30.04.21 – Nachhaltigkeits-Start-ups – Folge 10: Digitale Strickmanufaktur PoC
Ziel Zero (10): Das Unmögliche wagen
Alles was wir an Bekleidung tragen, sollte entweder recycelbar oder vollbiologisch abbaubar sein. Innovative Start-ups zeigen neue Wege auf.
Der Gedanke fasziniert Branchenpraktiker und Textilforscher ebenso wie Quereinsteiger: Eines möglich frühen Tages sollte alles, was wir an Bekleidung tragen, entweder recycelbar oder vollbiologisch abbaubar bzw. verrottbar sein. Auch sind nachhaltige Textiltechniken gefragt. Dafür sind keine Patentrezepte in Sicht, wohl aber Einzelschritte, die mit neuen Materialien und Technologien in die richtige Richtung zielen. textile network stellt in lockerer Folge Start-ups aus dem deutschsprachigen Raum vor, die mit Blick auf eine verbesserte Kreislaufwirtschaft deutlich die Grenzen des bisher Möglichen sprengen.
Folge 10: Digitale Strickmanufaktur PoC (Krefeld)
Von Order bis Lieferung: Statt einem halben Jahr nur noch maximal drei Tage
Produktion am Point of Sales: Was vor zehn Jahren in einer Studie von Textil und Mode noch absolute Zukunftsmusik war, setzt jetzt ein Krefelder Startup Stück für Stück um. Die Digitale Strickmanufaktur stellt dafür die bisherige textile Wertschöpfung zumindest bei Flachstrickwaren auf den Prüfstand. Ziel ist es, die 3D-Stricktechnik via Cloud und Robotik auf kürzestem Weg mit dem Kunden bzw. Webshops zu verbinden. Auf diese Weise verliert die traditionelle und vielgliedrige Lieferkette an Bedeutung; Zeit wird eingespart, Transportwege verkürzen sich radikal. Die Folge: Modische Strickwaren stehen damit ab Order und Produktion bis hin zur Auslieferung nicht mehr monatelang auf der To-do-Liste unterschiedlicher Akteure, sondern werden lokal, das heißt in unmittelbarer Nähe produziert und sind in kürzester Frist beim Besteller. Fragen an Co-Gründer Bartho Schulte, der mit seinem Unternehmenspartner Christian Zarbl die Textilindustrie radikal erneuern will.
textile network: Ihr Ansatz ist revolutionär …
Bartho Schulte: … und folgerichtig, wenn man das bisherige Supply Chain-Management überdenkt und dank neuer digitaler Möglichkeiten in Frage stellt. Seien wir doch ehrlich: Jeder, der sich auf Mode- und Fashion professionell einlässt, muss oft ein halbes oder gar ein Dreivierteljahr vorher die Kollektionen quer über den Globus ordern. Das ist weder zeitgemäß noch nachhaltig. Gerade in den letzten Jahren gab es so viele innovative Sprünge, doch die Lieferketten waren davon so gut wie ausgenommen. Das wollen wir von der Digitalen Strickmanufaktur mit einer völlig neuartigen Technologie, die Handarbeit außen vor lässt, ändern. Dabei kommt uns zugute, dass wir beiden Gründer an der RWTH Aachen Maschinenbau studiert und in Unternehmensberatungen gearbeitet haben. Wir kennen also, wenn Sie so wollen, die Hard- und Softwareseite des Geschäfts. Beides muss überdacht und verändert werden.
Digitale Strickmanufaktur PoC auf einen Blick:
Gründung: 2020
Gründer: Christian Zarbl, Bartho Schulte (beide 31)
Mitarbeiter: 6
Alleinstellung: Cloudbasierte, nachhaltige Verkürzung der Lieferkette zunächst von Flachstrickwaren durch digitale Verknüpfung von Bestell-, Produktions- und Liefervorgängen
textile network: Gerade zu Corona-Zeiten steht so manche Lieferkette auf dem Prüfstand. Sie setzen auf eine radikale Veränderung?
