16.03.15 — read English version

Chemikalien im Blick haben

Über Bangladesch und seine Textilindustrie wird vielfach diskutiert: über soziale Missstände, Arbeitssicherheitsprobleme, marode Fabrikgebäude und Umweltverschmutzungen durch den extensiven und unsachgemäßen Gebrauch von Chemikalien oder fehlende Abwasserbehandlung. Ein Public Privat Partnership – Projekt (PPP) widmete sich der Problematik.

Photo: fotolia

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Das Projektteam bei der Begutachtung eines Lagerraums Photo: GSM

Das Projektteam bei der Begutachtung eines Lagerraums Photo: GSM

 
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Zahlreiche Unternehmen in Bangladesch oder ähnlich aufgestellten Produktionsländern wollen nachhaltig produzieren und die Gesundheit ihrer Arbeiter schützen. Dabei brauchen sie keine großen Versprechungen, sondern ganz konkrete Hilfestellungen für die tägliche Produktionsroutine.

Aus diesem Grund hat das Kölner Unternehmen gsm Global Sustainable Management GmbH im Frühjahr 2012, lange bevor die Branche durch den Einsturz des Rana Plaza Gebäudes in die Schlagzeilen rückte, ein Public Private Partnership (PPP)-Projekt mit dem Schwerpunkt Chemikalienmanagement ins Leben gerufen. „Um nachhaltige Verbesserungen zu erreichen, ist es notwendig, den Unternehmen zu erklären, warum sie bestimmte Dinge tun sollten. Dazu muss man die Abläufe in den Unternehmen genau kennen und eng zusammenarbeiten“, erläutert gsm-Projektleiter Florian Tiedtke die Vorgehensweise.

Zusammen mit ihrem lokalen Kooperationspartner, dem Bangladesh Centre for Advanced Studies (BCAS), hat gsm ausgewählte Textilfabriken aus unterschiedlichen Bereichen der Textilherstellung und mit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen im Management von Chemikalien beraten und geschult. Finanziell mitunterstützt wurde das Projekt von der Deutschen Entwicklungs- und Investitionsgesellschaft (DEG) aus öffentlichen Geldern des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

Ziel des Projektes war es, den Unternehmen konkrete Werkzeuge und Methoden an die Hand zu geben, um den Einsatz von Chemikalien mehr als bislang zu kontrollieren und Schadstoffe sowohl bereits bei der Beschaffung als auch im Verlauf der Produktion zu vermeiden. Dadurch minimieren sich die Belastungen für Arbeiter, Umwelt und Endverbraucher. Angesichts der komplexen textilen Lieferketten kein einfaches Ziel, dessen Notwendigkeit inzwischen allgemein anerkannt ist. Zur Umsetzung haben sich Modeunternehmen, NGOs und Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit zwar verpflichtet, in der Praxis tun sie sich aber schwer.

Hier ist Aufbauarbeit vor Ort gefragt: Um den Verbesserungsbedarf zu ermitteln, stiegen gsm und ihre Partner tief in die Produktionsabläufe der einzelnen Unternehmen ein. „Da muss man sich in der Produktion auch mal die Hände schmutzig machen“, sagt gsm-Projektleiter Florian Tiedtke. Bei den Statusaufnahmen vor Ort wurde deutlich, dass in den meisten Fällen Ansätze zur präventiven Vermeidung von Schadstoffen zwar vorhanden sind, eindeutige Systematiken und detailliertes Fachwissen aber häufig fehlen.

Manche der festgestellten Mängel wären auch in gängigen Audits beanstandet worden. Aber: Die daraus hervorgegangenen Korrekturmaßnahmen hätten die Fabriken ohne Hilfestellung umsetzen müssen. Und genau da liegt der Unterschied. „Wir wollten die Firmen intensiv schulen, beraten und unterstützen. Es muss klar sein, welche Auswirkungen bestimmte Vorgehensweisen haben können und warum bestimmte Dinge verändert werden müssen, sonst funktioniert es nicht“, betont Tiedtke.

