Gesundheits- und Wirtschaftskrise hervorgehen wird.

Herr Schmidt, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen für textile network stellte Iris Schlomski.