29.09.16 – Afrikanische Baumwolle

Interview mit Afrika-spezialist Gérald Estur

textile network möchte aufklären und informiert auf der Themenseite Baumwolle kontinuierlich über alles Wissenswerte zum Thema Baumwolle. In diesem Artikel wird das Thema der "afrikanischen Baumwolle" näher behandelt.

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Foto: Bremer Baumwollbörse

 
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Der afrikanische Baumwollsektor hat wesentliche Hürden zu überwinden, um sich gegenüber den großen Anbietern auf dem Weltmarkt erfolgreich behaupten zu können. Das afrikanische Potential ist immens groß, nur ein geringer Teil davon ist ausgeschöpft. Über die Chancen afrikanischer Baumwolle sprach die Bremen Cotton Report-Redaktion mit dem Afrika-spezialisten Gérald Estur. Der Franzose arbeitet derzeit als Berater für die Baumwollwirtschaft und war unter anderem lange Jahre als Statistiker für das International Cotton Advisory Committee (ICAC), Washington sowie als Geschäftsführer für das Han­delshaus Compagnie Cotonnière Copaco S.A. in Paris tätig.

Bremen Cotton Report: Was sind die Merkmale des afrikanischen Baumwollmarktes bezogen auf die Situation in unterschiedlichen Regionen wie Nord-, West-, Ost- und Südafrika?

Gerald Estur: Die Landwirtschaft beschäftigt 60 Prozent der Bevölkerung in Afrika. Der Sektor erzielt etwa 25 Prozent des afrikanischen Bruttosozialprodukts. Baumwolle spielt eine wichtige Rolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Kontinents. Sie wird in etwa 35 von 54 afrikanischen Ländern angebaut. Sie hat eine zentrale Bedeutung, wenn es um die Bekämpfung von Armut geht. Schließlich gilt die Naturfaser als cash crop bzw. wertvolles Produkt, das für Einkommen und Beschäftigung sorgt. Vorherrschend im afrikanischen Anbau sind unzählige Kleinbauern, die mit ihren Familien auf kleinen Flächen geringe Produktionsmengen erzeugen. Die Arbeit ist beschwerlich, das Einkommen liegt an der Armutsgrenze. Die Aussaat und die Ernte erfolgen von Hand. Zur Bodenbearbeitung werden allenfalls von Ochsen gezogene Pflüge eingesetzt.

Wie sieht es mit den Erträgen aus?

Gerald Estur: Je nach Verfügbarkeit von Saatgut, von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln oder ausreichender Bewässerung schwanken die Erträge in den einzelnen Regionen. Vorherrschend ist Regenfeldbewässerung. In nordafrikanischen Ländern wie Ägypten, Äthiopien und Sudan wird zusätzlich künstlich bewässert. Deswegen liegen die Erträge mit Werten von etwa 600 kg/ha höher als in Westafrika mit 400 kg/ha oder mit 250 kg/ha in Süd- und Ostafrika. Dennoch liegen sie aber insgesamt weit unter den Weltdurchschnittserträgen von derzeit 745 kg/ha. Die Anbauflächen schwanken in Abhängigkeit zu den von Absatzgesellschaften gezahlten Preisen. In einigen Ländern werden sie bereits vor Beginn der Aussaat festgelegt, in anderen erst gegen Ende der Saison. Damit liegen die wirtschaftlichen Risiken in Abhän­gigkeit von der Weltpreisentwicklung entweder bei den Produzenten oder aber bei der Vermarktungsgesellschaft. Vielfach schließen Vermarktungsgesellschaften Abnahmeverträge für die Ernte ab, in dem sie Saatgut und Inputs zum Beispiel gegen Kredit zur Verfügung stellen, die durch Ankauf der Ernte wieder verrechnet werden.

Was sind die größten afrikanischen Produktionsländer?

Gerald Estur: Die Länder Afrikas werden, wie dem aktuellen Jahresbericht der Bremer Baumwollbörse zu entnehmen ist, in der Saison 2015/16 etwa 1,56 Millionen Tonnen und damit etwa einen Anteil von sieben Prozent der in der Welt hergestellten Baumwolle produzieren. Länder Westafrikas wie Burkina Faso, gefolgt von Mali, der Elfenbeinküste, Benin und Kamerun gehören zu den größten Produzenten. 85 Prozent von Afrikas Baum­wolle wird exportiert. In der Saison 2015/16 dürfte der Export aller afri­kanischen Länder etwa 1,3 Millionen Tonnen betragen. Das wären 17,8 Prozent der Weltexporte. Die Franc-Zone ist mit 1,02 Millionen Tonnen und einem Anteil von 13,7 Prozent am Welthandel der größte afrikanische Exporteur. Den Rest nehmen die Länder Ost-, Nord- und Südafrikas ein. China importiert etwa die Hälfte von Afrikas Baumwolle. Bangladesch, Indonesien, Vietnam und Thailand sind ebenfalls wichtige Importländer. Nur etwa 1,5 Prozent der Baumwolle wird im eigenen Land verarbeitet.

Was sind die Schwächen der afrikanischen Baumwollproduktion?

