30.04.15 — read English version

Vierundzwanzigsieben

Wie sehen die Bedingungen für nachhaltiges Sourcing aus? Messe oder Online? Beides ist möglich! Ob über den klassischen Weg Messe oder rund um die Uhr und neuer via Online-Plattformen. Textile Network hat sich umgeschaut und Beispiele herausgegriffen. So oder so – nachhaltiges Sourcen erobert die Welt!

Die Haptik eines Stoffes erfährt man auf der Messe. Photo: Performance Days

Die Haptik eines Stoffes erfährt man auf der Messe. Photo: Performance Days

 
C.L.A.S.S. Showroom in Mailand zum Sourcen und Netzwerken Photo: : C.L.A.S.S.

C.L.A.S.S. Showroom in Mailand zum Sourcen und Netzwerken Photo: : C.L.A.S.S.

 
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Am Anfang jeden Designprozesses steht die Wahl der Materialien und hier suchen die Unternehmen immer häufiger (auch) nach ökologisch und fair produzierten Alternativen. Der klassische Weg ist nach wie vor die Messe. Was vor einigen Jahren noch der Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleich kam, ist heute deutlich einfacher geworden. Für die meisten Messeveranstalter wird das Thema Nachhaltigkeit immer wichtiger und so existieren bereits viele Initiativen und Ansätze: von eigenen Arealen und Verzeichnissen grüner Hersteller bis hin zu Informationsständen von Zertifizierern und Seminaren – jede Messe setzt das Thema etwas anders um.

Die Sport- und Outdoorbranche sieht sich vor die Herausforderungen einer giftfreien Produktion gestellt und steht durch Initiativen wie die Detox Kampagne von Greenpeace unter Druck. Bei den Performance Days, Fachmesse für Funktionstextilien, die zweimal jährlich in München stattfindet, zählen insbesondere die Vertreter namhafter Sportmarken zu den Besuchern. „Die Einkäufer dieser Marken sind zum Teil ausschließlich auf der Suche nach zertifizierten Materialien (Anm. d. Red. wie Bluesign) vom Textil bis zu den Accessoires wie Reißverschlüssen oder Knöpfen“, so Stefanie Sacherow, Presseverantwortliche der Performance Days. Um diesen Bedarf zu decken, besteht das Angebot der Performance Days aus dreierlei Komponenten: Zum einen gibt es den klassischen Ausstellerkatalog, in dessen Hallenplan alle Bluesign-zertifizierten Produzenten mit Symbolen verzeichnet sind, zum anderen haben die Besucher die Möglichkeit, sich online über die „Product Library“ alle Bluesign-zertifizierten Aussteller sowie solche, die mit recycelten Materialien arbeiten, auf einen Blick anzeigen zu lassen.

Daneben wächst das Rahmenprogramm mit Vorträgen und Referaten rund um die Themen Zertifizierung, Sozialstandards, Tierschutz und Innovationen wie Textilien aus Kokosnussschalen, Kaffee oder Algen. „Seit ungefähr fünf Jahren ist Nachhaltigkeit von unserer Messe nicht mehr wegzudenken. Mittlerweile ist in der Vortragsreihe der Block Sustainability der stärkste – sowohl mit den meisten Vorträgen als auch mit den meisten Besuchern.“ Der Markt scheint folglich stark sensibilisiert für das Thema zu sein. Wobei – so ergänzt Sacherow, das Bewusstsein für nachhaltige Produktion und Nachhaltigkeitsstandards sei insbesondere im europäischen Markt groß. In Asien sehe das schon wieder aus.

Diesen Eindruck bestätigt Bernd Müller, verantwortlich für das Thema Nachhaltigkeit und Textilien bei der Messe Frankfurt Exhibition GmbH. Aber er betont auch, dass es bereits gute Ansätze gibt, die zeigen, dass es vorangeht in Asien. Beispielsweise in China auf der Intertextile Shanghai Apparel Fabrics, der internationalen Messe für Kleidung und textile Zutaten, die zweimal jährlich stattfindet. Die 2014 dort geschaffene „All About Sustainability Area“ ist eine Kombination aus Information von Zertifizierern und Standards mit der Präsentation von Outfits sowie ergänzenden Seminaren.

„Wir merken verstärkt ein großes Interesse auf dem chinesischen Markt. Deshalb beginnen wir bei der Intertextile Shanghai mit einem breiten Informationsangebot und wollen das Angebot in den kommenden Jahren sukzessive erweitern“, so Müller. So werden die Messebesucher langsam an das Thema Nachhaltigkeit herangeführt. Themen wie Zertifizierungen, Umgang mit Chemikalien und Corporate Social Responsibility stehen bei den Vorträgen im Mittelpunkt. Und für das Sourcing können sich die Designer an die Infostände der Zertifizierer wenden und beispielsweise über die Datenbanken des Global Organic Textile Standards (GOTS) nach entsprechenden Produzenten auf der Messe suchen.

