14.12.21 – SDG 7 in der deutschen Textil- und Modeindustrie

Nachhaltige Energieversorgung – So geht’s!

Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle ... Warum das SDG 7 auch für die deutsche Industrie eine zentrale Bedeutung hat, wissen die Mitglieder des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie.

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Michael Engelhardt, Energieexperte beim Gesamtverband textil+mode: „Der Weg in die Klimaneutralität darf nicht das Aus für die mittelständische Industrie bedeuten.“ © textil+mode

 
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Am Standort Bietigheim-Bissingen ist Olymp klimaneutral. © Olymp

 
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Die Firma Schöffel zeigt an ihrem Unternehmenssitz in Schwabmünchen, wie ein ressourcenschonender Geschäftsbetrieb einer Sport- und Outdoor-Marke funktioniert: Decken und Wände im Gebäude speichern Energie, um die Räume optimal zu temperieren. Wasser aus einem eigens angelegten Brunnen auf dem Firmengelände kühlt den Serverraum und wird anschließend einige Grad wärmer in die Heizung eingespeist. Energie wird auf diese Weise nicht nur beim Heizen eingespart, das Konzept ersetzt auch eine Klimaanlage. Nicht mal das Wasser wird verbraucht, sondern verbleibt im Kreislauf. Auch der Strom kommt aus einer eigenen Photovoltaik-Anlage. „Nachhaltigkeit ist kein Hobby – es ist eine Lebenseinstellung und eine Frage der Haltung“, so die Unternehmens-DNA beim bayerischen Traditionsunternehmen.

Energie sparen, wo immer es geht

Auch der Bekleidungsspezialist Olymp ist stolz darauf, dass der Firmenstandort im baden-württembergischen Bietigheim-Bissingen klimaneutral ist. Mit einem Wärmedämmsystem, einem nachhaltigen Energiekonzept basierend auf einem Blockheizkraftwerk, Abwärme-Nutzung, Wärmepumpen, einem innovativen Kühlkonzept, der Nutzung von Geothermie und einer Photovoltaikanlage und der Speicherung überschüssiger Wärme oder Kälte in einem Sprinklertank; Olymp erzeugt fast seinen gesamten Strombedarf der Logistik selbst.

Auch beim Unterwäsche-Hersteller Speidel in Bodelshausen, der südlichsten Gemeinde im Landkreis Tübingen, werden Ressourcen-Effizienz und Klimaschutz großgeschrieben. Das umfasst alle Bereiche – Verwaltung, Design, Zuschnitt und die Strickerei mit 125 Rundstrickmaschinen. Ziel im Familienbetrieb ist es, den CO2-Ausstoß auf ein Minimum zu reduzieren. CO2 äquivalente Schadstoffe, die nicht reduziert werden können, werden kompensiert. Bei Speidel bezieht dies die täglichen Arbeitswege der Belegschaft sowie Geschäftsreisen mit ein.

Für Michael Engelhardt, Energieexperte beim Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie, zeigen solche Beispiele, wie engagiert viele Mittelständler auf dem Weg zur Dekarbonisierung sind. Sie investieren, kompensieren und sparen Energie, wo immer es geht. Wer allerdings seine Produktion komplett am Standort Deutschland hat, kommt inzwischen an die Grenzen seiner Wettbewerbsfähigkeit, weil die Energiepreise nicht mehr bezahlbar sind.

„Um mit unseren Produktionsprozessen theoretisch bis 2030 aus eigener Kraft klimaneutral zu sein, benötigt die deutsche Textilindustrie eine sichere Versorgung mit etwa drei Terawattstunden (TWh) grünem Gas und etwa zwei Terawattstunden grünem Strom pro Jahr zu international wettbewerbsfähigen Preisen,“ rechnet Michael Engelhardt vor. Das ist ungefähr so viel, wie eine halbe Million Durchschnittshaushalte in Deutschland pro Jahr für Strom und Heizung verbrauchen. Zahlen die zeigen, wie groß die Herausforderung ist. Zwar hat sich bei der Speicherung von Wind- und Sonnenenergie schon einiges getan. Dennoch stößt die Planbarkeit der Versorgung immer noch an ihre Grenzen, wie das erste Halbjahr 2021 zeigt. Es fehlten genügend Wind und Sonne mit der Folge, dass erneuerbare Energien im Durchschnitt nur 43 % des Bedarfs deckten. Zudem gibt es immer wieder die sogenannten Dunkelflauten, in denen Sonne und Wind so gut wie überhaupt keinen Strom erzeugen. Auch in diesen Zeiträumen benötigen die Unternehmen aber eine sichere Energieversorgung, um ihre Produktion aufrecht erhalten zu können. Solange es nicht genügend grünen Strom oder grünen Wasserstoff zu bezahlbaren Preisen gibt, sind viele energieintensive Hersteller also noch auf fossile Brennstoffe wie Erdgas angewiesen, so auch der Textilveredler Bernd Drechsel.

