02.12.20 – Nachhaltigkeits-Start-ups – Folge 1: Muntagnard AG (Domat Ems/CH)

Ziel Zero: Das Unmögliche wagen

Alles, was wir an Bekleidung tragen, sollte entweder recycelbar oder vollbiologisch abbaubar bzw. verrottbar sein. Innovative Start-ups zeigen Wege auf.

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Beim italienischen Stoffproduzenten in Biella: Die beiden Gründer Dario Pirovino (links) und Dario Grünenfelder (rechts). © Muntagnard

 
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Lana-Jacke: Hochwertige kreislauffähige Oberbekleidung aus Schweizer Schafwolle. Vollständig aus biobasierten und biologisch abbaubaren Materialien hergestellt. Keine Metall- oder Kunststoffteile und selbst die Nähfäden bestehen aus biologisch abbaubaren, holzbasierten Fasern. © Muntagnard

 

Der Gedanke fasziniert Textilforscher wie auch Newcomer im Textil- und Modebereich gleichermaßen: Eines möglich frühen Tages sollte alles, was wir an Bekleidung tragen, entweder recycelbar oder vollbiologisch abbaubar bzw. verrottbar sein. Dafür sind keine Patentrezepte in Sicht, wohl aber Einzelschritte, die mit neuen Materialien und Technologien in die richtige Richtung zielen. textile network (TNW) stellt in lockerer Folge Start-ups aus dem deutschsprachigen Raum vor, die mit Blick auf eine verbesserte Kreislaufwirtschaft deutlich die Grenzen des bisher Möglichen sprengen.

  • Folge 1: Muntagnard AG (Domat Ems/CH)

Das hat die Welt noch nicht gesehen: Plastikfreie Kollektion aus Holzfasern

Schon der romanische Name des Startups Muntagnard („Bergler“ – von den Bergen kommend) weist auf dessen enge Naturverbundenheit hin. Die viel beachteten ersten Textilprodukte der beiden Gründer, die als Umwelt- bzw. Finanzexperten Quereinsteiger in den Textil- und Modebranche sind, nehmen das Circular Economy-Prinzip ernst: Die T-Shits- und Jacken aus Holzfasern und Schafwolle sind komplett aus biobasierten Materialien und biologisch abbaubar. Sechs Fragen an den Co-Founder und Umweltökonomen Dario Grünenfelder, der auch an der Schweizer Textilfachschule lehrt:

textile network: Sie wollen 2021 Ihren Nachhaltigkeitsanspruch weiter auf die Spitze treiben – womit?

Dario Grünenfelder: Wir bringen mit Blick auf den Sportsektor eine Aktivbekleidungslinie auf den Markt. Diese zirkuläre synthetische Kleidung wird etwas vollkommen Neues sein. Sie kann zu 100 Prozent wieder in die Kreislaufwirtschaft eingebracht werden. Deshalb sind die Artikel schneller biologisch abbau- bzw. recyclierbar. Um die jeweils bestmögliche Version eines Produkts entwickeln zu können, müssen wir immer alles neu be- und erdenken – vom Material bis hin zur Funktion.

textile network: Holzfasern sind Ihr präferierter Werkstoff. Geht da entwicklungsseitig noch was?

Dario Grünenfelder: Wir wollen bis zum Rohmaterial immer verstehen: Was steckt da drin und wie wird es gemacht. Die Herstellung von Holzfasern ist noch immer chemieintensiv. Wir setzen daher auf jene Firmen, die im Prozess Chemie und Lösungsmittel reduzieren bzw. wieder stärker auf mechanische Aufbereitungsschritte setzen. Das ganze Thema hat noch ein großes Veränderungspotenzial. Schon kurz nach Gründung von Muntagnard hatten wir mit dem weltersten, zertifiziert plastikfreien T-Shirt Legna einen kleinen Meilenstein gesetzt; dem sollen jetzt logischerweise weitere Nachhaltigkeits-Produkte in Form von Jacken, Pullover und Shirts folgen.

textile network: Auf welche Eigenentwicklungen sind Sie besonders stolz?

Dario Grünenfelder: Mit Abstand auf unsere Schweizer Wolle. Aus diesem biobasierten und biologisch abbaubaren Traditionsmaterial stellen wir wieder hochwertige Kleidung her, zum Beispiel unsere Jacke Lana. Im Vergleich zur Merinowolle, ist die Schweizer Schafwolle rauer, ungleichmäßiger und hat meist eine kürzere Faserlänge, was aus Sicht vieler Garn- und Stoffhersteller eine Zumutung für den modernen Maschinenpark darstelle. Zudem, so wurde uns gesagt, habe der Schweizer Bauer keine Anreize mehr, bei der Schafschur so zu arbeiten, dass qualitativ hochwertiges Wollmaterial abgeliefert werde. Die Wolle hatte für die Erzeuger über Jahrzehnte keinen Wert mehr, weil dafür Abnehmer fehlten … Wir sind jetzt mit Wollexperten aus der Schweiz und Norditalien dabei, den Wollmarkt wiederzubeleben. Das ist für alle Beteiligten super spannend und macht uns stolz.

Muntagnard AG (Domat Ems/CH) auf einen Blick:

  • Gründung: 2018

  • Gründer: Dario Grünenfelder (33); Dario Pirovino (32))

  • Mitarbeiter: 5+

  • Anzahl Produkte: 9 (2021: + 12-15)

  • Alleinstellung: Nachhaltige Kleidung ohne Kompromiss bei Qualität, Komfort und Stil

  • www.muntagnard.ch

textile network: Wie steht Ihr Unternehmen in fünf Jahren, also 2025?

Dario Grünenfelder: Wir wollen auf dem Weg zu einem wirtschaftlich rentablen Unternehmen unseren Ansatz skalieren. Noch sind wir ein sehr kleines Team, doch beabsichtigen wir in den nächsten Jahren, den europäischen Markt zu erobern. Zur Mitte des Jahrzehnts wollen wir unsere Zielkäuferschicht komplett ausstatten, nebst den Kleidern auch mit Taschen und anderen Accessoires mit höchstem Nachhaltigkeitsanspruch. Wir nehmen folglich Kurs auf mehr Mitarbeiter, größere Produktionskapazitäten und neue Finanzierungsrunden.

textile network: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, wie würde dieser lauten?

Dario Grünenfelder: Schritt für Schritt so weiter wachsen. In den nächsten zwei, drei Jahren sollten wir dann dadurch den nötigen wirtschaftlichen Schub bekommen, um unser Konzept wirtschaftlich tragfähig und so nachhaltige Innovationen im Textilbereich salonfähig zu machen.

textile network: Eine letzte Frage zur Coronakrise: Wie hat sich die Pandemie bislang auf Ihre Firma ausgewirkt?

Dario Grünenfelder: Ganz am Anfang gab es Wochen, wo unsere Kunden aus dem Lockdown heraus bestellfreudiger denn je waren. Bereits im Mai war aber alles abverkauft und unser Lager aufgrund stillstehender Produktionsstätten leer. Bis August konnten wir keinen Nachschub produzieren; der Umsatz ging gegen null. Im Juli – und jetzt wird es wieder positiv – gab es anfangs nur aus Graubünden eine Anfrage zur Konzepterstellung von Schalmasken für den Winter, um damit den Tourismus zu fördern. Durch diesen Impuls sind wir in das Maskengeschäft, das wir vorher für uns abgelehnt hatten, eingestiegen – und haben dadurch den Umsatzausfall im Kerngeschäft größtenteils kompensieren können.