08.05.15 — read English version
Der Rolls-Royce der Textilien
Alternative Rohstoffe, umweltschonende Verfahren, existenzsichernde Löhne – das Thema Nachhaltigkeit hat viele Facetten. Textile Network sprach mit Vertretern vier deutscher Textilunternehmen unterschiedlicher Sparten und Anwendungsbereicheüber Chancen und Herausforderungen der Herstellung nachhaltiger Produkte.
Zuerst kommt die Ist-Analyse, dann werden die Meilensteine und Ziele gesetzt – so geht es meistens los, wenn sich ein hat, Nachhaltigkeit strategisch umzusetzen. Die einen setzen ihre Ziele dann niedriger, die anderen höher.
Bei Jack Wolfskin ist die Realisierung existenzsichernder Löhne nur einer von vielen Meilensteinen. Seit 2010 ist der führende europäische Anbieter von Outdoor-Bekleidung, -Ausrüstung und –Schuhen der Fair Wear Foundation (FWF) beigetreten. „Wer Mitglied der Fair Wear Foundation wird, entscheidet sich bewusst für die Umsetzung einer der höchsten Standards“, erklärt Melanie Kuntnawitz, Head of Vendor Control. So fordert die FWF existenzsichernde Löhne in der gesamten Produktionskette – das heißt, die Lebensgrundlagen eines Arbeiters (Ernährung, Unterkunft, Kleidung etc.) müssen mit ihrem Gehalt gesichert werden können. Kein leichtes Unterfangen, wie Melanie Kuntnawitz weiß: „Die Umsetzung existenzsichernder Löhne in den Produktionsbetrieben ist eine Herausforderung, da wir auf Transparenz und Kooperationsbereitschaft vom Hersteller angewiesen sind.
Langfristige und vertrauensvolle Partnerschaften mit unseren Produzenten sind von außerordentlicher Bedeutung.“ Ein Patentrezept gibt es für die flächendeckende Realisierung der Living Wages (Existenzminimum) noch nicht. Als hilfreiches Werkzeug nutzt Jack Wolfskin die sogenannte Wage Ladder der FWF: Das Online-Tool stellt verschiedene Benchmarks eines existenzsichernden Lohns bezogen auf Land und Region den Gehältern der jeweiligen Fabrik gegenüber – so kann festgestellt werden, ob der gezahlte Lohn der Arbeiter wirklich ausreichend ist.
„Auf dieser Basis ist die Kommunikation über das zu erreichende Lohnniveau der Fabrik gut zu führen“, bestätigt Kuntnawitz. Auch das Wohl der Tiere hat man im Blick. Aus aktuellem Anlass vor allem das der Gänse. Die Daune ist ein beliebtes Material in der Outdoorbranche. Ab Winter 2015 soll zudem auf den Responsible Down Standard von Textile Exchange umgestellt werden. Melanie Kuntnawitz: „Der strikte Ausschluss der Verarbeitung von Daunen aus Lebendrupf und Stopfmast ist uns ein zentrales Anliegen. Wir stehen daher in engem Kontakt mit Tierschutzorganisationen wie Vier Pfoten und engagieren uns aktiv in einer Multi-Stakeholder-Arbeitsgruppe für die nachhaltige Daunengewinnung.“
Selbstverständlich ist die korrekte Behandlung von Tieren auch in der Lederbranche ein heißes Thema. Darüber hinaus ist jedoch auch die Verarbeitung der tierischen Produkte – in diesem Fall der Häute – von entscheidender Bedeutung für ein Unternehmen, das nachhaltig produzieren möchte. Das konventionelle Gerben von Leder ist nicht nur ein höchst wasser- und energieintensiver Prozess, es verursacht auch stark belastete Abwässer und Reststoffe. Wie geht der Lederhersteller Christ an diese Probleme heran? In erster Linie durch eine aufwendige Behandlung des verunreinigten Wassers. „Nach der Gerbung laufen die Abwässer in unserer Gerberei durch drei unterschiedliche Reinigungsprozesse“, erläutert Katharina Christ, Assistenz der Geschäftsleitung bei Christ. „Zuerst werden sie mechanisch gefiltert, dann chemisch behandelt. Dann werden sie durch Lagunen geschleust und so durch Licht und Sauerstoff biologisch gesäubert.
