22.04.21 – Spezial: Afrika — read English version
Äthiopien – Große Chance für die deutsche Textilindustrie
Äthiopien bietet neben den Herausforderungen eine Vielzahl von Chancen. Ein Beitrag von Prof. Dr.-Ing. Markus Michael und Franziska Lehmann, Texulting.
Global ist ein Wettbewerb um diese Märkte, Ressourcen und Möglichkeiten in vollem Gange. Andere Länder haben sich gegenüber Deutschland bereits einen Vorsprung erarbeitet. Höchste Zeit, die Textilindustrie mit deutscher Hilfe aufzubauen.
Afrika ist ein Kontinent, welcher in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus der internationalen Gemeinschaft gerückt ist. Gestärkt durch demokratische Regierungen und eine Generation junger, motivierter Menschen ist Afrika ein zukünftiger Markt und Standort für europäische Unternehmen. Diese müssen sich in immer volatileren und globaleren Märkten behaupten. Grundlage des Wachstums in Afrika muss die Entwicklung einer Textilindustrie sein.
Wie aus der Historie bekannt, sind die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in den Ländern der ersten Welt maßgeblich durch die gleichzeitige Entwicklung einer Textilindustrie gestützt worden. Dabei leistete die Textilindustrie wichtige Beiträge im Bereich der Standardisierung, der Automatisierung und der technischen Entwicklung. Aufbauend auf anfänglichen einfachen textilen Produkten (und einfacher Maschinentechnik) hat sich die Branche zu einem Innovationsmotor und einer wichtigen Stütze der Industrieländer entwickelt. Diese Grundlagen, erweitert um die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, müssen nun auf den afrikanischen Kontinent transferiert werden. Dabei müssen in Form von Kooperationen besonders die Bereiche der Aus- und Weiterbildung, aber auch die Attraktivität für ausländische Investoren fokussiert werden.
Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, wurden seitens der UN, der Bundesregierung und der äthiopischen Regierung zahlreiche Projekte initiiert und bereits umgesetzt. So ist beispielsweise die Entwicklung des textilen Sektors ein zentraler Bestandteil des neuen 10-Jahres-Planes (10/2020) der äthiopischen Regierung. Gleichzeitig unterstützt die deutsche Bundesregierung bilaterale Projekte im Rahmen der Sonderinitiative Afrika und der internationalen Entwicklungszusammenarbeit (vgl. Textil-Maßnahmenplan der Bundesregierung 2018).
- Äthiopien hat ca. 118 Mio. Einwohner mit einem Anteil der unter 30-jährigen von 80 Prozent. Dieses Reservoir von jungen und motivierten Menschen muss in den nächsten Jahren genutzt werden, um den bereits beschriebenen Aufbau einer Textilindustrie und damit einer erweiterten Wertschöpfung realisieren zu können.
- Derzeit finden die Menschen vorwiegend Beschäftigung im Bereich der Bekleidungsindustrie. Hauptsächlich junge Frauen und Mädchen konfektionieren dabei Modeartikel für die großen internationalen Konzerne. Die produzierenden Unternehmen befinden sich oftmals im Besitz asiatischer Firmen. Der Anreiz für die Ansiedlung der Unternehmen in Äthiopien ist das geringe Lohnniveau der ungelernten Kräfte im Land und die niedrigen Strompreise.
- Der dadurch entstandene Wettkampf um die billigste verlängerte Werkbank zwischen den afrikanischen und südostasiatischen Staaten führt zu einer Abwärtsspirale zu Ungunsten der Beschäftigten, welche nur durch die Weiterentwicklung im textilen Sektor gestoppt werden kann.
- In Äthiopien existiert bereits ein funktionierendes Netzwerk, das die akademische Ausbildung auf internationalem Niveau ermöglicht. Zahlreiche Abkommen, in Deutschland im Rahmen des DAAD, unterstützen diese Vorhaben. Allerdings können die so ausgebildeten Akademiker/innen momentan kaum in den Unternehmen in Äthiopien eingesetzt werden, da die der akademischen Ausbildung entsprechenden Posten (mittleres Management) in den Unternehmen schlicht nicht vorhanden oder durch importierte ausländische Experten besetzt sind. Die Folge ist ein stetiger Brain-Drain der gut ausgebildeten Fachkräfte in die westeuropäischen Länder. Dadurch wird die weitere Entwicklung des textilen Sektors verzögert. Um diesen Trend entgegen wirken zu können, ist die Etablierung einer Facharbeiterausbildung dringend erforderlich.
- Wie bereits beschrieben, ist die Textilindustrie in Äthiopien derzeit nur horizontal organisiert und auf die Konfektion aus dem Ausland importierter Halbzeuge und für das Ausland bestimmter Bekleidung spezialisiert.
- Dadurch importiert Äthiopien mehr als das Fünffache seiner Exporte. Dieses fundamentale Ungleichgewicht trägt maßgeblich zu dem kritisch niedrigen Niveau der Devisenreserven bei. Angesichts der Importabhängigkeit des äthiopischen verarbeitenden Gewerbes wirkt sich der Mangel an Devisenreserven als Wachstumshemmnis aus.
- Im Rahmen der vielfältigen Anstrengungen muss an der Vertikalität des textilen Sektors gearbeitet werden. Dafür sind Entwicklungen und Investitionen entlang der gesamten textilen Kette vom Rohstoff bis zu den Endprodukten notwendig. Momentan konzentriert sich die äthiopische Regierung auf eine Erweiterung der Baumwollproduktion. Erfahrungen der letzten Jahre zeigen jedoch, dass die dafür erforderlichen wasserintensiven Prozesse nur bedingt erweiterbar sind. Gleichzeitig kämpfen die Baumwollproduzent/innen auch mit anhaltenden Qualitätsproblemen aufgrund der nicht vorhandenen Fachkräfte. Durch die Ausbildung von Facharbeitskräften und einer Diversifizierung im Bereich der synthetischen Faserstoffe muss dieser Problemstellung in den nächsten Jahren begegnet werden.
- Zusätzlich müssen Lösungen generiert werden, um die anfallenden textilen Abfälle im Land zu recyclen und zu weiteren textilen Produkten zu verarbeiten. Dadurch können Importe entfallen und eine Wertschöpfung im Land realisiert werden.
Um die großen Chancen, welche der afrikanische Kontinent und speziell Äthiopien bieten, zu nutzen, sind fokussierte bilaterale Projekte notwendig. Diese müssen anhand der beiderseitigen Bedarfe konzipiert und mit den relevanten Partnern gemeinsam umgesetzt werden. Dabei müssen, anhand von Role-Model-Konzepten (z. B. der Textilsektor), die Maßnahmen stringent aufgebaut und realisiert werden. Das heißt, dass ausgehend von fundierten Weiter- und Ausbildungsvorhaben begleitende Kooperationsvorhaben sowie Existenzgründungsprogramme initiiert werden müssen. Dadurch können die ausgebildeten Fachkräfte direkt in die Wertschöpfung integriert und entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt werden. Diese industriepolitischen Maßnahmen müssen in einer zweiten Phase hinsichtlich Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz evaluiert werden. Im besten Falle können Konzepte umgesetzt werden, welche beide Ziele adressieren.
Weiterlesen? Den ausführlichen Beitrag unserer Autoren Prof. Dr.-Ing. Markus Michael, Franziska Lehmann, Texulting GmbH finden Sie in unserer aktuellen Print-Ausgabe 2/2021. Zum Abo geht es hier.