26.03.21 – Anwenderforum Smart Textiles

E-textile Knospen brechen auf

Smart Textiles Anwenderforum zeigt: Smart Textiles werden vor allem von der Automobil-, Sport-, Bekleidungs- und Gesundheitswirtschaft vorangetrieben.

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VW untersucht die smarttextilen Mehrwerte: E-Kleidung soll Zukunft haben. © Oertel

 
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YKK: Milliardenfach genutzt jetzt vor neuen Aufgaben. Sensorik macht den Verschluss intelligent. © Oertel

 
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Pünktlich zum diesjährigen Anwenderforum Smart Textiles haben gerade veröffentlichte internationale Research-Studien von Google Inc. bis Infoholic bestätigt: Anwendungen auf dieser Grundlage stehen vor serieller Reife, versprechen „herausragendes“ Wachstum und beschleunigen die Einführung digitaler Geschäftsprozesse. Getrieben von solchen Branchen wie Gesundheitswirtschaft, Militär und Automotive seien die stärksten Impulse dafür vor allem aus Nordamerika und tendenziell aus dem asiatisch-pazifischen Raum zu erwarten, hieß es. Doch wie sieht es damit in Europa, genauer in der D.A.CH.-Region aus?

  • Textilforschung und Industrie von Bosch über VW bis zu Textilherstellern wie Ettlin sind sich einig: Smart Textiles sind an der Schwelle von 5G und dem Internet der Dinge ein Wachstumsmarkt. Sie werden vor allem von der Automobil-, Sport-, Bekleidungs- und Gesundheitswirtschaft vorangetrieben.

Von der Textilforschung zwischen Zürich, Innsbruck, Denkendorf, Greiz und Aachen kommen bekanntlich zahlreiche Grundimpulse für diese Technologie, die in absehbarer Zeit die Automobil-, Sport- und Medizintechnikwelten mit neuen Funktionalitäten und Möglichkeiten bereichern sollen. Dr. Serge Weydert von der Nanoleq AG, der auf der Onlineveranstaltung eine selbstklebende und auch nach 100 Waschgängen noch funktionierende Textilelektrode für die Elektrostimulation vorstellte, ist sicher: „Die Zeit ist reif für Smart Textiles“. Das konnte auch Peter Froeschle als Leiter der Forschungsplattforum Arena2036 aus erster Hand bestätigen: Weil sich Smart Textiles am Markt nicht so einfach einkaufen ließen, seien jetzt in Kooperation mit Unternehmen „viele Ideen auf dem Weg zu Produkten in der Pipeline“.

Folgend eine Auswahl der auf der Online-Konferenz mit 130 Teilnehmern vorgestellten Entwicklungen und Trends nach Branchen:

Internet der Dinge

  • ITK Engineering (Martinsried): Wenn Textilen zur Edge werden

Smart Textiles als Ergebnis der Symbiose zweier Welten bringen auch diverse Herausforderungen mit sich. Die Integration von Schaltungen in Textilien ermöglicht es, diese in Edge-Devices zu verwandeln. So werden sie zu Teilnehmern im Internet der Dinge (IoT) – einem komplexen Ökosystem/Netzwerk, das großes Potenzial bietet und beispielsweise neue Geschäftsmodelle möglich macht. Der Schlüssel zum Erfolg von Smart Textile Use Cases liegt vor allem in der „nahtlosen“ Einbettung in dieses Ökosystem – ein Aspekt, der gemeinsam mit einer Vielzahl an technischen Anforderungen in die Systemarchitektur von Anfang an einfließen muss. Die Systemgrenze endet dabei nicht an dem Textil, sondern umschließt auch Softwarekomponenten in der Cloud.