Erst dann werden sie in den Fluss abgeleitet.“ Die Marke mit Sitz in Gondershausen gerbt seit 1985 ausschließlich in einer Gerberei in Uruguay. Zur Kontrolle werden dort täglich Proben der Abwässer genommen und einmal wöchentlich nach Deutschland geschickt. Christ wurde bereits von vielen Umweltorganisationen und Forschungsinstitutionen für seine nachhaltige Produktionsweise ausgezeichnet. Im Bereich Energieeffizienz wurde der Gerberei in San José 2014 das ECO2L-Zertifikat (Energy Controlled Leather) verliehen. Eine innovative Solartechnologie und eine eigene Eukalyptusbaumplantage auf dem Areal der Gerberei helfen bei der ressourcenschonenden Verarbeitung des Leders.
Beim Erhitzen des für den Gerbprozess notwendigen Wassers kann so auf Erdöl und andere fossile Brennstoffe verzichtet werden. Das durch Solarenergie vorgeheizte Wasser wird durch die Verbrennung von sogenannten Holzchips – kleinen Holzschnipseln – auf die richtige Temperatur gebracht: Ein Verfahren, dass 10% weniger Energie benötigt als konventionelle Methoden. Die Holzchips kommen aus der hauseigenen Plantage, die zudem noch den CO2-Ausstoß der Gerberei ausgleicht. „In Sachen Energieeffizienz sehe ich uns eindeutig in einer Vorreiterrolle“, bestätigt Katharina Christ, „gerade für die Bekleidungslederbranche ist das noch nicht selbstverständlich“.
Auch Hersteller von technischen Textilien setzen auf Pflanzliches. Während bei Christ Holz als Energieträger eingesetzt wird, werden zum Beispiel bei Mattes & Ammann aus dem Schwäbischen Produkte auf Basis von alternativen Naturfasern entwickelt. GOTS und Oeko-Tex 100 zertifiziert, hat man sich dabei auf technische Textilien aus alternativen Rohstoffen wie der Nesselfaser spezialisiert. Werner Moser, stellvertretender Geschäftsführer: „Bei Naturfasern ist es unseres Erachtens wichtig, dass diese möglichst ressourcenschonend angebaut werden. Zum einen mit möglich wenig Wasserverbrauch, aber auch mit möglichst wenig Pestizideinsatz – deshalb unser Projekt mit den Nesselfasern.“ Seit 2011 werden auf Feldern auf der Schwäbischen Alb und in Ungarn Nesseln angebaut. Aber auch Leinen und Hanf sind für die Herstellung technischer Textilien interessant: „Für uns sind die alten europäischen Kulturpflanzen von besonderem Interesse“, so Moser.
Er weiß aber auch genau, welche Probleme innovative Projekte mit sich bringen: Der Kunde suche nachhaltige Produkte, sei jedoch nicht immer bereit, dafür auch mehr Geld auszugeben. „Grundsätzlich rennen wir offene Türen bei unseren Kunden ein. Jedoch stellen wir immer wieder ein gewisses Delta zwischen der intellektuellen Einsicht und dem tatsächlichen Kaufverhalten fest“. Alternative Produkte hätten jedoch ihren Preis. Moser: „Die am Markt in großen Volumen erhältlichen Fasern sind seit Jahren oder gar Jahrzehnten kostenoptimiert worden. Ökologische Schäden fließen in den Produktpreis nicht ein.“ Ein branchenübergreifendes Debakel, das auch Katharina Christ kennt: „Gerade auf dem deutschen Markt ist der Preis sehr auschlaggebend. Dabei ist ein sauberes Produkt sein Geld einfach wert.“
Saubere Textilprodukte, das wünschen sich auch Hotelgäste. Hygienische Reinheit ist für Bettwäsche, Tisch- und Handtücher selbstverständlich, aber auch eine saubere, nachhaltige Produktion gewinnt hier zusehends an Bedeutung. So auch bei Dibella: Gemäß dem Slogan „Longlife textiles“ arbeitet das auf Objekttextilien für Hotellerie, Gastronomie und Gesundheitswesen spezialisierte Unternehmen an nachhaltigen Lösungen für die speziellen Anforderungen der Branche.