Bartho Schulte: Dieses Sprachbild trifft es gut. Uns geht es um darum, den gesamten Prozess um den Faktor 100 einzudampfen: Statt bisher 6 bis 9 Monate soll es möglich werden, in ein bis höchstens drei Tagen zu produzieren und auszuliefern. Unser Konzept: Wir fertigen auf industriellen 3D-Strickmaschinen On-Demand Kleidung und Accessoires wie Pullover, Mützen und Schals. Auf diese Weise kann ein unlimitiertes Angebot an Artikeln, Größen und Farben abgerufen werden. Entsprechende Bestellungen ab Losgröße 1 setzen via Cloud die Produktionstechnik automatisiert in Gang, der Versand erfolgt noch am gleichen Tag. Das ist generell attraktiv für die Kreativwirtschaft, die damit wieder komplett auf „Made in Germany“ setzen kann, aber auch für Webshops kleiner Marken sowie für Influencer. Vielleicht gelingt es uns, damit auf die gesamte Bekleidungsindustrie abzufärben. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) jedenfalls findet unser Konzept nicht nur spannend, sondern unterstützt uns bis 2022 mit Fördermitteln. Das Projektthema dürfte für die Branche von Interesse sein: Verbindung von Textilhandel und automatisierter Textilfertigung mit Hilfe von Cloud-Services.
textile network: Geht diese Rechnung auf, bringt das viele Vorteile …
Bartho Schulte: … stimmt. Wenn auftragsbezogen ab einer Mindestmenge 1 wirtschaftlich und flexibel produziert wird, müssen die Waren beispielsweise nicht mehr vorfinanziert werden. Auch fallen keinerlei Inventar-/Lager- und andere Logistikkosten mehr an. Ganz wichtig: Am Ende der Saison bleibt nichts mehr über und muss gegebenenfalls zu Niedrigpreisen angeboten werden. Mit unserem Konzept ist das bekannte Risiko, auf unverkaufter Ware sitzen zu bleiben, ausgeschlossen. Um an dieser Stelle nochmals an den Nachhaltigkeitsgedanken zu erinnern: Weltweit wird ca. 30 bis 40 Prozent der produzierten Waren nicht verkauft. Das kann mit Blick auf Ressourcenverschwendung und CO2-Bilanz nicht so bleiben.
textile network: Was passiert 2021 in Ihrem Startup, was bis zur Mitte des Jahrzehnts?
Bartho Schulte: Nachdem wir gleich nach Gründung 2020 erste 3D-Produkte produziert und verkauft haben, wollen wir in diesem Jahr vor allem weitere Vertriebspartner gewinnen und über die Cloud anbinden: Webshops, Modemarken, Textilveredler bzw. auch Anbieter von Merchandising, Influencer, vielleicht aber auch schon größere Häuser mit Interesse an unserem Konzept – dabei wäre es denkbar, beispielsweise über Nacht in den Distributionszentren die verkauften Artikel vom Vortag nachzuproduzieren. Die konsequente Digitalisierung und Automatisierung erlaubt es uns ja vor allen Dingen maßgeschneiderte Produkte kostenkompetitiv in Deutschland zu produzieren. Dazu bieten wir einen eigenen technischen Service. Will heißen: Unsere Mitarbeiter binden die Shops technisch an unser System an.
Bis 2025 werden wir personell gewachsen und über den deutschsprachigen Raum hinaus aktiv sein, ein mittlerer zweistelliger Millionenumsatz ist dabei bis 2025 unser angepeiltes Ziel. In wenigen Jahren, da sind wir uns einig, wird die On-Demand-Produktion dann eher die Regel als wie heute noch die Ausnahme sein. Wir werden vielleicht über Kooperationspartner weltweit dort Fertigungsstätten haben, wo Millionen Menschen in unmittelbarer Nähe wohnen.