07.12.22 – Interview mit Alexander Gedat, Ex-CEO Marc O’Polo
„In unserer Branche gibt es zu viele Bewahrer“
Die deutsche Fashionindustrie steckt in einer tiefen Krise – und ist trotzdem nicht bereit, in echte Innovationen zu investieren. Ein Fehler, findet Branchenexperte Alexander Gedat, Ex-CEO von Marc O’Polo und Aufsichtsratsvorsitzender der Gerry Weber International AG.
Pandemie, Krieg in Europa und eine Explosion der Energiepreise – wie würden Sie die Lage in der Textilwirtschaft in Deutschland und der Welt aktuell beurteilen? Oder sollte man besser gleich fragen: Wie tief steckt die Branche in der Krise?
Alexander Gedat: Leider muss man wohl sagen, dass die Branche ziemlich tief in der Krise steckt. Und in Deutschland ganz besonders. Denn der deutsche Verbraucher spart ja erstmal, sobald eine Krise kommt. Und das ist jetzt besonders schlimm, denn während Corona konnte ein Teil noch übers Online-Geschäft aufgefangen werden – aber das findet jetzt auch nicht mehr statt, weil die Leute einfach Angst haben. Sie haben Angst vor dem Krieg, vor der Inflation, vor der Energiekrise. Angst, sich immer noch mit Corona anzustecken.
Außerdem gibt es in der Textilwirtschaft aber noch weitere, generelle Probleme: fehlende Nachhaltigkeit und fehlende Digitalisierung, um nur zwei zu nennen. Beide Herausforderungen werden wir nur lösen, wenn wir zum einen neue Techniken einsetzen, um z. B. die Musterungen zu verschlanken, und zum anderen müsste man weniger produzieren, um die Überhänge zu vermeiden. Das ist hart – aber wahr.
Sie sagen gern, dass „eine Krise auch die Möglichkeit bieten würde, über neue Lösungen nachzudenken.“ Welche neuen Lösungsansätze würden Sie für die Fashionindustrie sehen?
Alexander Gedat: Ich sehe aktuell drei Möglichkeiten, um die Fashionindustrie aus dieser Krise zu führen: Zum einen sollte man attraktiver und hochwertiger, also teurer, verkaufen. Dass das funktioniert, erlebe ich durch meine Arbeit in verschiedenen Beiräten und Aufsichtsräten in der Fashionbranche. Und wenn die Designer ihr Produkt dann auch noch so anreichern, dass es tatsächlich auch mehr bietet, zahlt der Kunde sogar gern mehr.
Der zweite Punkt ist, dass mehr in Technologie investiert werden sollte. Zum einen, um wirtschaftlicher zu arbeiten, zum anderen, damit man den Bedarf der Endverbraucher besser antizipieren kann.
Und zum dritten das Thema „Re-Commerce“, also Recycling, Wiederverwertung oder Second-Use. Hugo Boss hat damit angefangen, aber wir haben das auch bei Gerry Weber eingeführt: In einigen Läden können die Kunden die alten Teile abgeben und erhalten dafür einen Gutschein. Wir sammeln diese Teile, begutachten sie – und was noch brauchbar ist, wird aufgearbeitet und gereinigt und dann in den Factory-Outlets auf einer extra dafür gekennzeichneten Fläche wiederverkauft.
Allerdings funktioniert dieses „zweite Leben“ nur bei Kleidungsstücken, die einen gewissen Wert haben und qualitativ hochwertig sind. Bei einem T-Shirt für 5 Euro oder einer Jeans für 8 Euro lohnt sich zum einen der ganze logistische und personelle Aufwand nicht – zum anderen sind die Produkte aus der Fast Fashion auch oft von solch minderwertiger Qualität, dass sie überhaupt nicht aufgearbeitet werden können.
Es scheint, dass die Verfechter einer grüneren Fashionindustrie sich strickt in zwei Lager aufteilen: die einen fordern bessere Arbeitsbedingungen und ein „Ende der modernen Sklaverei“; die anderen setzen voll auf neue Technologien. Darf es überhaupt ein „entweder oder“ sein?
