11.05.20 – Robotik in der Textilindustrie – Teil 3 — read English version

Mobile Roboter und Greifer für textile Substrate

Im dritten und zugleich letzten Teil richten wir den Blick auf mobile Roboter und die Möglichkeiten des Greifens.

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Das mobile Robotersystem kann im futureTex Forschungs- und Versuchsfeld des STFI zum Be- und Entladen verschiedener Bearbeitungsmaschinen genutzt werden. © Falko Schubert/STFI

 

Insbesondere textile Substrate stellen aufgrund ihre Eigenschaften wie Luftdurchlässigkeit und Biegeschlaffheit große Herausforderungen.

Mobile Roboter

Industrieroboter werden klassisch als stationäre Einrichtungen eingesetzt. Es existieren allerdings verschiedene Motivationen für den ortsveränderlichen Einsatz. Neue Roboter für die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) und Leichtbauroboter bieten sich für eine mobile Ausführung an. Diese kann in verschiedenen Stufen betrachtet werden. Viele davon bieten ein großes Potenzial zur Steigerung der Effizienz.

Die erste Stufe stellt die Platzierung des Roboters auf einem mobilen Gestell dar. Er kann in Abhängigkeit der Größe und des Gewichtes zu einem anderen Platz und anderen Maschinen bewegt werden. Damit lässt sich die Auslastung des Roboters steigern, wenn z. B. der Bedarf zum Be- und Entladen an einer Maschine zu gering ist, um die Anschaffung eines Roboters zu rechtfertigen.

Die nächste Variante beinhaltet die Montage des Roboters auf einer Linearachse bzw. einem Roboterpositionierer. Der Aktionsraum eines Roboters steigert sich dadurch enorm und man kann Roboter als flexiblen Effektor nutzen. Dadurch sind auch kleinere Robotergrößen bei gleichzeitiger Steigerung des Arbeitsraumes möglich. Die Ansteuerung der Linearachse kann als siebte oder externe Achse in der Robotersteuerung erfolgen. Statt einer Linearachse sind auch zwei oder drei Achsen in den weiteren Dimensionen denkbar. Mögliche Einsatzgebiete können die Bestückung von mehreren Werkzeugmaschinen, Verpackungsanlagen oder die Bedienung von Spulengattern sein.

Die dritte Variante, bzw. der maximal technische Ausbau, ist eine Kombination aus einem Roboter und einem Fahrerlosen Transportsystem (FTS). FTS sind mobile Plattformen, welche hauptsächlich in der Logistik zum Materialtransport eingesetzt werden. Die Kombination von Roboter und FTS stellt ein anspruchsvolles mechatronisches System bestehend aus Spannungsversorgung, Antriebs-, Sicherheits- und Datentechnik dar. Es ist am flexibelsten, stellt aber hohe Anforderungen bezüglich Energieversorgung, Navigation und Ortung.

Die Energieversorgung kann über Schleppketten oder über die Akkumulatoren des FTS realisiert werden. Für die Navigation bieten sich das Folgen eines Leitdrahtes oder Magnetbandes, das permanente Auslesen von Barcodes oder die Auswertung der Daten der Sicherheitslaserscanner als Möglichkeiten an.

Am Sächsischen Textilforschungsinstitut (STFI) e. V. wird in Zusammenarbeit mit den Partnern ein mobiles und wandlungsfähiges Robotersystem entwickelt, welches aus einem rollfähigen Robotersystem und einem fahrerlosen Transportsystem besteht. Diese Systeme sind getrennt voneinander nutzbar, um Handlings-, Bearbeitungs- oder Transportaufgaben zu übernehmen. So holt beispielsweise das fahrerlose Transportsystem ein rollbares Gestell mit Garnspulen, bringt diese zum Zielort an einem Spulengatter und fährt anschließend zu dem Robotersystem, um an diesem anzudocken und ihn zu einem mobilen Roboter zu wandeln. Das in der Entwicklung befindliche mobile Robotersystem wird im futureTex Forschungs- und Versuchsfeldes genutzt, um Maschinen der Veredlung und Konfektion durch automatisierte Transport- und Handlingsprozesse zu verbinden.

Bieten mobile Roboter für die Zukunft viele Chancen beim Einsatz in der Produktion, so kommt den aktuellen Greiferentwicklungen eine riesige Bedeutung für den Einsatz im textilen Umfeld zu.

Greifersysteme

Greifer ersetzen die menschliche Hand im Automatisierungssystem und sind damit die Schlüsselgröße für das erfolgreiche Handhaben von Textilien. Sie sind der Effektor des Roboters und bilden die Schnittstelle zum Werkstück. Durch eine große Bauteilvielfalt in der Robotik leitet sich der Bedarf einer großen Greifervielfalt ab. Doch nicht alle Greifer eignen sich zum Handhaben von textilen Stoffen. Textile Materialien sind forminstabil, biegeschlaff und luftdurchlässig. Zudem nehmen sie im ausgerollten Zustand eine große Fläche bei geringer Dicke ein. Die Masse reicht von leichten bis mittleren Gewichten.

