19.12.22 – Lieferkette — read English version

Die zehn wichtigsten SCM-Trends für 2023

Nach eingehenden Analysen haben SCM-Spezialisten von Setlog zehn zentrale Thesen zu den wichtigsten Lieferketten-Trends für das Jahr 2023 aufgestellt.

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Nachfrageunsicherheit und Kostendruck zwingen Unternehmen zum Handeln. © William W. Potter/stock.adobe.com

 
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Ralf Düster, Vorstandsmitglied von Setlog, betont: „Resilienz geht inzwischen vor Preis.“ © Setlog

 

Der Ukraine-Krieg, die Energiekrise und die hohe Inflation in vielen Ländern stellen Supply Chain-Manager vor große Herausforderungen. Dazu kommen noch die Dauerbrenner Fachkräftemangel, Lieferkettenunterbrechungen und Kostendruck. Ralf Düster, Vorstandsmitglied des Bochumer SCM-Softwarespezialisten Setlog, zeigt auf, welche Trends das Jahr 2023 prägen werden. Seine Aussagen basieren nicht nur auf zahlreichen Gesprächen mit Wirtschaftsexperten und Wissenschaftlern, sondern auch auf Daten von Setlog-Kunden, die das SCM-Tool OSCA nutzen. Allein in den Bereichen Fashion und schnell drehende Konsumgüter sind das mehr als 100 Marken.

1. Nachfrageschwankungen zwingen zum Handeln

In vielen Industrieländern stellen sich Unternehmen auf einen Nachfragerückgang ein. Nach Jahren des kontinuierlichen Wachstums, die kurz durch die Coronapandemie unterbrochen wurden, prognostizieren Experten eine Rezession. Branchenführer gehen noch enger auf ihre Kunden ein – sowohl im B2C-, als auch im B2B-Bereich. Wegen der starken Volatilität stellen viele Firmen existierende Kontrakte auf den Prüfstand. Flexibilität spielt bei der Neuausrichtung der Verträge eine zentrale Rolle. Um besser planen zu können, sind eine enge Kollaboration und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen allen Partnern entlang der Lieferkette nötig, die oftmals neue Kommunikationsplattformen erfordert. Über moderne IT-Tools können Informationen ausgetauscht, Kräfte gebündelt und schnelle Entscheidungen bei dynamischen Nachfrageschwankungen getroffen werden.

Die Voraussetzung für neue Kommunikationswege ist die Bereitschaft zur Transparenz aller Akteure. Unternehmen, die Software und geeignete Algorithmen einsetzen, um Nachfrage und Angebot global zu steuern, werden gegenüber dem Wettbewerb einen Schritt voraus sein. Die beste Strategie lautet: Firmen müssen agile Ansätze ausarbeiten, um die Nutzung von Ressourcen und Produktionskapazitäten permanent zu optimieren. Moderne Demand Planning-Software und Business Intelligence-Tools sind hier, je nach Industrie und Produkt, von immer größerer Bedeutung.

2. Kollaboration wird umgesetzt

Branchenführer schreiben sich das Thema Kollaboration nicht nur auf die Unternehmensfahnen, sondern leben sie im Alltag – sowohl in internen Teams, als auch in der firmenübergreifenden Supply Cain. Alle haben – auf der Basis spezifischer Rechtegruppen – Zugriff auf Daten und tauschen diese laufend aus – in der Regel in Echtzeit. Diese Vorgehensweise verbessert die Effizienz und die Reaktionsfähigkeit der Lieferkette. Datensilos behindern erfolgreiches Wirtschaften. Wer weiterhin E-Mails und Tabellenkalkulationen für die Kommunikation nutzt, bekommt sehr schwer ein Gesamtbild über den aktuellen Status eines Auftrags.

3. Recruitingstrategien ändern sich

Eine der zentralen Herausforderungen in den Industriestaaten bleibt der Fachkräftemangel. Der demographische Wandel in Ländern wie beispielsweise Deutschland verschärft die Problematik zudem. Führende Firmen bieten dem bestehenden und potenziellen Personal attraktive Rahmenbedingungen. Viele Unternehmen können noch effizienter werden – etwa über den optimierten Einsatz des Fahrpersonals mithilfe von Trailer-Konzepten oder zeitlich stärker entkoppelten Ladezeiten. Langfristig führt nichts an einer beschäftigungsorientierten Personalstrategie vorbei.

Die Besten der Besten differenzieren zudem ihre Recruiting-Ansätze – beispielsweise nach Generationen oder Potenzialgruppen wie Seiteneinsteiger oder ausländische Kräfte. Sie offerieren auch differenzierte Bindungsprogramme und bieten langfristige Perspektiven durch flexible Arbeitszeiten, Elternzeit sowie Aus- und Weiterbildungsaktionen. Letzteres ist vor allem für bewährte Mitarbeiter im Bereich Supply Chain Management bedeutend, denn ihre Aufgaben werden komplexer.

