18.03.21 – Kuscheliges für die Krise

Berliner Modewoche – was bleibt?

Corona hat die Mode in eine schwere Krise gestürzt. Eine Bestandsaufnahme anlässlich der Berliner Modewoche von unserem Autor Joachim Schirrmacher.

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Der Schatz vom Schluchsee: Der Berliner Fotograf Gregor Hohenberg fotografierte Mode von Akris, Armani, Celine, Christian Dior, Falke, Jil Sander, Louis Vuitton, Prada, Saint Laurent oder Valentino an dem Topmodel Maike Inga im Schwarzwald für das Modemagazin „Achtung“. Zu sehen waren die Motive als Open-Air-Ausstellung an der 85 m langen Plakatwand vor dem Berliner Kraftwerk in der Köpenicker Straße, wo die Modewoche stattfand. © Gregor Hohenberg

 
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Lana Mueller zeigte Abendkleider unter dem Slogan „Sustainbility it the new black“. Mit gutem Willen erinnert ihr Stoff aus recyceltem Polyester an das Abendkleid No. 129 von Cristóbal Balenciaga aus dem Winter 1965. Doch ist das recycelte Polyester aus Italien von heute wirklich nachhaltiger als die Gazar-Seide aus dem Zürcher Haus Abraham von damals? © MBFW und Lana Mueller

 
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Erst hatte die Messe Panorama Insolvenz angemeldet, dann kündigten die Berliner Modemessen Premium und Neonyt an, ab Juli 2021 nach Frankfurt zu gehen. Und schließlich kam mit Corona der Stillstand. Umso mehr freuten sich viele Designer, mit der Berliner Fashion Week wieder eine Plattform zu haben.

Leni Klum polarisierte

Doch schon der Auftakt entzweite: Die Promi-Magazine waren von Leni Klum begeistert, die Profis rollten verzweifelt mit den Augen und fragten sich, warum für die Eröffnung der Modewoche mit der Tochter von Heidi Klum ein Model gewählt wurde, bei dem es offensichtlich Passformprobleme gab. Doch der Clip mit Leni Klum hatte mit gut 30.000 Views alleine so viel Zuschauer wie alle anderen 43 Filme zusammen.

So viel Geld wie nie

Um nach dem Verlust der Modemessen im Wahljahr 2021 mit guten Nachrichten punkten zu können, gab Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) ein Budget von 1,2 Mio. Euro für diese Modewoche. 600.000 Euro gingen an drei Events der Mercedes-Benz Fashion Week, je 200.000 Euro an das Format „Berlin, Berlin“ des Onlineshops Highsnobiety, das Festival Realities der PR-Agentur Reference (nicht mehr online) und die Nachhaltigkeitskonferenz 202030, wo Aktivisten unter sich diskutierten.

  • Die Designer gingen hingegen leer aus und fühlen sich als Feigenblatt missbraucht.
  • Im Sommer sollen weitere 2,3 Mio. investiert werden, so viel Geld wie nie.
  • Doch wären die Millionen im angekündigten Fashion Hub für Produktion und Distribution nicht besser investiert?
  • Nach dem die Weltleitmesse Bread & Butter von Barcelona zurück nach Berlin ging, weiß man in Spanien jedenfalls, das man mit Geld alleine eine Modewoche nicht retten kann.

Ohne jeden Bezug zum Markt

Die Neuausrichtung fand auf Willen der Senatorin unter den Schwerpunkten Nachhaltigkeit und „CrossCulture“ statt. Leider wurde es oft beliebig.

Zwar war auf der Mercedes Benz Fashion Week Berlin viel Kreativität und Talent zu sehen, aber fast allen Designern fehlt jegliche Erfahrung außerhalb ihres kleinen Berliners Kosmos und der wichtige Schliff in internationalen Modehäusern. So blieben die Modepräsentationen bis auf wenige Ausnahmen ohne jede kulturelle oder wirtschaftliche Relevanz. Da riefen gestandene Händler/innen auch schon mal bei Marken an und fragten, warum sie bei dem Kindergarten mitmachen.

  • Auch das Kraftwerk, einst Heimat des Technoclub Tresor, war keine glückliche Wahl.
  • Es war ein Festhalten an alten Zeiten und wirkte in diesen Zeiten nicht cool, sondern nur düster und trostlos.
  • Dabei steht die halbe Stadt derzeit leer, ob Staatsbibliothek, Mäusebunker, Theaterkulissen oder die vielen Restaurants und Hotels.
  • Vor allem fehlte in Berlin jede Anbindung an den Markt.
  • Die Bekleidungsindustrie, die nie mit Berlin warm geworden war, traf sich auf der Digital Fashion Week mit einer gut besuchten Konferenz und einer Messe mit 200 Marken. Es sind zwei Parallelwelten ohne jede Verbindung.

Kein Selbstvertrauen

Eine der besten Veranstaltungen der Berliner Modewoche war die Konferenz zur Studie des Fashion Councils Germany. Durch die vielen Talks entstand ein Stimmungsbild der Branche. Die Zahlen der Studie sind neu, die Erkenntnisse allerdings nicht:

  • Deutschland ist der zweitgrößte Bekleidungs- und Textilproduzent und einer der größten Modemärkte Europas.
  • Das Segment steht für Qualität, Zuverlässigkeit, Preis-Leistung, technische Textilien und moderne Fertigungsanlagen.
  • Doch es fehlt der Branche selber an Selbstbewusstsein und der Akzeptanz von Design.

