26.06.15 — read English version

Circular Economy – von der Utopie zur Realität

Bevölkerungswachstum, Massenkonsum, Müllberge, Ressourcenknappheit – die Lösung für all diese Probleme lautet: Kreislaufwirtschaft. Zirkulierende Stoffströme ohne Abfälle sind heute mehr als ein Modell aus den Lehrbüchern. C2C ist Teil unserer Zukunft und schon jetzt in Ansätzen gelebte Realität.

Markus und Daniel Freitag auf Stoffsuche für ihre neue Kollektion F-abric Photo: Freitag

Markus und Daniel Freitag auf Stoffsuche für ihre neue Kollektion F-abric Photo: Freitag

 
Markus und Daniel Freitag leben das C2C im Textilbereich Photo: Freitag

Markus und Daniel Freitag leben das C2C im Textilbereich Photo: Freitag

 
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Wie zum Beispiel F-abric. Fünf Jahre lang haben Markus und Daniel Freitag herumgetüftelt, doch schließlich ist es ihnen gelungen: F-abric, eine Capsule Kollektion bestehend aus Shirts, Tops, Chinos und Kleidern „grown and produced in Europe“ und zu 100 Prozent biologisch abbaubar. (Capsule bedeutet einmalig und streng limitiert produziert)

Um F-abric zu realisieren, haben die zwei Brüder und Gründer der Firma Freitag, eher bekannt für Taschen aus LKW-Planen, nicht nur ein eigenes Expertenteam angestellt, sondern sie haben sich selbst auf die Reise gemacht, um den richtigen Rohstoff zu finden. Über die Alpen in die Normandie – von wo sie nun ihren Hanf und ihren Flachs beziehen. Im vergangenen Herbst wurden die ersten Teile lanciert. Vor wenigen Tagen sind jetzt Blusen und Hemden in die Geschäfte gekommen. Vom Baum zur Tasche zum Baum.

Eine ähnliche Geschichte können auch die Macher von Rewrap mit ihren kompostierbaren Taschen aus Kokosfasern, Naturkautschuk, Nussbaumholz und Bienenwachs erzählen. Mud Jeans macht es etwas anders. Die Niederländer fordern ihre Kunden auf, ihre gebrauchten Jeans gegen einen Rabatt für eine neue Jeans an das Unternehmen zurückzugegeben. Bert van Son und sein Team reparieren die Jeans dann entweder, oder aber sie verarbeiten die Baumwolle der alten Jeans zu neuen Jeans, Sweatern oder Cardigans. Auch das ist ein geschlossener Kreislauf, nur eben ein technischer und kein biologischer.

Freitag, Rewrap und Mud Jeans – sie alle sind Teil eines neuen Wirtschaftsverständnisses – der Circular Economy. Inspiriert und fasziniert von einem US-amerikanischen Architekten und einem deutschen Chemiker: William McDonough und Michael Braungart. 13 Jahre ist es her, dass sie ihr Buch „Cradle to Cradle“ veröffentlicht haben. Ihr Konzept einer Kreislaufwirtschaft ohne Abfälle hat viele Menschen in seinen Bann gezogen, wenngleich sich auch viele gefragt haben, wie es sich in einem großen Maßstab in die Realität umsetzen lassen kann.

„Nähen, verbrauchen und wegschmeißen – diese lineare Denkweise gehört nicht in eine intelligente Gesellschaft“, sagt Dagmar Parusel, Senior Scientist für die Bereich Textilien und Landwirtschaft des Forschungs- und Beratungsinstituts EPEA in Hamburg, gegründet von Cradle to Cradle-Begründer Dr. Michael Braungart. So funktioniert aber bislang die lineare Massenindustrie. Auch wenn sich im Bereich der Circular Economy gerade viel tue, so sei es trotzdem nach wie vor nicht einfach, gerade bei den großen Konzernen, ein Umdenken zu erreichen.

Parusel: „Den Kreislaufgedanken in der textilen Kette umzusetzen, ist im Vergleich zu anderen Branchen eine besondere Herausforderung. Wir haben es von Textil zu Textil mit großen Qualitätsunterschieden in der Verarbeitung zu tun. Und nach wie vor sind Inhaltsstoffe für viele Marken eine Black Box, das heißt viele verwendete Farbstoffpräparate und Additive sind undefiniert, wenn nicht sogar problematisch.“ Hinzu komme die Herausforderung, eine hoch komplexe Lieferkette ohne Grenzen bis nach Pakistan oder sogar China transparent und plausibel machen zu müssen. „Kleine, ambitionierte Firmen schaffen das. Die Frage ist aber, wie es gelingen kann, C2C in einem großen Maßstab umzusetzen. Daran arbeiten wir gerade im Rahmen einer Machbarkeitsstudie mit einem namhaften Textiliten“, so Parusel weiter.

Die Liste an C2C-zertifizierten Unternehmen wächst langsam aber kontinuierlich. Zu den Partnern zählt unter anderem der niederländische Bettwarenhersteller Auping mit einem Silber-Zertifikat für seine Matratzen – bis 2020 will Auping ein durch und durch C2C-zertifiziertes Unternehmen sein. Genauso wie der Teppichhersteller Desso, der bereits seit vielen Jahren einer der Vorreiter in seiner Branche ist. Erst vor wenigen Wochen ist Desso für den Green Business Leaders Award 2015 in London nominiert worden. Unter anderem wegen seines kontinuierlichen Engagements, aber auch wegen eines besonders innovativen Projekts in Kooperation mit niederländischen Wasserversorgungsunternehmen.