Typische Einsatzfelder von Robotern in der Textilproduktion können das Vereinzeln, Stapeln, Positionieren und Ausrichten sein.

Greifer kommen in der Praxis entweder als Einzelgreifer oder in Kombination von einzelnen Greifern zu Greifsystemen vor. Es existieren ebenfalls individuelle Sonderkonstruktionen, z. B. für das gleichzeitige Handling mehrerer Garnspulen.

An Greifer werden spezielle Anforderungen wie Kompaktheit, minimales Gewicht sowie hohe Spann- und Greifkraft für den Einsatz mit Robotern gestellt. Greifer lassen sich nach verschiedenen Kriterien unterteilen, z. B. nach dem Wirkprinzip wie Kraft-, Form- oder Stoffschluss.

Für das Handling von starren Körpern haben sich in anderen Bereichen Parallelgreifer bzw. Fingergreifer mit zwei oder drei Greiferbacken bewährt. Damit lassen sich z. B. starre Garnspulen handhaben.

Für ausgerollte Textilien z .B. Gewebe oder Gestricke können Nadelgreifer verwendet werden. Nadelgreifer variieren in der Anzahl an Nadeln, dem Nadelhub und unterschiedlichen Nadelstärken. Die Nadelpaare, angetrieben durch pneumatische Zylinder oder elektrische Hubmagnete, fahren diagonal aus, dringen in die Oberfläche ein und verhaken sich dadurch im Material. Nadelgreifer können bei luftdurchlässigen Stoffen eingesetzt werden. Für das Heben von porösen Materialien wie z. B. Schaumstoffe sind Nadelgreifer ebenfalls geeignet. Allerdings können Nadelgreifer auch bleibende Einstichstellen in der Materialstruktur hinterlassen. Hier kommt es darauf an, ob diese Defekte in der Struktur für den weiteren Fertigungsprozess akzeptabel sind.

Für luftundurchlässige Materialien, z. B. dünne Folien, können Strömungs- oder Sauggreifer genutzt werden. Diese existieren als einzelne Strömungsgreifer oder im Verbund als Balken- oder Flächengreifer. Der Funktion liegt ein Druckunterschied zwischen der Ober- und Unterseite zu Grunde. Der gegenüber dem Greiferinneren höhere Umgebungsluftdruck drückt das Material an den Greifer. Der Unterdruck kann durch Vakuumpumpen oder Ejektoren erzeugt werden.

Ein neuartiges Greiferportfolio bietet die Firma Formhand Automation GmbH, Braunschweig, mit ihren universellen Greifkissen. Diese passen sich an die individuelle Oberfläche des Werkstücks an.

Eine weitere Möglichkeit für das Handling textiler Materialien stellen Gefriergreifer dar. Sie gehören zur Gruppe der Adhäsionsgreifer. Die Kontaktfläche wird mit einem Gefriermedium benetzt und mit einem Kühlelement gefroren. Das Eis bildet dabei eine Kontaktbrücke zwischen der Oberfläche und dem Greifer. Das Lösen erfolgt durch das Erwärmen und damit dem Auftauen der Kontaktfläche.

Für das Handling biegeschlaffer Halbzeuge entwickelte das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT einen Greifer, welcher mit elektrostatisch aufgeladenen Folien z. B. luftdurchlässige Textilien greifen kann. Anziehungskräfte in Folge der unterschiedlichen elektrostatischen Aufladung von Greifer und Werkstück bewirken ein Anhaften am Greifer.

Ein bislang neues Feld bieten bionische Greifer, die verschiedene Einflüsse aus der Mensch- und Tierwelt beinhalten, z. B. ist eine humanoide Roboterhand der menschlichen Hand nachempfunden.

Die adaptiven Greifer passen sich der Kontur des zu greifenden Teils an und können deshalb multifunktional eingesetzt werden. Dadurch wird sicheres und zerstörungsfreies Greifen selbst von leicht zerbrechlichen oder unregelmäßig geformten Werkstücken möglich.

Die Integration von taktiler Sensorik und bildverarbeitenden Visionsystemen in die Roboterapplikationen bieten ein großes Potential zur Optimierung der Genauigkeit. Die Sensoren können die Position und Orientierung des Textils erkennen und Korrekturwerte an den Roboter zum genauen Greifen übergeben.

Zuletzt sollen noch die Greifer für die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) genannt werden. Neben dem Roboter müssen auch Greifer und das Werkstück sicher für MRK-Anwendungen gestaltet sein. Die Greifer verfügen über abgerundete Kanten und weiche Oberflächen. Zudem muss die Greifkraft überwacht und begrenzt werden, dass im Gefahrenfall keine Körperteile gequetscht werden können.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine große Bandbreite an Greifern mit verschiedenen Konstruktionen und Wirkprinzipien am Markt existiert. Nicht alle Greifer sind für Textilien geeignet, doch neue Entwicklungen und Konstruktionen bieten Chancen zum Greifen dieser Stoffe. Es bleibt jedenfalls spannend, diesen Bereich der Technik weiter zu beobachten.

Falko Schubert