01.07.15 — read English version
N.S.T. Apparel: Die Zeit war reif
Eine Geschichte über Unternehmertum vom Besten, von intelligenten Auslandsinvestitionen und Risikomanagement, über Unternehmenswerte und darüber, wie man im äußerst wettbewerbsintensiven globalen Konfektionsmarkt erfolgreich besteht.
Am Anfang stand die Erkenntnis von Stephanie und Lawrence De Los Santos, CEOs des in zweiter Generation agierenden philippinischen, vertikal agierenden Textil- und Bekleidungsunternehmens N.S.T. Apparel Group, die Zeit für Diversifikation sei gekommen.
An insgesamt drei Fertigungs-Standorten rund um die philippinische Hauptstadt Manila beschäftigt das im Privatbesitz befindliche Unternehmen aktuell ca. 7.000 Mitarbeiter. Die Vereinigten Staaten stellten bis dato mit zuletzt 92 Prozent den Hauptabsatzmarkt für den Hersteller von DOB dar. Das Portfolio reicht von Konfektion über Denim und Casual Wear bis zu T-Shirts und Web-Oberteilen (Gesamtproduktion in 2014: rund 14 Mio. Teile).
Und die USA bleiben essentiell wichtiger Zielmarkt des von jeher dynamischen, wachstumsorientierten Zulieferers renommierter Marken, darunter Ann Taylor, Brooks Brothers, Ralph Lauren, Abercrombie & Fitch, Anthropologie, Nordstrom, Vineyard Vines. „Wenn weiteres Wachstum, dann in vielversprechenden Märkten“, erläutert Lawrence de Los Santos die Intention. Statt dem Beispiel „Wettbewerb allein über Volumen“ vieler asiatischer Unternehmen zu folgen, war damit die Zielrichtung klar: Eintritt in den europäischen Markt. Der naheliegende Ansatz Beteiligung oder Partnerschaft wurde schnell wieder verworfen.
Folgerichtig kam es zum direkten Engagement nebst Aufbau eines Fertigungsbetriebes vor Ort in Europa. Die Standortwahl fiel auf Paredes (Hochburg der Polsterherstellung bevor die Krise auch Portugals Textilbranche erreichte). Rund 65 km von Porto entfernt führt das Städtchen die traurige Statistik der höchsten Arbeitslosenrate des Landes an. Hier, 12.000 km entfernt von Manila, hat N.S.T. Apparel seine Europa-Fertigung platziert. Was mögen die ausschlaggebenden Kriterien gewesen sein, das Entrée in den europäischen Markt vom südlichsten Zipfel des Kontinents aus zu starten?
„Because of its people“, antwortet Lawrence De Los Santos und führt die ausgezeichneten Fertigkeiten der Arbeitskräfte, die daran gekoppelte hohe Produktivität, die in hohem Maße wettbewerbsfähigen Lohnkosten, die optimale Unterstützung seitens der portugiesischen Regierung und Behörden, jedoch in einem Atemzug auch die artverwandte Kultur ins Feld: „Wir teilen dieselben moralisch-christlichen Werte.“ Statement seitens CEO Stephanie De Los Santos beim lokalen Fernsehsender anlässlich der Eröffnung von N.S.T. Apparel Portugal im Mai 2014, bei der auch Luis Campos Ferreira, Staatsekretär für Auslandsinvestitionen, zugegen war:„Als wir nach einem Land gesucht haben, um für N.S.T. Apparel zu investieren, war eines der Kriterien, nachhaltig etwas zu bewegen und zwar nicht nur geschäftlich, sondern auch in die Lebensqualität der dort lebenden Menschen.“
Eine Schlüsselrolle bei der Wahl des Standortes Portugal spielte aber auch die langjährige Verbindung zu Ana Maria Amorim, die das mit der Aufbauphase an Bord geholte Management-Team vor Ort rekrutierte und die Geschäfte der N.S.T. Apparel (Europe) Lda. leitet. Über ihr Netzwerk gelang es ihr, Joao Magalhaes ins Team zu holen, einen erfahrenen Produktionsleiter im Bereich Nähgut mit fundiertem Managementwissen. Nach dem Start mit einer Truppe von zehn Mitarbeitern Anfang 2014 war es vor allem er, der die 140 qualifizierten Nähkräfte aus der Gegend anwarb, die bis heute in insgesamt zehn Produktionslinien arbeiten. Inzwischen arbeiten 215 Nähkräfte hier. „Wir hatten rund 1.000 Bewerbungen und zahlreiche Gespräche. Das Schwierigste war, die zu enttäuschen, die unsere hohen Anforderungen an die Nähfertigkeiten nicht erfüllten”, erinnert sich Joao Magalhaes.
Inzwischen scheint die Produktion komplett zu laufen und zwar auf höchstem Qualitätsniveau. Top-Marken aus ganz Europa (Konfektionsmarken französischer Couture-Häuser sowie britischer Premium-Marken) verlassen sich schon heute auf N.S.T. Apparel Portugal. Die tägliche Kapazität bei Einschichtbetrieb lag zuletzt z.B. bei 300 Jacken und 300 Hosen.
