18.07.22 – Containerchaos — read English version

Sinkende Frachtraten im Herbst

Die deutsche Wirtschaft ächzt unter Containermangel, Stau von Containerschiffen, teuren Hinterlandverkehre. Langfristig ist aber Entspannung in Sicht.

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Containerterminal im Hamburger Hafen: Aktuell stauen sich Schiffe auf der Nordsee, die auf eine Entladung warten. © HHM/Thomas Wagener

 

Die Supply Chain-Experten des Bochumer Softwarehauses Setlog gehen zwar davon aus, dass die Auswirkungen der aktuellen Krise noch weit bis ins Jahr 2023 reichen werden, prognostizieren aber sinkende Seefrachtraten im vierten Quartal 2022. Aus einer Analyse von 80 Setlog-Kunden und -Brands vom 22. Juni 2022 lässt sich zudem ablesen: Importeure von schnelldrehenden Konsumgütern lernten aus der Misere und bestellen ihre gewünschten Produkte heute im Schnitt eine Woche früher als noch im Jahr 2020 und vor der Corona-Pandemie, um so die Zahl der Warenverspätungen zu reduzieren. Ein weiteres Ergebnis: Ihre Produktion verlagern sie nicht von Fernost nach Europa.

Die Nachwirkungen des Lockdowns in Schanghai, ausgefallene Abfahrten von Containerschiffen und der Streik in einigen deutschen Häfen machen der Wirtschaft schwer zu schaffen: Allein in der deutschen Bucht warten laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) Containerschiffe mit einer Kapazität von rund 150.000 Standardcontainern auf das Anlaufen in Bremerhaven und Hamburg. Vor den Häfen in Rotterdam und Antwerpen ist die Situation noch dramatischer. „Die Folgen sind nicht nur Verspätungen, sondern auch ein Containermangel. Ein Ausweichen zu kleineren Häfen ist problematisch, weil dort Platz und eine starke Infrastruktur für die Transporte ins Hinterland fehlen. Wenn die Schiene keine Alternative ist, bleiben teure Direkttransporte mit Lkw die einzige Option“, berichtet Setlog-Vorstandsmitglied Ralf Düster. Die Logistikdienstleister hierzulande stünden zudem vor dem Problem, aufgrund des Personalmangels ihre Kapazitäten nicht hochfahren zu können. Kurzfristig geht Düster nicht von einer Besserung der Seefrachtraten aus – aber langfristig ab dem vierten Quartal dieses Jahres, wenn auch die Reedereien mitspielen.

Gleicher Meinung ist auch Patrick Merkel, Geschäftsführer von Prologue Solutions: „Die Inflation, die Zinswende und die hohe Preise in verschiedenen Sektoren sprechen dafür, dass die Raten sinken werden.“ Aufgrund der geopolitischen Lage und den Folgen der Coronapandemie erwarten Logistikdienstleiter im kommenden Halbjahr tendenziell weniger Geschäft. Verladende Unternehmen profitieren zudem von Reedereien, die mehr Kapazitäten aufgebaut haben.

Während manche Branchen für sensible Waren und Komponenten über duale Produktionen und auch Re- und Nearshoring nachdenken, nahmen laut der Analyse die Anbieter von schnelldrehenden Konsumgütern Produktionsverlagerungen nach Europa oder nach Deutschland nicht vor. Nur ein bis zwei Prozent ihres Gesamtvolumens von Bekleidung lassen die Unternehmen in Osteuropa oder Nordafrika produzieren – daran hat sich seit Pandemiebeginn nichts geändert. Auch der Anteil der Produktion in der Türkei liegt konstant bei etwa 11,5 %, der von China bei 11,0 %. Mehr Geschäft konnten jedoch die Lieferanten in Bangladesch und Vietnam an Land ziehen. Der Anteil Bangladeschs stieg während der Pandemie von 28,0 auf 32,0 %, der von Vietnam von 4,5 % auf 7,3 %.

Die Folgen von Covid-19 führten in einigen Unternehmen offenbar zu einem Umdenken. Sie investieren in Strategien und Systeme, um die Verfügbarkeit von Waren zu erhöhen und insgesamt flexibler bei ungeplanten Veränderungen in der Lieferkette reagieren zu können. „Immer mehr Unternehmen kommen auf uns zu, um zu erfahren, wie man mithilfe von Software mehr Transparenz in die Kette bekommt und alle Supply Chain-Partner nahezu in Echtzeit über Veränderungen informieren kann“, berichtet Düster. „Verfügbarkeit und Resilienz zählen bei vielen Managern inzwischen mehr als Kosteneinsparungen.“ Er kennt Unternehmen, die darauf achten, dass Produkte oder Komponenten im Dual Sourcing verfügbar sein müssen – an jedem Standort. „Unternehmen werden Einkäufer bald nicht mehr nach Kosteneinsparungen bewerten, sondern andere Kriterien intensivieren“, prognostiziert der Manager.