Um junge Talente ins Unternehmen zu bringen, sind Kooperationen mit Hochschulen ein guter Weg. Zudem entwickeln sich neue Stellenanforderungen im Bereich Lieferkette und Logistik sowie in den Themenfeldern Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG). Aufstrebende Berufsbilder wie Data-Driven Planner, Traceability Analyst, Supply Chain Communicator und Supply Network Innovator adressieren veränderte Anforderungen, denen sich Firmen stellen müssen. Voraussetzung für alle Aktivitäten ist eine zeitgemäße Führungskultur, die einen Wandel des Führungsverständnisses beabsichtigt und eine transparente Kommunikation zulässt – inklusive der Einbindung der Meinung der Beschäftigten.

4. Kostenbewusstsein nimmt zu

Ob neue Personalstrategien oder Mitarbeiterbindungsprogramme: All diese Maßnahmen kosten Geld. Dazu kommen für Unternehmen Belastungen durch gestiegene Energiekosten, wachsende Zinsen und die hohe Inflation. Gleichzeitig sinken die Ausgaben der Verbraucher. Führende Firmen haben bereits ein Kostenbewusstsein bei den Mitarbeitern geweckt. Dafür ist es nötig, die Belegschaft in die Umsatz- und Kostenentwicklung mit offener und transparenter Kommunikation einzubinden und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln. Mithilfe von Ideenbörsen können die Beschäftigten auch in die Lösungsfindung integriert werden.

Ein weiterer wichtiger Schritt ist eine stärkere Flexibilisierung. Die größten Kostentreiber müssen gefunden und Maßnahmenszenarien entwickelt werden. Mobiles Arbeiten ermöglicht beispielsweise die Reduzierung der Büroflächen und senkt die Mietkosten.

5. Investitionen in Automatisierungsprojekte gehen weiter

Auch wenn gestiegene Kosten die Firmenkasse belasten, treiben viele Unternehmen bereits begonnene Automatisierungs- und Digitalisierungsprojekte weiter voran oder stoßen neue an. Nur wer mit der Hochleistungslogistik und höchsten Service-Levels mithalten kann, führt den Markt an. Budgets für die Bereiche Automatisierung, Robotik, Digitalisierung, Energiesparen und Personal einzuplanen und bereitzustellen, ist gut investiertes Kapital. In der Intralogistik müssen dafür beispielsweise manuelle Prozesse automatisiert und digitalisiert werden. Robotik und maschinelles Lernen spielen zudem eine große Rolle, um zum einen schnell zu sein und zum anderen die Fehlerquote minimal zu halten.

IT-Experten betrachten die Digitalisierung entlang der gesamten Supply Chain und stoßen in mehreren Kettengliedern gleichzeitig neue Projekte an. Der Einsatz von Open Source-Strategien spielt künftig eine wichtige Rolle – genauso Themen wie beispielsweise der digitale Lieferschein und der digitale Frachtbrief.

6. Nachhaltigkeitsgesetze zwingen zum Handeln

Die Themen Dekarbonisierung, Social Compliance und Nachhaltigkeit werden für die Ökonomie immer bedeutsamer. Nach der UN-Klimakonferenz in Sharm el-Sheik fordern Verbraucher, Politiker und Geschäftspartner Firmen zum schnellen Handeln auf. Die EU treibt mit Plänen für ein Lieferkettengesetz das Tempo an, genauso wie die Vereinigten Staaten mit dem jüngst in Kraft getretenen Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA) oder geplanter Gesetzgebung in einzelnen Bundesstaaten wie New York (New York Fashion Act).

Unternehmensvertreter überlegen sich vermehrt, wie sie Strategien aus der Kreislaufwirtschaft umsetzen können, damit weniger Produkte vernichtet werden. Firmen, die den Weg ihrer Produkte vom Design über die Beschaffung sowie die Produktion bis hin zum Versand nicht nachvollziehen können, werden es schwer haben, die neuen Anforderungen von Regierungen, Verbraucherverbänden und Kunden zu erfüllen. Kleine Firmen sind (noch) von den Lieferkettengesetzen ausgeschlossen, aber oftmals kommen sie mit Konzernen nur ins Geschäft, wenn sie sämtliche neuen Vorschriften erfüllen. Von ihnen wird verlangt, dass sie die klimatischen und sozialen Auswirkungen ihrer Tätigkeiten verfolgen können und darüber Bericht erstatten.

7. Einkauf und Beschaffung werden überarbeitet

Die neue weltpolitische Situation zeigt: Unternehmen müssen, abhängig von der Branche, individuelle Wege im Einkauf gehen, um resilienter zu werden. Dabei gilt das Credo: Resilienz vor Preis. Analysen von Autobauern können beispielsweise ergeben, dass Re- oder Nearshoring bestimmter Produkte oder Komponenten Sinn macht. Das ist unter Umständen zwar teurer, doch Lieferketten werden dadurch stabiler. Im Konsumgüterbereich hingegen macht es aufgrund des enormen Kostenunterschieds zwischen Europa und den USA auf der einen Seite und Asien auf der anderen eher Sinn, die Produktion weitestgehend in Fernost und den bisherigen Beschaffungsländern zu belassen, ohne nahegelegene Fabriken zu suchen oder gar neu zu bauen.