Gerald Estur: Schwächen der afrikanischen Baumwollwirtschaft liegen in unzureichendem Zugang zu Inputs, suboptimalen Produktionspraktiken, geringer Intensität von Forschungs-und Entwicklungsprogrammen und der Tatsache, dass der größte Teil der afrikanischen Baumwolle aus­schließlich von Regen bewässert wird. Der größte Teil des Anbaus im Rest der Welt erfolgt durch künstliche Bewässerung. Weitere wichtige Faktoren sind eine abnehmende Bodenfruchtbarkeit, unvorteilhafte Wetterbedingungen auch vor dem Hintergrund des Klimawandels, schlechte Saatqualität sowie ein Mangel an neuen und besseren Baumwollsorten.

Wie steht es um die Qualität afrikanischer Baumwolle?

Gerald Estur: Normalerweise sollte man annehmen, dass Ernten von Hand ein entscheidender Vorteil gegenüber maschinengeernteter Baumwolle sein sollte. Handgepflückte Baumwolle sollte sauberer sein, weil sie weniger Nissenbefall und geringere Kurzstapelanteile aufweist als maschinengeerntete Baumwolle. Dort müssen im Entkörnungsprozess höhere Anteile an Blatt- und Stilresten entfernt werden. Doch entkörnte afrikanische Baumwolle ist bekannt für ihren erhöhten Anteil an Fremdmaterialien wie Verpackungsresten und Fremdfasern, was im Verkauf zu Preisabschlägen führt und Weiterverarbeitungsprozesse erheblich stören kann. Die Preise für afrikanische Baumwolle geraten auch durch die Art und Weise unter Druck, wie sie vermarktet und verschifft wird. Die Überprüfung der Qualität afrikanischer Baumwolle erfolgt überwiegend durch Klassieren von Hand. Das Fehlen von zuverlässigeren und objektiven instrumentellen Testergebnissen hat negativen Einfluss auf die zu erzielenden Preise.

Was kann getan werden, um die Produktivität des afrikanischen Baumwollanbaus zu steigern?

Gerald Estur: Das Potential des afrikanischen Baumwollanbaus ist noch lange nicht ausgeschöpft. Große Mög­lichkeiten zur Verbesserung von Produktivität und Qualität liegen im Ausbau von intelligenten Bewässerungsmethoden. Wichtig ist der Einsatz von vorbeugenden Pflanzenschutzmethoden unter dosierter und sinnvoller Verwendung von Pestiziden gegen Ernteschäden durch Schädlingsbefall. Auch der Einsatz von BT-Saatgut sichert wirtschaftliche Risiken ab und vermindert gleichzeitig den Einsatz von Pestiziden. Ebenso dürfte eine Teilmechanisierung in Anbetracht des auch in Afrika knapper werdenden Faktors Arbeit eine wichtige Maßnahme sein, um die Produktivität der Baumwollwirtschaft entscheidend zu steigern.

Wie lässt sich die Exportabhängigkeit der afrikanischen Baumwolle und damit auch von den Preisen verringern?

Gerald Estur: Grundsätzlich liegt der Schlüssel des Erfolgs hier im Ausbau einer vertikal integrierten nachgelagerten Produktionskette im Bereich Textil-und Bekleidung. Doch Afrika hat bislang nur marginale Bedeutung bei der Verarbeitung von Baumwolle. Die einheimische Textilindustrie ist meist nicht wettbewerbsfähig, auch wegen des hohen Anteils der Importe von neuer und gebrauchter Kleidung. Die Baumwollverarbeitung Afrikas dürfte in der aktuellen Saison 15/16 mit 378.000 Tonnen weiter stagnieren. Ägypten steht für die Hälfte des Spinnereiverbrauchs in Afrika. Gute Ansätze sind z. B. aus Äthiopien zu hören, wo neben dem Aufbau von Industriezonen auch die Investitionen ausländischer Investoren gefördert werden. Generell braucht die Entwicklung Zeit. Es mangelt an Energie, Transportwegen und an der Qualifikation von Arbeitskräften. Die Intensität der Bemühungen ist von Land zu Land und in Abhängigkeit von den jeweiligen Regierungssystemen sehr unterschiedlich. Gleichwohl hat Afrika eine große Zukunft vor sich.

In Afrika wird häufig kritisiert, dass Unterstützungsprogramme der großen Baumwollproduktionsländer Druck auf die internationalen Preise ausüben, was zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit afrikanischer Länder führt. Trifft die Kritik in der Form heute noch zu?

Gerald Estur: Die derzeit niedrigen Preise sind heute noch immer auf ein großes Ungleichgewicht zwischen dem Angebot und der Nachfrage von Baumwolle, resultierend aus hohen Lagerbeständen zurückzuführen. Ein Großteil der Bestände lagert in China, was Folge einer nicht marktgerechten Regulierungspolitik der Regierung ist. Aktuelle Untersuchungen des ICAC zeigen aber, dass der Anteil an direkter Unterstützung bezogen auf die Gesamtproduktion von Baumwolle durch Regierungen in der Saison 2015/16 im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen ist.

Herr Estur, vielen Dank für das Gespräch!

Die Interviews aus der Rubrik „Nachgefragt“ entsprechen der Meinung des jeweiligen Interviewpartners und geben nicht die Position der Bremer Baumwollbörse als neutrale, unabhängige Institution wieder.

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