Bei den europäischen Veranstaltungen der Messe Frankfurt ist die Integration von Nachhaltigkeit indessen schon lange fester Bestandteil. Seit der Saison 2006/2007 stellt der Messeorganisator das Thema in den Vordergrund und bietet gleichzeitig Unterstützung beim Sourcen grüner Textilien. Bei der Texworld Paris ist Nachhaltigkeit schon seit Jahren dauerhaft integriert und macht mit dem Verzeichnis „Sustainable Sourcing Itinery“ die Beschaffung nachhaltiger Materialien auch sehr einfach: Der Guide verzeichnet aktuell rund 80 Anbieter ecofairer Stoffe in einem Hallenplan. Gelistet werden dort Textilien, die GOTS-, Organic Exchange-, Bluesign-, SA 8000- und WRAP-zertifiziert sind. Die Bandbreite reicht von Naturfasern wie Baumwolle, Leinen oder Hanf bis hin zu Regenerat- und Recyclingfasern. Gekennzeichnet werden sie durch ein System, das die Aussteller hinsichtlich Sozialstandards, ökologischer Herstellung und Materialien bewertet.

Das gleiche System verwendet die Messe Frankfurt auch bei der Heimtextil. Die jährlich Anfang des Jahres stattfindende Messe für Wohn- und Objekttextilien bietet bereits seit einigen Jahren Inneneinrichtern, Möbelherstellern und Designern die Möglichkeit, nachhaltige Textilien auf einen Blick zu finden. Das „Green Directory“ listet alle nachhaltig produzierenden Aussteller der Messe. Ergänzt wird das Sourcing-Angebot seit diesem Jahr mit dem „Tag der Nachhaltigkeit“, der mit Vorträgen rund um die Themen Produktion, Sozialstandards und Corporate Social Responsibility informiert. In dem eigens geschaffenen „Green Village“ stellen Zertifizierer wie Bluesign oder Initiativen wie die Aid by Trade Foundation zusätzlich ihre Kompetenzen und Informationen zur Verfügung.

„Die Thematik Nachhaltigkeit ist schon seit einigen Jahren fest in der Heimtextil verankert und bedeutet für uns viel mehr als nur ein Trendthema“, erklärt Ulrike Wechsung, Objektleiterin der Heimtextil. „Mit dem Kompetenzzentrum ‚Green Village’ in der Galleria 1 hat die Heimtextil 2015 erstmals eine eigene Plattform für Siegelgeber, Zertifizierer und Interessengruppen aus dem Bereich der Nachhaltigkeit angeboten.“ Über den Service „Productpilot“ kann auch im Nachhinein noch online auf die unterschiedlichen Herstelleradressen aller Veranstaltungen der Messe Frankfurt zugegriffen werden. Was es allerdings (noch) nicht gibt, ist eine Filterfunktion für nachhaltige Lieferanten.

Für das Online Sourcing ecofairer Stoffe bietet die Munich Fabric Start eine Kombination von Beschaffung auf der Messe und einem ganzjährigen Online-Sourcing-Angebot. Wie bei der Heimtextil gibt es auf der zweimal jährlich stattfindenden Münchner Stoffmesse ein Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit, das „Eco Village“, in dem Organisationen und Zertifizierungsunternehmen über Themen wie Ressourcenschonung und Öko-Standards informieren sowie Vorträge und Workshops rund um nachhaltige Produktion stattfinden. Das Herzstück des Areals ist die „Organic Selection“, die rund 500 zertifiziert nachhaltig produzierte Stoffe präsentiert. Die gute Resonanz in München beweist, dass nachhaltige Sourcing-Alternativen gefragt sind und hat die Messeveranstalter dazu veranlasst, die Fläche auszuweiten. „Die räumliche Vergrößerung kam für das Eco Village genau im richtigen Moment.

Der Informationsbedarf und die Qualität der Gespräche zwischen Besuchern und internationalen CSR-Experten sind sehr hoch und erstrecken sich inhaltlich auf viele Bereiche – von grünem Sourcing, über Zertifikate und rechtliche Aspekte bis hin zu Nachhaltigkeitskommunikation. Die Organic Selection bildet auf den Punkt die aktuellen Stofftrends in ökologischeren Alternativen ab. Die Innovationen zeigen sich in neuen Materialien, Fasern und Mischungen – das beweist, dass das Eco Village mit seinen grünen Entwicklungen als Innovations-Hub für die ganze Branche taugt“, sagt Sebastian Klinder, Geschäftsführer der Munich Fabric Start.