Zunächst mussten also bestehende Wissenslücken gefüllt werden. Die zuvor als verantwortlich für das Chemikalienmanagement ernannten Mitarbeiter wurden über reglementierte Substanzen und deren Auswirkungen auf Menschen und Umwelt sowie über entsprechende Risikopotenziale in der Lieferkette geschult. Ausgestattet mit neuem Wissen und Bewusstsein, wurden anschließend gemeinsam mit den Kölner Experten individuelle Strukturen aufgebaut, die entsprechenden Chemikalien im Produktionsalltag zu managen, wenn nötig so früh wie möglich zu vermeiden, zu ersetzen und Alternativen kennenzulernen.

Besonders die Evaluation von Materialien, die Qualitätsprüfung der verschiedenen Informationsträger sowie die Risikoklassifizierung der Chemikalien sind komplexe Aufgaben, die gut trainiert werden müssen. Aber auch das Führen von Inventarlisten sowie Lagerung und Umgang mit den Chemikalien gehört dazu. Gelernt wurde ganz individuell, bevorzugt anhand konkreter Fälle aus der Praxis. In gemeinsamen Trainingseinheiten zeigte sich, das die unterschiedlichen Niveaus der Unternehmen durchaus befruchtend wirkten: Die Schwächeren lernten von den Stärkeren und bekamen die Vorteile der Veränderungen vor Augen geführt.

Zeitgleich wurde die Ausbildung lokaler Kompetenz auf einer übergeordneten Ebene vorangetrieben. So wurden die Mitarbeiter der BCAS ebenfalls intensiv in der Identifizierung und Bewertung von Schadstoffen in chemischen Substanzen, Zubereitungen und Zutaten geschult und sind nun kompetente lokale Ansprechpartner für etwaige Probleme. Aber nicht immer lief alles glatt. Die politische Situation rund um die Präsidentschaftswahl im Januar 2014, der Gebäudeeinsturz des Rana Plazas 2013 und seine Folgen haben das Projekt zeitlich verzögert. Größere Unruhen und Auseinandersetzungen in Dhaka wie in ganz Bangladesch mit Streik- und Demonstrationswellen brachten das öffentliche Leben teilweise zum Stillstand.

Die Textilindustrie geriet zunehmend unter Druck. Auseinandersetzungen über eine Anhebung des Mindestlohns sowie Sicherheitsaspekte führten zu Streiks, Fabrikbesetzungen und -schließungen. Zeitgleich musste mit Hochdruck produziert werden, um die durch die Unruhen hervorgerufenen Lieferrückstände aufholen zu können. Da blieb wenig Zeit, neue Unternehmensstrukturen einzuführen.

Manchmal stießen Projektleitung und die lokalen Fachkräfte vor Ort an ihre Grenzen. Etwa dann, wenn die hohe Fluktuation von Mitarbeitern, nicht nur bei Angestellten, sondern auch im mittleren und oberen Management eine feste Verankerung des neugewonnenen Wissens im Unternehmen erschwerte. Oder dort, wo die Korrekturmaßnahmen nur als einmalige Aktion wahrgenommen wurden, anstatt sie als wiederkehrende Prozesse dauerhaft in die tägliche Arbeit zu integrieren.

Hier konnten die Trainer lediglich Anstöße geben. Für eine langfristige Bewusstseinsänderung muss die Einhaltung der entwickelten Maßnahmen vom Unternehmen selbst bzw. den Führungsebenen immer wieder thematisiert und eingefordert werden. Nach rund zweieinhalb Jahren intensiver Zusammenarbeit ging das Projekt im Herbst 2014 zu Ende. Alle Beteiligten sind sich der Notwendigkeit einer funktionierenden Systematik zum Chemikalienmanagement mehr denn je bewusst und wollen die eingeleiteten Strukturveränderungen selbstständig fortführen.

[Klaudia Gerhardt]

[ www.gsm-consulting.net]