Automotive

  • Eissmann Individual (Münsingen): Vollflächige Innenraum-Hinterleuchtung

Kaschiertes Material wie Leder; Kunstleder oder Microfaservlies ist durch Perforationen mittels Lasertechnologie in der Lage, auf neue Art eine vollflächige Oberflächenbeleuchtung beispielsweise für Fahrzeuginnenräume zu bilden. Dabei können die Lichtaustrittslöcher mit 100 Nanometern recht winzig sein. Die Technologie zum Teil unter Verwendung von Abstandsgewirken verändert das Erlebnis Auto: So sind Zierblenden mit weichkaschiertem Schichtaufbau vorstellbar, der homogen bis zum Randbereich durchleuchtet wird; dynamische Lichtszenarien werden möglich. Schalter und herkömmliche Anzeigen verschwinden im Textil und werden im Tag- oder Nachtdesign sichtbar.

  • Ettlin (Ettlingen): Strickwebtechnik für großformatige Smart Textiles

Auf große Smart Textiles-Flächen zielt die Strickwebtechnologie ab. Dabei kann die hohe Produktionsgeschwindigkeit des Webens mit der Flexibilität des Strickens und der Möglichkeit der Einbindung externer Komponenten wie Bauelemente verbunden werden. Auf diese Weise entsteht beispielsweise ein textiler LED-Träger. Das auf die Verarbeitung leitfähiger Garne und Litzen optimierte Verfahren kann sowohl zur Herstellung großflächiger leitfähiger Textilstrukturen als auch zur hocheffizienten parallelen Fertigung einer Vielzahl kleinerer Strukturen Verwendung finden. In Zusammenarbeit mit der Hochschule Reutlingen wurden auf diese Weise Prototypen für textile Innenflächen in Fahrzeugen entwickelt.

  • VW (Wolfsburg): Smarte Kleidung unterstützt Mobilität

In der Kleidung können miniaturisierte Sensoren und Aktuatoren wie Heizelemente oder Leuchtelemente, Navigationsfunktionen oder Elektronikeinheiten mit Sender und Empfänger integriert sein, um mobile Menschen im Alltag oder im Beruf zu unterstützen. Die Nutzerfreundlichkeit spielt besonders für smarte Kleidung bei der Kundenakzeptanz eine wichtige Rolle. Hierbei können Fahrzeug- und Mobilitätsanbieter Schnittstellen zum Datenaustausch oder zur Aufladung von integrierten Energiespeichern bereitstellen. Intelligente Regelungsalgorithmen können die Sicherheit und den Komfort im Zusammenhang mit Mobilität verbessern.

  • Durch körpernahe Sensoren für Feuchtigkeit und Kontakttemperatur in der Kleidung kann zum Beispiel auf den thermischen Komfortzustand einer Person geschlossen werden. Es kann sogar vorausschauend erkannt werden, ob eine Tendenz zum Auszukühlen oder Überhitzen vorliegt. In die Kleidung integrierte, intelligente Heizfunktionen können dann bedarfsgerecht, körpernah und damit besonders energiesparsam zum Einsatz gebracht werden, um beispielsweise die Reichweite bei Elektrofahrzeugen zu vergrößern. Nur zwei Szenarien für eine intelligente Stromversorgung: Wird die smarte Jacke aufgehängt, lädt sich die integrierte Batterie wie von selbst. Ähnliches ist für Hosen von Autofahrern denkbar: Bei der Berührung mit dem Sitz fließt Energie in das System zurück – bis zu 200 Watt.

Smart im Alltag und beim Gesundheitsschutz

  • Strick Zella (Zella): Technologien für innovative Strickmützen?

Es muss nicht immer ein Helm sein; ggf. tut es demnächst eine Mütze auch. Denn: Smarttex-Technologien können auch den Kopf bedingt vor mechanischen Einwirkungen schützen und zudem wärmen oder über Seitenlichtfasern leuchten. Die Strickerei entwickelt eine aktiv leuchtende Mütze LumoCap, bei der polymeroptische Fasern zum Einsatz kommen. Zu den neuartigen Ansätzen, die weit über das Primärprodukt hinausgehen könnten, gehören Kopfprotektoren und Schallschutzeigenschaften – beides basierend auf Abstandsgestricken.