Alexander Gedat: Es gibt kein „entweder oder“ und mit dem Wort „moderne Sklaverei“ bin ich auch sehr unglücklich. Wenn wir jetzt sagen, dass aus Bangladesch kein einziges Teil mehr eingeführt werden darf, dann haben die armen Menschen dort gar keine Arbeit mehr. Und das kann es dann ja auch nicht sein. Dafür muss man andere Wege finden. Ich glaube, dass man natürlich in Nachhaltigkeit und in bessere Arbeitsbedingungen investieren muss. Das kann man aber nur gemeinschaftlich verfolgen. Und dafür muss man, meines Erachtens, in erster Linie in mehr Bildung investieren. Denn dann können die Leute auch bessere Jobs ausüben und hochwertigere Arbeiten verrichten. Und dann müssen natürlich die Politiker in den einzelnen Produktionsländern etwas tun. Ich finde es immer schwierig, wenn wir uns hier in Deutschland hinstellen und den Damen und Herren in Pakistan, Indien oder Bangladesch erzählen, was bei ihnen wie passieren soll. Das ist einfach nicht richtig.
Das A und O für uns hierzulande sollten die neuen Technologien sein, mit denen man gezielt auf die Wünsche der Endverbraucher eingehen könnte – wenn man die Technik denn nutzen würde. Beispiel yoona.ai, ein Berliner Start-up, das eine B2B-Software entwickelt hat, die bis zu 80 % Prozent an Zeit, Material und Ressourcen einsparen kann. Das sind die Lösungen, die wir in unserer Branche suchen – und finden – müssen.
Nachdem, was Sie bisher gesagt haben, kommt es nicht so überraschend, dass Sie an „Vorsprung durch Technik“ glauben. Welche Technologien sehen Sie für die Fashionbranche als zukunftsweisend an?
Alexander Gedat: Das Wichtigste steht für mich direkt am Anfang der Produktionskette, nämlich die Digitalisierung der Produktentwicklung. Denn genau da kann schon sehr viel eingespart werden. Explizit in der Musterung, die wahnsinnig teuer und aufwendig ist. Und sehr viel Stoffe verbraucht. Stand heute könnte – unter Nutzung neuer Technologien – gut 50 % der Musterung weggelassen werden. Gleich danach kommt auch schon wieder der Wunsch des Endverbrauchers: Wenn ich weiß, was der Käufer möchte, kann ich auch gezielt produzieren. Wenn ich also die Kundendaten akkurat auslese und analysiere, kann ich konkret antizipieren, was der Kunde in Zukunft kaufen möchte.
Es scheint also, dass nur ein Miteinander von den Geboten der Slow-Fashion und den Möglichkeiten modernster Technik das Ruder rumreißen könnte – trotzdem springen hierzulande kaum Fashion-Unternehmen auf den Technikzug auf. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Alexander Gedat: Zum einen gibt es in Deutschland immer noch viele Menschen, die kein Vertrauen in Technik haben. Und dann gibt es in unserer Branche einfach noch zu viele „Bewahrer“. Es sind so wenige, die bereit sind, mutig Veränderungen in Angriff zu nehmen. Die Fashionindustrie ist ja nicht wirklich innovativ. Wir meinen, dass wir innovativ sind, weil wir uns für jede Kollektion etwas Neues ausdenken – aber das ist ja keine wirkliche Neuerung. Eine Innovation ist für mich, dass man sich neue Materialien ausdenkt, dass man neue Fertigungsmöglichkeiten probiert, dass man eben wirklich etwas verändert. Und nicht jedes Jahr mehrmals T-Shirts oder Hosen in verschiedenen Farben oder Schnitten auf den Markt wirft.
Und wie kann man das ändern?
Alexander Gedat: Zum einen muss die Technik so gut sein, dass die Hersteller sie nicht mehr ignorieren können. Zum anderen muss es dafür eine Begeisterung geben. Ich denke nicht, dass man mit Geboten oder Verboten oder Gesetzen etwas erreichen kann. Man muss die Menschen für die technologischen Möglichkeiten begeistern – und damit werden die „Bewahrer“ dann ganz von allein Schritt für Schritt immer weniger werden.
Drei Start-ups, an die Alexander Gedat glaubt:
- yoona.ai, Tech-Start-up, das die Produktentwicklung in der Fashion wirtschaftlicher und die Qualität des Designs besser macht und ist damit ein wichtiger Schritt zu mehr Nachhaltigkeit ist.
- WaterGen Inc., Tech-Start-up, dass das Problem der Wasserversorgung in der Welt lösen wird, indem es Wasser aus der Luft filtert.
- Egg’n’Up Ltd., Food-Tech-Startup, das revolutionäre pflanzliche, multifunktionale Clean-Label-Ei-Ersatzlösungen für die Lebensmittelindustrie entwickelt.