16.11.17 – TU Dresden — read English version
3D Produktentwicklung für körperferne Bekleidung
Forscher und kommerzielle Anbieter weltweit verfolgen das Ziel, die Konstruktion der Bekleidung nachvollziehbarer zu gestalten ..
.. und mit einer rechentechnischen Verbindung zum virtuellen Körper auszuführen. Dabei besteht das Ziel momentan nicht darin, die komplette Schnittentwicklung in die 3D-Entwicklungsumgebung zu übertragen, sondern Basiskonstruktionen in 3D zu erarbeiten, die durch eine exakte größen- und figurtypspezifische Konstruktion und morphologische Gradierung (automatische Größenveränderung in 3D) eine sehr gute Passform bieten. Nach computergestützter Ableitung der 2D-Schnittteile können diese der industriellen Praxis zur Ausführung modischer Variationen zur Verfügung gestellt werden.
Während die Modelle in den Basisgrößen (bei DOB z. B. Gr. 38, Gr. 46) häufig mit gutem Erfolg konstruiert werden, erhöhen sich die Unsicherheiten und die Zahl der notwendigen Iterationsschleifen bei den durch Gradation abgeleiteten Größensätzen, die zur Abdeckung der Größen- und Figurtypenvielfalt erforderlich sind. Aufgrund des enormen Zeitdruckes, dem die Entwicklungsabteilungen in der industriellen Praxis ausgesetzt sind, werden meist nur wenige Größen anhand von Prototypen und Life-Modells hinsichtlich der Passform überprüft. Passformmängel und unzufriedene Kunden bzw. eine erhebliche Retourquote (40 % bis 70 %) sind das bedauerliche Resultat.
3D-basierte Basiskonstruktionen
Zur Erarbeitung 3D-basierter Basiskonstruktionen für die Damenoberbekleidung ist es zunächst erforderlich, formvariable virtueller Formkörper zu entwickeln, die eine größen- und figurtypspezifische Skalierung erlauben. Als Ausgangspunkt dazu dienen mittlere Formkörper der Größen 38, 42, 46, 50 und 54, die aus Scandaten entwickelt wurden. Diese Daten liegen in Form triangulierter Oberflächen vor und sind zur automatischen Skalierung und konstruktiven Anwendungen in CAD-Systemen ungeeignet. Hierzu werden Spline-Flächen benötigt, die aus einer definierten Anzahl von Schnitten in vertikaler und horizontaler Richtung generiert werden.
Zur Positionierung der Schnittebenen können die Merkmalspunkte am Körper genutzt werden, die zur Festlegung der Körpermaßlinien (Brustumfang, Taillenumfang, …) oder der Messstrecken (Schulterbreite, …) eingesetzt werden. Reichen diese nicht aus, werden weitere Kurven ermittelt, die es ermöglichen, die Körperform exakt durch Spline-Flächen abzubilden. Die Schnittpunkte dieser Linien werden zur größenspezifischen Skalierung in Form von x,y,z-Koordinaten in einer Datenbank hinterlegt, so dass die Skalierung automatisch erfolgen kann. Somit ist es möglich, durch Ankopplung der CAD-Daten an eine Excel-Sheet, in der die Punktinformationen gespeichert sind, rechnergestützt aus einer Größe auf Knopfdruck eine andere Größe zu erzeugen.
Entwicklung der Konstruktionsmethodik
Die Erarbeitung der 3D-Basiskonstruktion für die obere Körperhälfte (Blusen, Jacken, …) baut auf den Geometriedaten des größenspezifisch skalierbaren Formkörpers auf. Um einen morphologisch gradierbaren 3D-Basisschnitt zu erstellen, werden die skalierungs- und konstruktionsrelevanten Linien festgelegt und die Abstände zum Körper ermittelt. Die Flächen der Bekleidungsform werden durch Freiformflächen beschrieben. Diese sind mit 3D-CAD-Software (z. B. Lectra, DesignConcept) basierend auf der Kurvenkonstruktion generierbar. Die Schnittteilgrenzen werden anschließend interaktiv auf der Bekleidungsform gezeichnet. Der Umgang mit dem dazu benötigten Zeichenwerkzeug ist leicht erlernbar und erfordert keine umfangreiche Kenntnisse aller in der Software verfügbaren 3D-CAD-Werkzeuge. Durch Änderung von Weitenzugaben und die Modellierung der Basiskonstruktion können Schnittkonstruktionen für unterschiedliche Produktgruppen abgeleitet werden.
Die Berechnung der 2D-Schnittteile für die gewünschten Körpergrößen erfolgt ohne die übliche 2D-Gradierung auf Basis der Körperformdaten und entspricht einer morphologischen Gradierung in 3D. Zur Realisierung der Abwicklung von Freiformflächen (Hülle des Oberteils) werden softwareseitig geeignete mathematische Algorithmen zur Verfügung gestellt. Alle relevanten Körpermaßstrecken und -merkmalspunkte können automatisch auf die jeweiligen Schnittteile projiziert werden. Auch Markierungen, die für den nachfolgenden Nähprozess erforderlich sind, lassen sich bereits in 3D definieren.
Die morphologische Gradierung basiert auf der Annahme, dass der Abstand zwischen Körper und Oberteil in allen Größen annähernd gleich ist. Eine Modifikation der jeweiligen Größen nach Passformüberprüfung ist jederzeit interaktiv anhand der hinterlegten Parameter möglich. Die Konstruktionen für den Körperrumpf und die Ärmel werden in getrennten Baugruppen erarbeitet, skaliert und hinsichtlich der Anpassung überprüft. Dazu müssen die Abhängigkeiten von Armlochkurven und Ärmelkurven definiert und positionsgenau bestimmt werden.
Die Verwendung skalierbarer Formkörper macht die Konstruktion der erforderlichen Bekleidungshülle und die Schnittteilfestlegung nur einmal notwendig. Bei Größenveränderung des Formkörpers passt sich die virtuelle Bekleidung automatisch an. Basierend auf den erstellen Basisschnitten wurden die Bekleidungsmodelle in unterschiedlichen Modellausprägungen entwickelt und gefertigt sowie anschließend hinsichtlich ihrer Passform, Weitenverteilung und Erscheinungsbild überprüft. Die Beurteilung der Testreihen durch Fachpersonal ergab, dass die erarbeiteten Systematiken auch auf unterschiedliche Materialien übertragbar sind. Ein wesentlicher Nutzen der Forschungsergebnisse besteht darin, dass 3D-Körperinformationen in die Produktentwicklung einfließen, ohne dass die Bekleidungsunternehmen gezwungen sind, auf eine 3D-Entwicklungsumgebung umzustellen. Dies kann maßgeblich zur Erhöhung der Passformsicherheit und zur Beschleunigung des Entwicklungsprozesses beitragen.
Das IGF-Vorhaben 18223 BG / 2 der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V., Reinhardtstraße 12-14, 10117 Berlin wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.
Ein Beitrag von Sybille Krzywinski, Jana Siegmund, TU Dresden, Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik