10.12.18 – Interview — read English version
Nachgefragt: Ein neues Modell der Wertschöpfung für Afrika
Afrika produziert rund 1,5 Millionen Tonnen Baumwolle, größtenteils für den Export. Aktuell entwickelt sich insbesondere in Ostafrika eine neue Dynamik, die Veränderungen in der Wertschöpfungskette auf dem Kontinent vorantreibt.
Jaswinder Bedi, Präsident von ACTIF, der Afrikanischen Baumwoll- und Textilvereinigung, verfügt über mehr als 34 Jahre Erfahrung in der Baumwoll- und Textilindustrie Afrikas. Die Cotton Report-Redaktion sprach mit ihm über aktuelle und künftige Herausforderungen in der Baumwoll- und Textilindustrie auf dem afrikanischen Kontinent.
Herr Bedi, was sind die wichtigsten Trends in den kommenden fünf Jahren in der afrikanischen Baumwoll- und Textilbranche?
Aktuell steht für ganz Afrika die Steigerung der Wertschöpfung innerhalb des Produktionssektors im Vordergrund. Acht Prozent der weltweit zur Verfügung stehenden Baumwolle wird in Afrika erzeugt - und dies vorwiegend durch Kleinbauern. 75 Prozent davon gehen in den Export. Inzwischen gibt es sogar in Westafrika eine spürbare Aufbruchsstimmung für höhere Wertschöpfung mit dem Ziel, Exporte in ihrer primären Form zu reduzieren und die Weiterverarbeitung von Baumwolle im Land auf- bzw. auszubauen.
In Ostafrika sind erste Investitionen zur Umsetzung bereits geflossen, beispielsweise in Äthiopien, Uganda und Tansania. Mehr Wertschöpfung kann viele positive Veränderungen bewirken, insbesondere bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Ich bin davon überzeugt, dass es am Ende möglich ist, die gesamten 1,5 Millionen Tonnen afrikanischer Baumwolle auf dem Kontinent weiterzuverarbeiten und dadurch neun Millionen Arbeitsplätze zu schaffen. Dies ist auch Teil der Vision und Maxime von ACTIF, der Afrikanischen Baumwoll- und Textilvereinigung.
Was sind die treibenden Faktoren dieser Aufbruchsstimmung?
Der Wandel hat bereits begonnen. Schauen wir uns die globale Dynamik der Textilindustrie, insbesondere der Konsumentennachfrage an: Der Verbrauch in China und Indien steigt. Aktuell liegt der US-amerikanische Faserkonsum, Baumwolle und Polyester zusammengenommen, bei 39 kg pro Kopf, in Europa liegt die Nachfrage bei 25 kg, während China 15 kg und Indien 6 kg verbrauchen.
In Afrika werden etwa 2,5 kg Textilien konsumiert, davon ist 1 kg Secondhand, 1,5 kg sind Neuware. Wenn wir die dahinter stehenden Marktwerte vergleichen, sehen wir, dass der US-amerikanische und europäische Markt zusammen bei 550 Milliarden US-Dollar liegt, während der von China und Indien addiert aktuell etwa 220 Milliarden beträgt.
Lassen Sie uns nun einen Blick auf das Jahr 2025 werfen: Der Textilverbrauch in Indien und China steigt deutlich an: Der indische Pro-Kopf-Verbrauch wächst von 6 kg auf 16 kg und der chinesische von 15 kg auf 25 kg. Zu diesem Zeitpunkt werden 40 Prozent der Weltbevölkerung in China und Indien leben. Deren gemeinsamer Markt wächst von 220 auf 740 Milliarden Dollar. Die Märkte in den USA und Europa werden zusammengenommen von 550 auf 725 Milliarden Dollar steigen. Insgesamt zeigt sich also, dass diese Veränderungen im Verbrauch eine massive systematische Verschiebung in den Märkten verursachen.
Wie wird sich diese Verschiebung auf die afrikanische Textilkette auswirken?
In China und Indien wird sich der Handel und der Verbrauch stärker regionalisieren, wodurch sich die Exporte in die USA und Europa verringern. Damit rückt Afrika in eine sehr vorteilhafte Position. Die Lieferketten werden sich neu organisieren, wodurch Afrika eine wichtigere Rolle in der Textilwelt spielen wird.
Diese Entwicklung beobachten wir schon heute vor Ort anhand der getätigten Investitionen. Zum Beispiel investierten große Retailer in Äthiopien bereits 2 Milliarden Dollar. Wenn Handelsunternehmen wie etwa PVH Corp. (Philips-van Heusen) in Nairobi, H&M in Äthiopien oder die Otto-Gruppe in Kenia vor Ort Geschäfte eröffnen, dann kommen sie, um zu bleiben. Mit einer Bevölkerung von 9 Milliarden Menschen wird die Welt im Jahr 2050 ganz anders aussehen. Die globale Dynamik im Textilkonsum wird weltweit zu einer Neuorganisation der Lieferketten führen.
Können Sie die Bedeutung von Auslandsinvestitionen ausführlicher erläutern?
Diese sind entscheidend. Ein Großteil der Investitionen in Äthiopien kommt aus dem Ausland, nur ein geringer Teil ist inländisch. Große Namen der Branche sind hier aktiv. Dazu zählen zum Beispiel Arvind Mills und Raymond aus Indien oder Luthai oder Wuxi aus China.
Wir beobachten die Tendenz, dass die Käufer von Baumwolltextilien die Investoren nach Äthiopien, Kenia oder Ostafrika mitbringen. Mit ihren künftigen Aufträgen locken sie die Investoren nach Afrika, und stellen ihnen ein „größeres Stück vom Kuchen“ in Aussicht.
Wie können landwirtschaftliche Methoden verbessert und Erträge in Afrika gesteigert werden?
Ein Großteil der in Afrika angebauten Baumwolle stammt von Kleinbauern. Ich bin überzeugt, dass sich Afrika mit seinem Produktangebot stärker abheben und profilieren muss, weil es mit dem großflächigen Baumwollanbau und der BT-Baumwolle mit ihren hohen Erträgen nicht konkurrieren kann.
Der Weltmarktpreis, der vor allem durch das Angebot dieses Anbaus bestimmt wird, diktiert die Handlungsspielräume der kleinen Baumwollbauern in Afrika mit ihren geringen Einnahmen. In unseren eigenen Baumwollplantagen in Uganda setzen wir auf eine völlig neue Saatgut-Varietät aus Zimbabwe, wodurch wir eine 50 prozentige Steigerung der Erträge erreichen konnten. Wir haben festgestellt, dass der Farmer durch wirtschaftlich verbesserte Produktionsmethoden sein Einkommen erheblich steigern kann.
Welche Rolle spielt verantwortungsvoll angebaute Baumwolle für Afrika?
Wir arbeiten zusammen mit der deutschen Aid by Trade Stiftung und Cotton Made in Africa, mit deren Hilfe Prozesse eines nachhaltigen Baumwollanbaus initiiert werden. Durch das Label Cotton Made in Afrika wird ein stärkeres Verbraucherbewusstsein für den Kauf von Kleidung aus afrikanischer Baumwolle geschaffen, das den Baumwollbauern vor Ort zu Gute kommt. Ich glaube, Afrika muss sich von dem Weltmarktpreis für Baumwolle absetzen, weil ungleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen.
Persönlich sehe ich zwei Alternativen: Wenn ich zum Beispiel in meinem eigenen Unternehmen gefragt werde, welche USP („unique selling proposition“) bzw. welche Alleinstellungsmerkmale meine Produkte haben, antworte ich: Ich habe keine USP. Stattdessen biete ich eine UVP – eine „unique value proposition“, d. h. ein einzigartiges Werteversprechen.
Wer ein T-Shirt kauft, sollte darüber nachdenken: Woher kommt es, woher stammt die Baumwolle? Ich wünsche mir, dass Verbraucher Produkte bewusster kaufen und wissen, was hinter einer Marke steckt. Viele reden über Rückverfolgbarkeit und Nachhaltigkeit, aber die Verbrauchernachfrage tatsächlich in diese Richtung zu bewegen, ist eine andere Sache und offensichtlich nicht immer ein leichter Weg.
Jaswinder Bedi hat mehr als 34 Jahre Erfahrung in der Fertigungsindustrie Kenias. Als Unternehmer verfolgt er verschiedene geschäftliche Aktivitäten und engagiert sich zudem in mehreren Branchenorganisationen. Er führt seine eigene Spinnerei in Uganda. Außerdem ist er „Immediate Past President“ und lebenslanges Ehrenmitglied der International Textile Manufacturers Federation (ITMF).
Die Interviews in der Rubrik „Nachgefragt“ entsprechen der Meinung des jeweiligen Interviewpartners und geben nicht die Position der Bremer Baumwollbörse als neutrale, unabhängige Institution wieder.
Auszug aus Bremen Cotton Report Nr. 47/48 – 6. Dezember 2018.
Mehr Informationen unter www.baumwollboerse.de