  • YKK Stocko Fasterners (Wuppertal): Intelligenz per Druckknopf verbinden

Schnell geöffnet, sicher geschlossen – moderne Druckknopfsysteme als Verbindungselemente für textile Datenflüsse sollen zum technotextilen Alltag gehören. Sie tragen dazu bei, dass sich herkömmliche Systeme mit der elektronischen Welt vereinen. Die Zukunft eines smarten Druckknopfes wird am Modell Solido Protect-S4 mit integrierter Sensorik sichtbar: rostfrei, industriewäschetauglich und mit Magnetkraft eine ideale Lösung für Kabelverbindungen.

  • stAPPtronics (Sulz): Teletherapeutik mit textiler Drucksensortechnologie

Intelligente Sensorsohlen sollen auch eine objektive Ganganalyse ermöglichen. Zwar gibt es schon seit zehn Jahren Einlegesohlen mit Foliendrucksensoren, sie konnten sich mangels Haltbarkeit bislang kaum durchsetzen. Durch die Nutzung einer textilen Drucksensorik kann dieser Lebenszyklus jetzt um das 50-fache verbessert werden, sodass auch langfristige Nutzungen in der Teletherapie möglich werden. Jetzt kann textile Sensorik dazu verwendet werden, um Physiotherapeuten, Ärzten wie auch Patienten bei der Therapie von Verletzungen der unteren Extremitäten zu unterstützen. Die Nutzung der Sensorsohle empfiehlt sich auch für präventive Maßnahmen gegen Volkskrankheiten wie Rückenschmerz.

  • KC Wearable Technologies (Lonao): Silverguard-Textilien contra Corona

Zu den inzwischen neun smarttextilen Produktgruppen des Unternehmens gehören kabellose Ladetaschen für Smartphones, Heiz- und Kühlsysteme sowie flexible Lithium-Batteriezellen bzw. Knöpfe mit integrierten NFC-Chips und Beleuchtungssysteme. Es wurden ferner Textilien mit neuen Funktionen in der Bekleidung entwickelt. So absorbieren Textilien aus Aktivkohle Geruchsmoleküle während Silbertextilien Kreditkarten vor Datenklau mit illegalen Scannern schützen. Im Zuge der Pandemie wurden spezielle Silbertextilien entwickelt, die in hohem Maße Silberionen absondern. Diese positiv geladenen Ionen werden von negativ geladenen Bakterien und Viren angezogen und greifen somit in kürzester Zeit deren Membranen an. In wenigen Minuten folgt die vollständige Zerstörung. Mit diesen zu 20 Prozent aus reinem Silber bestehenden Textilien produzieren Kunden dekontaminierende Taschen in Jacken oder Hosen oder Handtaschen aus diesem Material. Inzwischen gibt es auch entsprechende Taschentücher, Tragebeutel und luxuriöse Handschuhe aus Silverguard-Textilien.

  • Nanoleq (Zürich): Waschbare Textilelektroden mit hoher Signalqualität

Drei praktische Herausforderungen verhindern bisher den Durchbruch von Smart Textiles: Die Waschbarkeit von Textilelektroden und -Verbindungen steht dabei an erster Stelle. Zudem klebt die Elektronik nicht selbsttätig auf der Haut mit der Folge, dass Bewegungen zu Signalrauschen führen. Drittens sind die wenigsten Textilhersteller selbst in der Lage, auf ihrer Technik automatisiert auch Elektronik zu verarbeiten. Die auf dem Anwenderforum vorgestellte Textilelektrode ElectroSkin als Produkt der Polymerforschung überwindet diese Hürden auf nachhaltige Weise. Sie ist 100x waschbar, durch den „Gecko-Effekt“ leicht selbstklebend und wird mit Standard Textil-Equipment (Hot Press) im Produktionsprozess aufgebracht und elektrisch verbunden. Textilhersteller können nun auf einfache Weise robuste Smart Textiles für EMS, EKG und EMG-Anwendungen zum Einsatz in Sport-, Medizin- und Arbeitskleidung produzieren.