Dass die Industrie das Potential des Designs oft nicht nutzt, machte der Creative Direktor Donald Schneider an den Beispielen Esprit vs. Tommy Hilfiger und Bogner vs. Moncler deutlich.

Cozy Casual

Die Krise erstickt die Mode in einem Maße wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Mit dem Lockdown und Wegfall des sozialen Austauschs fehlt das Grundlegende der Mode. Viele Entwürfe erscheinen daher losgelöst von der Realität. Die deutlichste Tendenz ist, dass die Silhouetten wieder weiter werden, bis hin zu Oversized. Zudem war viel Layering zu sehen, wie bei Christophe Lemaire. Doch Loungewear – wie der Schlabberlook vornehm heißt – war kaum vertreten. Dafür viel ungezwungene Eleganz, „Smart Causal“ auf Modedeutsch.

Nicht wenige Frauen fühlen sich wohler, wenn Mode ihnen eine Haltung verleiht. Sie wissen: Sich einen Tick besser anzuziehen, ist ein bewährtes Mittel, um aus dem Einerlei der vielen grauen Tage auszubrechen. Dabei helfen auch die kräftigen Farben. Sie wirken gut in Videokonferenzen und heitern die Stimmung auf.

Kraftvolle Geschichten

Durch Corona sind die Präsentationsbedingungen für alle Modehäuser so vergleichbar wie nie. So wird Können und Unvermögen deutlich. Und auch kleine Modehäuser können kraftvolle Geschichten erzählen. Doch obwohl jeder die Präsentationen sehen kann, sind die Zugriffe auf Youtube bescheiden, nur die globalen Luxusmarken können punkten.

Am besten funktionieren Aufnahmen, die sich an einer Laufsteg-Präsentation orientieren und mit filmischen Elementen kombiniert werden. Beispielhaft hat dies Matt Lambert für das Label GmbH realisiert. Selten überzeugen hingegen Fashion Filme: Kaum ein Fotograf ist ein guter Filmemacher. Zudem sind die Geschichten selten stark genug. Nicht zuletzt besteht die Gefahr, dass die Mode zur Nebensache wird, wie zum Beispiel bei Marc Cain.

  • Und so schön und kunstvolle viele Filme sind, es bleibt die Gefahr der Fehleinschätzung.
  • Denn Bilder wirken sehr unterschiedlich und müssen nicht viel mit der Realität zu tun haben.

30 Prozent Umsatzrückgang

Mode ist einer der Corona-Verlierer. Zwar kann mit Einschränkungen produziert und verkauft werden. Doch die Branche geht 2020 von einem durchschnittlichen Umsatzrückgang von 30 Prozent aus, im Dezember betrug das Minus laut Destatis sogar 40 Prozent.

Dabei ist die Situation sehr unterschiedlich. Die Modeindustrie hat mit Valuta, Warenaustausch, Lieferstopp oder neuen Lieferterminen versucht, dem Handel zu helfen. Doch ihre Produktionsbedingungen und Lieferketten ändern sich zum Teil wöchentlich. So sind die Frachtkosten aus Asien nach Europa förmlich explodiert.

Kleine und mittelständische Händler haben sich aufgrund von Kundenbindung, persönlicher Ansprache und Service von Click & Collect bis zum Whatsapp-Shopping oft gut geschlagen. Luxus ging besser als Mainstream, weil diese Kundschaft oft ihre Aktiengewinne investierten.

  • Doch viele Unternehmen wie Esprit, Galeria Karstadt Kaufhof, Sinn, AppelrathCüpper, Hallhuber und Adler kämpfen ums Überleben. 200.000 Händler, also jeder Zweite, könnte 2021 dichtmachen, sagt der Handelsexperte Prof. Dr. Gerrit Heinemann vom Research Center der Hochschule Niederrhein.

Schon jetzt stehen seit Monaten Ladenlokale am Berliner Ku’Damm oder in der Innenstadt von Hannover leer. Die Hilferufe des Einzelhandels sind von der Politik inzwischen gehört worden. Ob sie erhört werden, muss sich zeigen.

  • Alle reden über Online-Shopping, doch keiner über die hohen Kosten für die Händler.
  • Während Amazon oder Zalando an der Börse immer neue Höchststände erreichen, kann kaum ein Einzelhändler seinen Onlineshop profitable betreiben.
  • Neben den hohen Kosten scheitert es an dem durch die Giganten geweckten hohen Anspruchsdenken der Kunden und der vielen Retouren.
  • Ein Kampf mit ungleichen Mitteln.

So schön es war, wieder Modeschauen und in Präsentationen Kollegen zu sehen, es fehlte doch sehr der persönliche Austausch, die Inspiration und das zufällige Entdecken, das Anfassen der Ware und Prüfen von Qualitäten, der Wettstreit der Meinungen. Es ist fatal, weil Mode erst im sozialen Austausch entsteht.