03.05.21 – Interview
Textilbeton: Multiplikatoren sind jetzt wichtig
Ein Hype mit Carbonbeton wird erst nach staatlicher Rahmensetzung erwartet. textile network sprach darüber mit dem Fachexperten Roy Thyroff.
Deutschland gilt als Wiege des Carbonbetons: Seit 25 Jahren wird geforscht und entwickelt, seit zwölf Jahren macht der neuartige Leichtbau-Werkstoff oft nur mit Sonderzulassungen und zumeist an Referenzprojekten von sich reden. Composites United Bau-Geschäftsführer Roy Thyroff blickt auf die Einsatzdynamik in Asien und den USA – und sieht jetzt auch die Regierung in der Pflicht.
textile network: Herr Thyroff, Sie sind ein ausgewiesener Experte in Sachen Textil- bzw. Carbonbeton. Wo liegen in Deutschland die Stolpersteine?
Roy Thyroff: Noch sind wir damit in einer Nische, aber ich habe das Gefühl, dass der Markt inzwischen bereit ist für diese Technologie. Allerdings sind jetzt die Auftragsbücher in der Branche gut gefüllt, womit die Bereitschaft wiederum abgenommen hat, sowohl zeitlich als auch monetär in dieses Leichtbausegment zu investieren. Natürlich verhindert auch das deutsche Baurecht mit den notwendigen Zulassungen und Normierungen eine größere Einsatzdynamik. Soll Carbonbeton eines Tages mit Stahlbeton auf Augenhöhe gelangen, muss dafür in Zukunft noch viel Normierungs- und Richtlinienarbeit geleistet werden.
textile network: Was ist staatlicherseits zu tun?
Roy Thyroff: Auch vor dem Hintergrund der CO2-Belastung bei der Zementproduktion und der Sandverknappung ist letztlich die Politik gefragt, durch Vorgaben und Rahmensetzungen auch die Baubranche zum besseren Umgang mit Ressourcen zu zwingen – Recycling- oder Polymerbeton wären dazu weitere Stichworte. Das würde auch dem massenhaften Einsatz von Carbonbeton auch auf solchen breiten Einsatzfeldern wie Bauwerkssanierung, Fassadenbau und Sanierung von Industriefußböden den Weg ebnen, was wiederum Normen und Zulassungen voraussetzen würde.
Carbonbeton ist deutlich widerstandsfähiger als Stahlbeton.
Carbon ist viermal leichter und sechsmal tragfähiger als Stahl, hat also die 24-fache Leistungsfähigkeit.
textile network: Wie sieht es denn in anderen Teilen der Welt damit aus?
Roy Thyroff: Soweit ich weiß, werden in den letzten Jahren die meisten Carbon-Patente pro Kopf in Südkorea angemeldet. In den USA gibt es einen riesigen Markt für Carbonbewehrungen (Gelege, Fasern, Stäbe), ebenso in Asien und den Vereinigen Arabischen Emiraten. Inzwischen werden dort Mengen umgesetzt, die für uns sicherheitsgetriebene Deutsche utopisch sind.
textile network: Wer in Deutschland sind denn die Treiber für diese Technologie?
Roy Thyroff: Der Industrieverband für multilateralen Leichtbau Composites United e.V als Partner der Ulmer Betontage sowie die am C3 (Carbon Concrete Composite)-Cluster mitwirkenden 160 Partner aus Wissenschaft und Praxis. Wir vom Netzwerk CU Bau haben nicht nur die Technologie auf der Agenda, sondern auch solche praxisrelevanten Themen wie Nachhaltigkeit und Recyclierbarkeit, Schulungen und Seminare sowie Kooperationen mit Multiplikatoren wie den Ingenieur- und Architektenkammern.
textile network: Welche Erfolge können Sie bereits verbuchen?
Roy Thyroff: Die ersten großen Anwendungen waren Instandsetzungs- und Sanierungsfälle mit Carbonbeton, beispielsweise am Zuckersilo in Uelzen oder an Brücken wie in Naila, in der Schweiz oder in Albstadt, wo auch die erste Fußgängerbrücke aus Carbonbeton neu errichtet wurde. Ebenfalls dazu zählen die über 5.500 Textilbeton-Fassadenplatten für die Berliner U-Bahn und die Textilbeton-Vorhangfassade aus deutscher Hand für die dritte Bosporus-Brücke in Istanbul. Zu nennen sind erste Ferienhäuser und Carports aus Holzbeton-Verbund und natürlich das im Bau befindliche Dresdner Cube, das weltweit erste statisch hergestellte Gebäude aus diesem Material.
textile network: Dies wäre ohne starke Textilpartner sicher undenkbar, oder?
Roy Thyroff: Ja, das ist richtig. Mit diesen Projekten wurde zugleich auch der Nachweis erbracht, dass die Textilindustrie in relativ kurzer Zeit in der Lage ist, große Mengen an Carbongitterstrukturen bereitzustellen. Seither wusste man: Textilbeton mit nichtrostenden Bewehrungen sind verfügbar und skalierbar, zumal sich inzwischen drei deutsche Unternehmen als Produzenten dafür etabliert haben: Fraas Solutions in Textile (heute: Wilhelm Kneitz Solutions in Textile, Hof), Solidian (Albstadt) und Hitexbau (Augsburg). Letztere zum Beispiel hat mit Consultinghilfe von Rothycon eine vollautomatische Anlagenstraße etablieren können. Damit lässt sich in einem vollständig reproduzierbaren Prozess sowohl das Einsatzmaterial Carbongarn bis zum fertigen Gelege (Platten- wie auch Rollenware) herstellen – jährlich mit einer Kapazität von zunächst bis zu 3 Mio. qm.
Herr Thyroff, vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen für textile network stellte Hans-Werner Oertel.