07.12.21 – Infotag zum Thema Sourcing

Gestörte Lieferketten – Im Dialog mit den Produktionsländern

Personalmangel, geringe Produktionskapazitäten, verlängerte Lieferzeiten, enormer Kostendruck. Darum ging es beim Infotag vom DTB am 25. November 2021.

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Die weltweit gestörten Lieferketten beschäftigen die Textil- und Bekleidungsbranche aktuell sehr und werden auch 2022 eine große Herausforderung darstellen. © Travel mania/stock.adobe.com

 

Der DTB – Dialog Textil-Bekleidung bot am 25. November 2021 eine Plattform für Produzenten und Brands zu den aktuellen Herausforderungen in der Lieferkette. Einsteigen in einen sehr offenen und ehrlichen Dialog miteinander, das wollten mehr als 60 Teilnehmer des Infotages „Brisanzthema Sourcing“.

Spannend waren für alle Teilnehmer die aktuellen Infos direkt aus den Produktionsländern, die nach einer kurzen Einführung von DTB-Vorstandsvorsitzenden Leonhard Kiel, Barth & Co. KG tagesaktuelle Einblicke in ihre Abläufe gaben.

Wertverlust der Mode

Dr. Achim Bayerl, BTB Bulgaria, gab einen Überblick über die Transformation des europäischen Beschaffungsmarktes aus der bulgarischen Perspektive. Dort kommt es vor allem durch die extremen Personalkostensteigerungen zu Auswirkungen. Es werde immer schwerer, qualifiziertes Personal zu finden und zu halten. Dies bestätigte auch Bertram Rollmann, Pirin-Tex: Durch die Corona-Pandemie musste teilweise von Seiten der Brands eine Vollbremsung vollzogen werden. Kapazitäten wurden über Nacht eingestellt, viele Mitarbeiter verloren ihre Arbeit und gehen nun anderen, besser bezahlten Beschäftigungen nach. Das führe aktuell zu dem Problem, dass bei wieder steigender bzw. momentan sogar überhöhter Nachfrage die Kapazitäten nicht schnell genug hochgefahren werden könnten. Rollmann appellierte an die Produktionspartner, die Ängste der Produzenten ernst zu nehmen. Die Wertigkeit der Produkte müsse gesellschaftlich – auch unter dem Nachhaltigkeitsaspekt – wieder anders gesehen werden.

In Rumänien und der Ukraine bietet sich ein ähnliches Bild, wie Petra Gehlhaus, Veit GmbH, und Radu Stanica-Selzer, Texco Group Romania, berichteten. Auch dort mussten Corona bedingt Aufträge storniert werden: Mitarbeiter wurden entlassen, Firmen verkleinert oder die Produktion auf Masken- und Schutzanzüge umgestellt. Nun kommen die Brands zurück und finden wegen der oben genannten Gründe stark reduzierte Produktionskapazitäten vor. Stanica-Selzer forderte von den Marken für die Zukunft mehr Stabilität, damit Lieferketten partnerschaftlicher gestaltet werden können. Dies bedeute in der Praxis garantierte Stückzahlen und faire Bezahlung.

Ähnliche Erfahrungen

Twintex berichtet aus Portugal, dass nie die gesamte Produktion stillstand. Zu wenig Personal sei dort nicht das Hauptproblem. Vielmehr kämpfen die portugiesischen Hersteller mit hohen Transportkosten und fehlendem Rohmaterial. Es werde versucht, die Kostenerhöhung durch eine Erhöhung der Effizienz, durch Automatisierung zu kompensieren. Insgesamt blickt Twintex optimistisch in die Zukunft: Die Auftragslage würde wieder besser werden und immer mehr Kunden kämen zurück aus Asien. Dies sei, obwohl es viel Umdenken erfordere, ein gutes Zeichen.