Durchschnittlich sind 80 bis 90 Teile in einer Order. Das Angebot umfasst aktuell 75 Prozent HAKA (Konfektion und Sportswear), 25 Prozent DOB und 5 Prozent KIKO. Verarbeitet werden überwiegend Stoffe und Zutaten aus Portugal Italien und Großbritannien. N.S.T. Apparel bietet in den Philippinen als auch in Europa gleichermaßen heute reine Lohnfertigung sowohl Full-Package-Service an.
Die Strategie ist so einfach wie clever: die Zusammenarbeit mit einem Kunden beginnt zunächst klein, wächst jedoch dank überzeugender Leistung. Hierzu zählen gleichbleibende Qualität, Service rund ums Produkt, Preise, überzeugende Vorlaufzeiten und die Flexibilität, voll auf Kundenwünsche einzugehen. Das vorgegebene Ziel: Immer mehr und immer interessanteren Akteuren auf dem europäischen Markt alles aus einer Hand zu bieten. „Wir zielen auf Portfolio-Kunden ab”, fasst es Luis Albuquerque zusammen, der sich um Vertrieb und Marketing kümmert. „Und das funktioniert“, fügt Ana Maria hinzu.
Geprüfte Prozessbeschreibungen und Qualitätsdefinitionen sind vorhanden wie auch eine effiziente Fertigungssteuerung, systematische und fortlaufende technische aber auch stoffbezogene Fortbildung für sämtliche Maschinenbediener „damit jeder das Niveau der Produktion begreift“ einschließlich Train-the-Trainer-Kursen nebst Hintergrundwissen im Bereich Marketing – all das hat gewiss großen Einfluss auf die Erfolgsgeschichte von Anbeginn gehabt. Und die ISO-Zertifizierung ist ein weiteres Ziel, das es „in den kommenden 12 Monaten“ zu erreichen gilt.
Aus der sorgfältigen Analyse der Automatisierungslösungen resultierte eine uneingeschränkte Festlegung auf Gerber Technology Systeme für die Schnittentwicklung, Gradierung und Schnittbilderstellung mithilfe von Accu-Mark und hier dem EasyPlan Modul im Besonderen, aber auch mit Accu-Nest zur zusätzlichen Schnittbild-Optimierung. Für die Investition in zwei von Gerbers brandneuen Zuschneidesystemen Paragon LX für mittlere bzw. Hochlagen war der entscheidende Faktor die im System integrierte „Intelligenz“, die versteht, dass ein subtiles Gleichgewicht zwischen Schneidegeschwindigkeit und Zuschnitt-Teilequalität besteht.
Paragon analysiert die Anforderungen jedes einzelnen Zuschnitt-Auftrages, wählt die Parameter für maximale Geschwindigkeit und optimale Qualität aus und liefert so von Anfang an perfekte Zuschnitt-Teile. Insgesamt drei Gerber-Legemaschinen der XLs-Serie speisen die neuesten Zuschnittlösungen von N.S.T. und gewähren spannungsfreies Legen und perfekte Ausrichtung bei Liege- und Rollenware.
In der Produktion werden Dürkopp, Juki und Pfaff-Maschinen für spezielle Nähschritte in den verschiedenen Konfektionslinien eingesetzt: Herren- und Damenbekleidung, eine Linie Kinderkollektion. Im Bereich Bügeln und Fixieren dominieren Brisay, Veit und Kannegiesser-Lösungen. Hierzu Joao Magalhaes: „Wir haben die Ressourcen und auch das Know-how, um selbst schwierigste Teile zu produzieren und dazu die besten Lösungen in puncto Technik.“
[Yvonne Heinen-Foudeh]
2015 ist Wahljahr in Portugal (Oktober) und die liberal-konservative Partei von Pedro Passos hat gute Nachrichten: 2014 sank das Haushaltsdefizit des Landes stärker als erwartet. Bereits im Mai konnte Portugal das Hilfsprogramm von EU und internationalem Währungsfond verlassen. Erkauft wurde die Sanierung u.a. mit drastischen Kürzungen im öffentlichen Dienst; Portugal verpflichtete sich zu Einsparungen, Umstrukturierungen und zur Privatisierung von Staatsbetrieben.
Im Oktober 2014 belief sich die Arbeitslosenrate auf 13,4 Prozent, in der Altersgruppe bis 25 Jahre auf mehr als 40 Prozent. Gleichzeitig wurde das Land am südlichen Ende Europas von einer Kette von Korruptionsaffären sowie dem Skandal um die frisierten Bilanzen der Bank Esperito Santa geschüttelt. In diesem Zusammenhang hat der Begriff des „Golden Visa“, dessen sich hohe Beamte bedienten, um sich die freie Bewegung im „Schengen-Raum“ zu sichern, Negativ-Schlagzeilen begründet. Gleichzeitig wurden im Rahmen von „Golden Visa“-Programmen aber auch Investoren wie eben der philippinischen N.S.T.-Gruppe Anreize geboten, im Land zu investieren: Zu den Erfüllungskriterien zählt die Barzahlung von 1 Mio. Euro, die Investition von 500,000 Euro in eine Immobilie sowie die garantierte Schaffung von Arbeitsplätzen. Gemäß Schätzungen resultieren bis dato Investition im Wert von rund 1 Mrd. Euro aus dem Golden Visa-Programm.