Der Fachkräftemangel, steigende Zinsen, die hohe Inflation und Frachtkosten, die sich auf dem Niveau vor der Coronapandemie einpendeln, sind Argumente, die bei vielen Industrien gegen einen Auf- oder weiteren Ausbau von Near- oder Reshoring sprechen. Weiterhin gilt: Wenn es um den Gewinn einer Firma geht, bekommen Einkauf, Beschaffung und Supply Chain Management immer mehr Gewicht. Der Grund: Die Möglichkeiten, im unteren und mittleren Warensegment höhere Preise durchzusetzen, sind selten geworden. Preise werden für die Kunden durch Einkaufsplattformen immer transparenter. Die Gewinne werden heute durch Beschaffung – oder genauer – durch Prozessoptimierungen erwirtschaftet. Zudem werden die Lagerbestände der Firmen wegen vermehrter Störungen des Netzwerks – etwa durch Krieg, Umweltkatastrophen oder Streiks – neu geplant.

ie Disruption im globalen Transport hat es gezeigt: Für bestimmte Branchen, die von wenigen Lieferanten abhängig sind, ist es unter Umständen notwendig, höhere Sicherheitsbestände aufzubauen, Single-Sourcing zu vermeiden und das Bestellwesen generell zu überdenken.

8. Versorgungsnetzwerke lösen Versorgungsketten ab

Die Zusammenarbeit von Unternehmen mit Einkaufbüros, Lieferanten, Fabriken, Prüflaboren, Technikern, Logistikdienstleistern und Händlern wird immer wichtiger. Deshalb werden Firmen im kommenden Jahr versuchen, ihre Business-Netzwerke weiter zu stärken. Seit dem Beginn der Coronapandemie haben sie festgestellt, dass ihre firmenzentrierten Systeme nicht ideal funktionieren. Die Vorreiter in den verschiedenen Branchen nutzen daher bereits Tools und Plattformen, die das sichere Teilen von Daten ermöglichen sowie enge kollaborative Arbeitsabläufe in puncto Prognosen, Bestellungen, Produktion, Kapazitäten, Lieferung und Lagerbestände in Echtzeit unterstützen. Da diese Zusammenarbeit, die optimale Nutzung von Daten und der optimierte Informationsfluss Fehler, Verzögerungen und Ineffizienzen eliminieren, können alle Beteiligten Kosten senken und ihre Wettbewerbsfähigkeit mithilfe von Unternehmensnetzwerken verbessern.

9. ERP-Silos werden eingerissen

Es ist kein Geheimnis: Kleine Unternehmen stützen sich auf ein bis zwei, manche Konzerne auf 20 oder mehr hausinterne Systeme. Schon vor der Pandemie kamen die Ineffizienzen dieser selbstkonstruierten Silos zutage. Covid-19 wirkte als Verstärker. Das Nebeneinander der Systeme hat Bestandspuffer künstlich aufgestockt, Informationsverzögerungen verursacht und entweder manuelle Arbeit oder hohe IT-Kosten für Schnittstellen, Wartung und Upgrades mit sich gebracht. Immer mehr Firmen tragen diese Silos ab, da sie sich weder die Kosten und den Aufwand noch den damit verbundenen Ärger länger leisten können.

Die beste Lösung ist die Verlagerung der Supply Chain-Workflows auf eine kollaborative Netzwerkplattform, die über alle Silos hinweggeht und sowohl eine Datenteilung als auch einen echten Datentransfer produktions-, abteilungs- und unternehmensübergreifend ermöglicht. Durch REST-API verbundene Best of Breed-Lösungen mit intelligenter IT-Architektur brechen Silos auf und ermöglichen ein kollaboratives, firmenübergreifendes Arbeiten mit optimalem Datenaustausch.

10. Supply Chain-Organisatoren nutzen moderne Technologien

Firmen erkennen immer öfter, dass jeden Tag tausende Entscheidungen mit dutzenden Parametern gefällt werden müssen. Das Bauchgefühl erfahrener Manager hilft dabei nichts. Moderne Unternehmen vertrauen auf neue Technologien wie etwa Künstliche Intelligenz bei Entscheidungen. Die Besten der Besten werden Prozesse noch stärker automatisieren und die Vorteile Künstlicher Intelligenz im Bereich präskriptive Analytik sowie autonomer Agenten nutzen, um Effizienzgewinne zu erzielen.

Open Source kommt vermehrt im Supply Chain Management zum Einsatz, insbesondere für Standardschnittstellen. Manager führen Softwaretechnologien für die Supply Chain ein, um die Widerstands- und Wettbewerbsfähigkeit der Firmen zu erhöhen. Die Folge: Die neuen Automatisierungstechnologien verändern Rollen und Aufgabenstellungen innerhalb der Organisation. Mit neuen Technologien können Unternehmen von der Planung bis zur Auslieferung Tempo erzeugen, Puffer abbauen, Prozesse effizient steuern und dem Fachkräftemangel entgegenwirken.