Die Politik muss umdenken

In zweiter und dritter Generation führt Familie Drechsel den 1950 gegründeten Textilveredlungsbetrieb mit 140 Mitarbeitern im oberfränkischen Selb. Die Produktpalette reicht vom Waschen und Bleichen über das Färben bis zur Ausrüstung und Beschichtung von textilen Flächen. Veredelt werden unter anderem Sonnenschutztextilien, Heimtextilien, Möbelstoffe und technische Textilien.

Auch Drechsel hat seine Hausaufgaben in Richtung Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und CO2-Einsparung schon vor vielen Jahren in Angriff genommen. Neben der Modernisierung von Maschinen und Anlagen und der Optimierung von thermischen Prozessen hat das Unternehmen auch in eine eigene Photovoltaik-Anlage investiert und bezieht Strom ausschließlich aus regenerativen Energien, wie Wasserkraft. Drechsel benötigt für die Textilveredlung allerdings sehr große Mengen an Erdgas als Prozessenergie für die thermischen Prozesse und daran kommt es in Zukunft nicht vorbei, bis es ausreichend grünen Strom und grünen Wasserstoff in Deutschland gibt.

Geschäftsführer Bernd Drechsel: „Die Politik muss endlich umdenken und die richtigen Stellschrauben drehen. Wenn wir es nicht schaffen, die letzten in der Textilveredlung verbliebenen Produktionsbetriebe in Deutschland zu erhalten, dann wird die Fertigung irgendwo anders auf der Welt stattfinden – allerdings zu deutlich schlechteren Umweltbedingungen und höheren CO2-Emissionen – und Klima kennt keine Grenzen.“

Für Drechsel bedeutet der Einstieg in die CO2-Bepreisung mit 25 Euro pro Tonne CO2 eine Erhöhung der Energiekosten um 10 %, bis 2025 sind es bereits 20 %. Damit ist ein mittelständischer Auftragsveredler, wie die Firma Drechsel, in Europa und weltweit nicht mehr wettbewerbsfähig. Der deutsche Alleingang in diesem Bereich – zusammen mit der EEG-Umlage – ist für viele Mittelständler existenzbedrohend. Bernd Drechsel: „Durch die stetig wachsende Abgabenlast auf Energie können wir in naher Zukunft nicht mehr wirtschaftlich arbeiten. Mit 2021 haben wir allein für die EEG-Umlage bisher über zwei Millionen Euro bezahlt. Viel Geld, das für wichtige Neuinvestitionen fehlt. Unsere europäischen Nachbarn haben diese Kosten nicht zu tragen. Statt der versprochenen Entlastungen bei der EEG-Umlage kam bei uns jetzt noch die CO2-Abgabe on top.“

Über 70 Jahre wurde bei Drechsel jeder verdiente Euro in das Unternehmen investiert. Auch vor diesem Hintergrund appelliert der Familienunternehmer an die Politik, ihn und die 140 Mitarbeiter nicht im Stich zu lassen, sonst bleibe nur noch die Abwanderung in ein Land, das nationale Alleingänge nicht auf dem Rücken der eigenen Wirtschaft austrägt. Dabei geht es Drechsel wie vielen der 10.000 Unternehmen mit einer Million Beschäftigten, die sich im Bündnis Faire Energiewende zusammengeschlossen haben. Sie alle sind sich einig, dass es wirksame Ausgleichsmechanismen für eine Übergangszeit geben muss, die aus dem Bundeshaushalt finanziert werden, denn, so textil+mode-Energieexperte Michael Engelhardt: „Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, unsere Wirtschaft klimaneutral umzubauen. Die neue Bundesregierung muss die CO2-Bepreisung deshalb immer vom Ende herdenken. Es ist nämlich ganz einfach zu sagen: Wir wollen CO2-neutral werden. Aber der Weg dorthin ist komplex und muss mit all seinen Wirkungen und Nebenwirkungen durchdacht werden.“