„Aktuell befindet sich bei uns ein Cradle-to-Cradle-Gewebe aus 50% Tencel und 50% biologisch abbaubaren Biopolymeren in der Testphase“, erklärt Geschäftsführer Ralf Hellmann, „damit können wir drei der wichtigsten Ansprüche unserer Kunden erfüllen: schnell trocknende, lang haltbare und recyclingfähige Textilien.“ Für Hellmann ist Nachhaltigkeit eines der wichtigsten Elemente seines Unternehmens. 2010 trat Dibella dem UN Global Compact bei, seitdem konzentriert man sich immer stärker auf umweltschonende Produktion. Bereits auf dem europäischen Markt erhältlich ist die nachhaltige Wäschelinie „Breeze“ – Fairtrade- und GOTS-zertifiziert, aus 100% Biobaumwolle. Ist eine Umstellung des gesamten Unternehmens auf Bioware trotz der möglicherweise steigenden Preise denkbar?
„Unser Ziel ist es, alle Produkte nach den höchsten Standards zu produzieren und alle Rohstoffe umzustellen. Dafür ist der Markt aufgrund des höheren Wertes allerdings noch nicht bereit“, stellt Hellmann fest. Das Unternehmen ist gerade dabei, langsam von konventionell auf fair gehandelte Biobaumwolle umzustellen. So bietet Dibella zum einen eine hochwertige, zertifizierte Linie an und achtet bei allen anderen Kollektionen streng darauf, den bestmöglichen Standard zu halten und herkömmliche Baumwolle nach und nach durch nachhaltige Baumwolle zu ersetzen.
„Statt konventioneller Baumwolle können wir jetzt gemäß des Fairtrade Cotton Program fair gehandelte Biobaumwolle beimischen. Dann ist das finale Produkt kein hundertprozentiges Fairtrade-Produkt, aber wir haben insgesamt einen höheren Einsatz an nachhaltiger Baumwolle“, so Hellmann. Die Produkte dürfen so zwar nicht als Fairtrade-Produkte gelabelt werden, bestehen jedoch trotzdem zu großen Teilen aus ökologisch und fair angebauten Materialien, und sind günstiger. Hellmann stellt fest: „In Europa lässt sich ein klares Nord-Süd-Gefälle erkennen. In Skandinavien und den Niederlanden ist das Interesse wesentlich höher. Deutschland hinkt da etwas hinterher. Es ist und bleibt ein Preismarkt“.
Eines ist für Ralf Hellmann klar: „GOTS- und Fairtrade-zertifizierte Produkte sind für uns der Rolls-Royce unter den Textilien. Nachhaltiger geht es nicht.“ Damit dieser Standard noch größere Kreise zieht, gründete sein Unternehmen 2014 gemeinsam mit MIP Europe, Greiff Mode und Unifi den Verband MaxTex (matex.info). Die Vereinigung ist Anfang des Jahres dem vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ins Leben gerufenen Bündnis für nachhaltige Textilien beigetreten und arbeitet gezielt daran, das Bewusstsein im Markt zu verändern: Mehr Nachhaltigkeit quer durch die gesamte Wertschöpfungskette hindurch, nicht nur im eigenen Unternehmen, sondern auch bei den textilen Dienstleistern, benachbarten Branchen und natürlich den Verbrauchern. Für sie wie für viele andere ist Nachhaltigkeit kein Hirngespinst für abgehobene Rolls-Royce-Liebhaber, sondern eine sich lohnende Investition.
[Laura Bicker]
In dieser Serie sind bereits erscheinen:
Teil 1 „Nicht ob, sondern wie“ (Bündnis für nachhaltige Textilien)