Von einer ähnlichen Situation berichtete Alexander Karl, Heika Confection aus Tunesien. Im Gegensatz zu Osteuropa ist dort die Modeindustrie nach wie vor attraktiver Arbeitgeber. Man habe nur wenige Mitarbeiter und damit Kapazitäten verloren. Aktuell befinde sich Tunesien bereits fast wieder auf Vor-Corona-Niveau. Problematisch seien jedoch Lohnerhöhungen und eine hohe Inflation plus die Wechselkursthematik, die insgesamt zu Preiserhöhungen führen werde.

Schnelligkeit durch Digitalisierung

Wie alle anderen haben auch die in der Türkei ansässigen Produzenten mit steigenden Preisen zu kämpfen. Jedoch stellt sich die Situation durch die Möglichkeiten der digitalen Produktentwicklung etwas anders da. Ergin Aydin und Esra Caglarer, TIHCAD (Turkish Exporters and Employees Association) hoben hervor, dass die hohe Nachfrage dank schnellerer Abwicklung durch Digitalisierung gut zu bewältigen sei. Beide rufen dazu auf, die Zurückhaltung neuen Technologien gegenüber schneller abzulegen – es benötige neue Strategien, um kollektiv gute Lösungen zu erarbeiten.

Mit der Vorstellung seiner digitalen Sourcingplattform präsentierte Philipp Grüntker, Foursource Group GmbH eine mögliche Lösung, um schnell und kostengünstig einen Überblick über die gesamte Lieferantenlandschaft zu erhalten. Da Sourcing-Reisen bis auf Weiteres stark reduziert sind, sei die Zusammenarbeit und der unkomplizierte Austausch im Produzenten-Netzwerk für Einkäufer ein starker Wettbewerbsvorteil. Wie weit diese digitale Entwicklung in Zukunft geht, sei extrem spannend, merkte Christopher Veit, Veit GmbH an: „Was schaffen wir, wirklich zu digitalisieren und wie viele echte Treffen und Reisen werden künftig übrig bleiben?“

Druck der Länder wächst

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit den steigenden Kosten der Druck auf alle Teilnehmer der Supply Chain wächst. Alle Länder stehen vor den gleichen Herausforderungen. Dazu kommen weitere Regularien wie das Lieferketten- und das Sorgfaltspflichtgesetz. Beschaffungsprozesse seien komplex, dennoch sollte das Supply Chain Management kein Wettbewerbsvorteil sein – am Ende stehe allein das Produkt im Vordergrund, so Guido Brackelsberg, Setlog GmbH.

Die Teilnehmer des Infotages waren sich einig, dass eine Lösung nur gemeinsam realisiert werden kann und Investitionen nötig sein werden. Die Digitalisierung ist ein Baustein für den Erfolg.

Daneben wird es darauf ankommen, Schlüsselpositionen gut zu besetzen – Fach-Kompetenz und Branchen-Wissen sind unerlässlich. Neue Sourcing-Strategien müssen via Managemententscheidung in den Unternehmen durchgesetzt werden.

Es besteht großer Handlungsbedarf und der absolute Wille zum Dialog.

Leonhard Kiel, DTB Vorstandsvorsitzender:

„Ich möchte mich bei allen Teilnehmern für die gelungene Veranstaltung bedanken. Was sich heute bestätigt hat: Die Probleme sind zwar länderbezogen, doch überall dieselben. Dazu kommt, dass ich für die Bereiche Logistik und Transport leider ebenfalls keine großen Hoffnungen machen kann. Sicherlich bis Mitte nächsten Jahres wird sich speziell im See- und Luftfrachtbereich keine große Entspannung der Kostensituation ergeben. Auch die Alternativen, wie die transsibirische Eisenbahn oder die LKW-Seite haben mit Problemen zu kämpfen. Umso wichtiger ist der Austausch und das Verständnis untereinander, um die Lieferketten wieder zu stabilisieren.“

Die veränderte Beschaffungssituation durch sich im Umbruch befindende Lieferketten und personelle Veränderungen in den Produktionsländern zwingt die Branche zum sofortigen Handeln. Neue Sourcing- Strategien müssen gefunden werden und langfristige Partnerschaften in der textilen Kette vom Produzenten bis zum Handel wieder etabliert werden.