Dabei ist es Desso gelungen, Calciumcarbonat (Kalk) für seine Teppichfliesen nicht mehr zuzukaufen, sondern stattdessen Upcycling-Calciumcarbonat aus der Trinkwasserherstellung zu verwenden. Pro Jahr werden so 20 Mio. kg zugekaufter Kalk durch upgecycelten ersetzt. „Das Projekt zeigt, wie groß die Innovationskraft in der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Branchen ist, um den Weg für bessere und nachhaltigere Lieferketten und Produkte zu ebnen“, sagt Roland Jonkhoff, Geschäftsführer von Desso.

Wenn es um Bekleidung und C2C geht, dann ist Trigema mit seiner ChangeCollection einer der bekanntesten Anbieter. Die Kollektion für Damen und Herren besteht aus Bio-Baumwolle, wird ohne unverwertbare oder giftige Substanzen hergestellt und zersetzt sich nach dem Gebrauch zu Kompost. Ziel von Trigema ist es, ganz nach Braungart, „Produkte so zu gestalten, dass die eingesetzten Rohstoffe nach dem Gebrauch sortenrein und damit ohne Qualitätsverluste zurückgewonnen werden, so dass aus ihnen wieder neue, gleichwertige Produkte entstehen und ein echter, endloser Materialkreislauf entsteht, der keine Abfälle zurücklässt.“

C2C ist quer durch alle Branchen ein Thema mit großer Zugkraft. Das hat man jüngst bei dem schweizerischen Stoffhersteller Gessner festgestellt. Unter der Marke Climatex vermarktet das Unternehmen eine C2C-Stoffkollektion für Polstermöbel und Autobezugsstoffe. Ihre Produktneuheiten haben die Schweizer vor wenigen Wochen auf der Fachmesse Techtextil in Frankfurt gezeigt. „Von der hohen Nachfrage nach unseren Climatex-Stoffen auf der Techtextil waren wir selbst überrascht.

Das Interesse ist rasant gestiegen, und zwar nicht nur in unseren Kernmärkten – der Möbel- und Automobilindustrie – sondern auch aus der Bekleidungsindustrie, dem Transportbereich sowie von Schuh- und Sportswear-Herstellern kommen inzwischen Anfragen. Unsere klimatisierenden und kreislauffähigen Textilien auch für diese Branchen zu entwickeln, ist für uns derzeit von höchster Relevanz“, sagt Andreas Heydasch, Managing Partner der Gessner AG in der Schweiz.

Doch nicht alle Konzepte sind erfolgreich. So hat der Sportartikelhersteller Puma bereits 2013 C2C die sogenannte Incycle Collection mit Sneakern, Sportswear und Accessoires auf den Markt gebracht. Trotz hohen Medieninteresses, ist Puma der Marktdurchbruch verwehrt geblieben. „Wir haben die Incycle-Kollektion für die Dauer von vier Saisons entwickelt. Leider hat der Handel die Kollektion nicht geordert.

Deshalb haben wir die Incycle-Kollektion ausschließlich in unseren eigenen Puma Stores angeboten, wobei auch hier die Nachfrage sehr schwach war. Für 2015 haben wir die Kollektion daher nicht weiterentwickelt, verfügen aber bei entsprechender Nachfrage über ein entsprechendes Produktangebot. Wir werden nun prüfen, was wir mit der Kollektion nach 2015 tun werden“, heißt es aus Herzogenaurach.

Die Muttergesellschaft von Puma, der Luxus- und Sportlifestyle-Konzern Kering, lässt sich indessen von diesem Misserfolg offensichtlich nicht entmutigen: Ende März ist Kering gemeinsam mit H&M eine Partnerschaft mit dem Startup „Worn again“ eingegangen. H&M und Kering mit Puma sind ohnehin schon Kunden des Dienstleisters für die Wiederverwertung und das Recycling gebrauchter Textilien und Schuhe, I:CO. H&M zum Beispiel hat auf diese Weise bislang 7.600 Tonnen Kleidung gesammelt.

Worn again soll nun „die Produktion und Wiederaufbereitung von Textilien revolutionieren“. Bereits als eine kleine Revolution kann das chemische Verfahren bezeichnet werden: Worn Again hat nach eigenen Angaben das erste Verfahren entwickelt, bei dem Polyester- und Baumwollfasern aus alten Textilien extrahiert werden können. Mischfasern voneinander zu trennen, ist eine der größten Herausforderungen bei der Wiederaufbereitung von Textilien. Durch diese Methode der Fasertrennung können das wiedergewonnene Polyester und die Baumwoll-Zellulose wieder zu neuen Textilien zu verarbeiten werden. Noch befindet sich die Methode in der Testphase. Im nächsten Schritt soll sie zur Marktreife gebracht werden.

[Jana Kern]

In dieser Serie sind bereits erscheinen:

Teil 1 „Nicht ob, sondern wie“ (Bündnis für nachhaltige Textilien)