Die Organic Selection zeigt eine Auswahl nachhaltiger Stoffmuster und Accessoires mit direktem Verweis auf die Hersteller. Die Stoffe sind über ein Kriteriensystem mit Symbolen versehen, das zwischen Naturfasern, Synthetik- und Recyclingmaterialien sowie fairer Produktion unterscheidet. Das gesamte Angebot gibt es seit 2014 auch online. Filter helfen bei der Suche, wobei sehr differenziert nach Zertifikaten, Materialien, deren prozentualer Zusammensetzung sowie nach Verwendung, ob Accessoires, Kleider, Jeans oder Mäntel gesucht werden kann.

Online-Netzwerke und –Plattformen wie C.L.A.S.S., Interloom, die Future Fabrics Expo und The Source des Ethical Fashion Forums verfolgen das Ziel, den Austausch innerhalb der Textil- und Modeindustrie zu erleichtern. Zusammenarbeit soll gefördert werden, der Netzwerkgedanke steht im Vordergrund. Hier kommen Designer sowie Textilproduzenten aller Stufen der Wertschöpfungskette, also von der Faser bis zur Fertigung, zusammen. Die Plattform „The Source“ des Ethical Fashion Forums in London bietet daneben ausführliche Informationen und eine Datenbank, die ecofaire Produzenten, Designer und Marken listet, ebenso wie Einkäufer und Shops.

Das Netzwerk C.L.A.S.S. aus Mailand arbeitet ähnlich, ist aber stärker auf Vorstufen und Materialien fokussiert als auf Mode und Händler. Mitglieder im Netzwerk sind insbesondere Produzenten und Designer. Diesen werden in eigenen Showrooms in Mailand, Madrid, Kopenhagen, London und New York ausgewählte Kollektionen gezeigt. Daneben können Designer die Datenbank nutzen und sich durch die Experten von C.L.A.S.S. persönliche beraten lassen. Die Resonanz sei groß: „Es geht uns hierbei nicht um Erfolg, sondern vielmehr darum, ein Referenzpunkt innerhalb dieses Innovationsmarkts geworden zu sein. Das liegt auch daran, dass dank einer neuen und professionellen Betrachtungsweise Verantwortung als Schlüsselelement gesehen wird“, sagt Giusy Bettoni, Gründerin von C.L.A.S.S.

Dass die Nachfrage nach ecofairen Stoffen steigt, bemerkt auch Sophia Opperskalski, Gründerin von Interloom in Berlin. Die 2012 gestartete Plattform ist rasant gewachsen und verzeichnet mittlerweile über 600 Unternehmen, davon etwa 20 Anbieter von Textilien und Accessoires. Das Konzept ist vergleichbar mit C.L.A.S.S., ein eigener Showroom in Berlin, Expertenwissen auf Vorträgen und über die Plattform besteht die Möglichkeit, selbst Bestellanfragen an einzelne Anbieter zu schicken oder sich über Interloom beraten und vernetzen zu lassen. „Wir bekommen zahlreiche Anfragen von Kunden, die beispielsweise auf der Suche nach GOTS-zertifizierten Stoffen sind. Dabei unterstützen wir die Kunden nicht nur, diese Stoffe zu finden, sondern helfen auch Stoffe in Bezug auf unterschiedliche Nachhaltigkeitskriterien zu vergleichen und Anbieter mit den richtigen Mengen zu finden“, erklärt Opperskalski. Aber nicht nur Naturfasern seien gefragt, insbesondere das Interesse an spezielleren Materialien bis hin zu Alternativen für Baumwolle sei gewachsen. So unterstützt Interloom vor allem bei Anfragen für Textilien, die in nachhaltiger Qualität noch nicht so einfach auf dem Markt zu finden sind – wie wasserabweisende Funktionstextilien.

Die Messeveranstalter und Initiatoren der Online-Portale registrieren positive Resonanz und erwarten auch für die Zukunft, dass der Markt für fair und ökologisch produzierte Textilien wächst. Während das nachhaltige Angebot für Mode-, Sport- und Heimtextilien schon recht groß ist, gibt es für den Markt der technischen oder medizinischen Textilien noch Nachholbedarf. Auch hier werden nachhaltige Sourcing-Plattformen sicherlich nicht mehr lange auf sich warten lassen. Schließlich gibt es Vorbilder aus anderen Branchen mittlerweile recht zahlreich.

[Rebecca Espenschied]

In dieser Serie sind bereits erscheinen:

Teil 1 „Nicht ob, sondern wie“ (Bündnis für nachhaltige Textilien)