27.01.20 – Tudalit e.V. — read English version

Carbonbeton: Realität bisher nur in der Nische

Carbonbeton ist eine originär deutsche Entwicklung mit breitem Einsatzpotenzial. Die Bauteile sind leichter, filigraner und zugleich langlebiger.

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Beton-Innensanierung eines Zucker-Silos in Uelzen: Mit hauchdünnem Auftrag von 14.000 qm Textilbeton Gebrauchsfähigkeit gesichert. © Implenia/Silvio Weiland

 
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„Carbonbeton aus der Nische holen“ – Tudalit-Geschäftsführer Dr. Klaus Jansen © Privat

 

Um die Brücke von der zweieinhalb Jahrzehnte andauernden Forschung in die Baupraxis zu schlagen, soll ein schlagkräftiger Industrieverband entstehen. Fragen an Dr. Klaus Jansen, Geschäftsführer des Tudalit e.V.

textile network: Diese Master-Innovation „created and made in Germany“ ist mehr Vision als Realität?

Dr. Klaus Jansen: Ja und nein. Die Visionen sind in der Tat gigantisch. Wir könnten mit weniger Sand, Zement und Logistik Gebäude und Brücken errichten, die eine doppelte bis dreifache Lebensdauer im Vergleich zu heutigen Stahlbeton-Konstrukten haben. Der Anfang dafür ist mit zahlreichen Demonstrationsobjekten zu den Stichworten Instandsetzung, Verstärkung und Neubau gemacht; in der Summe aber noch zu wenig, um zu überzeugen. Ich würde allenfalls von einer Realität in der Nische sprechen. Oder anders formuliert: Wir haben noch keine Anwendung in der Breite und Leuchtturmobjekte, da der Baustoff noch nicht allgemein zugelassen ist. Was immer man im Land an Fußgängerbrücken, Fassadenelementen oder Einzelbauten sieht, ist auf Grundlage von Einzelfallzulassungen entstanden oder Ergebnis der 2014 erteilten allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung. Zurzeit laufen Projekte mit dem Ziel, die technischen Eigenschaften von Carbonbeton gegenüber herkömmlichem Stahlbeton überzeugend und vorteilhaft zu demonstrieren.

textile network: Wer sind in Deutschland die Treiber? Gibt es Textilbeton-Bauwerke, die als Leuchttürme für diese neue Bautechnologie fungieren können und derzeit im Entstehen sind?

Dr. Klaus Jansen: Differenziert nach Neubau, Instandsetzung und Forschung betrachtet, kann sich auf der Habenseite schon einiges sehen lassen.

Neubau: Ein wenig bekannter Anwendungsfall: Der Berliner U-Bahnhof Rotes Rathaus der Neubaulinie 55 wird mit 5.000 schwungvoll gekrümmten Textilbetonplatten von BNB Potsdam ausgekleidet. Die Bielefelder Firma Goldbeck hat jetzt ein Mitarbeiter-Parkhaus mit Carbonbeton-Elementen erstmalig zur Carbon- und Textilbetontagung vorgestellt, Solidian aus Albstadt kann auf mehrere Brücken aus diesem Material und eine Fassadenbeplankung von 300 m hohen Pylonen einer Bosporus-Brücke verweisen; Ginkgo Textilbeton aus Dresden dagegen auf Schalen und Ellipsoide. Das Stanecker Betonfertigteilwerk hat mit Penn Solutions in Textile und dem Aachener Textilforschungsinstitut ITA die welterste doppeltgekrümmte Textilbetonfassade entwickelt.

Instandsetzung: Das fränkische Unternehmen V. Fraas – Solutions in Textile (jetzt Kneitz Solutions in Textile) –, Produzent von Gittergelegen aus alkaliresistenten Fasern oder Carbon der Marke SITgrid, und Roy Thyroff von rothycon haben zahlreiche Pionieranwendungen bei der Verstärkung von Betonfertigteilen bzw. in der Brückensanierung ermöglicht.

Torkret aus Essen saniert gerade mit diesem Material die Wallfahrtskirche von Neviges. Die Firmen Implenia und der Bauspezialist Ammar Al-Jamous können auf erste Erfolge bei der Silosanierung verweisen; das Unternehmen CarboCon auf Brückensanierungen u. a. in Naila und die Spezialisten von Koch auf Parkhaussanierungen und kathodischen Korrosionsschutz.

Forschung: Die deutsche Betontextil-Forschungslandschaft hat Weltgeltung, vergleichsweise mit dem Silicon Valley in den USA für IT. Aktuelle Projekte, bisher mit 45 Mio. Euro vom Bundesforschungsministerium gefördert, laufen mit bundesweiten Baupartnern im C³ Konsortium, das von Dresden ausgeführt wird. Wichtige Kompetenzzentren für Carbonbeton sind neben der TU Dresden und Chemnitz, die RWTH Aachen, die Universitäten von Braunschweig, Stuttgart, Dortmund, Kaiserslautern sowie die TU München.

textile network: Textilbeton ist für den Standort Deutschland von immenser Bedeutung, gar ein Politikum. Was muss deshalb hier in den nächsten fünf Jahren unbedingt passieren, damit das Wissen nicht vorranging ins Ausland abwandert?

Dr. Klaus Jansen: Da ist die „große“ Politik gefragt; vielleicht sollte sogar eine konzertierte Aktion mit weiteren Millionen vom Staat und deutlichem Engagement von Kapitalgebern sowie von namhaften Baugiganten angedacht werden, um diese global-strategisch wie innovative Bauweise zunächst hier in Deutschland und Europa zum Durchbruch zu verhelfen.

Ein Industrieverband, noch dazu am Start, kann schwerlich dazu beitragen, mehr Bauwerke mit C-Beton anzuregen. Dafür muss ein staatlicher Rahmen gesetzt werden, dafür sollten kommunale Ausschreibungen entsprechend modifiziert werden. Auch müssen Bemessungsregeln erarbeitet und allgemein für Planer zugänglich gemacht werden, damit sie den Werkstoff einsetzen können. Parallel dazu geht es um die Erarbeitung von Richtlinien und Normen, um Standardarmierungen und Betone für unterschiedliche Anwendungen als Baustoffe nutzen zu können.

Wir als Industrieverband können dafür Sorge tragen, dass vorhandene Ergebnisse aus vielen Forschungsprojekten gebündelt werden und in Bauunternehmen beschleunigt transferiert werden.

textile network: Staat und Visionäre sind also gefragt?

Dr. Klaus Jansen: Genau! Mehr mutige Architekten, Planer und Bauherren, Visionäre auch in öffentlichen Vergabeverfahren und in den Zulassungsbehörden. Wer in C-Beton denkt, der muss auch von der reinen Baukostenbetrachtung Abstand nehmen. Danach würde Textilbeton gegenüber Stahlbeton immer den Kürzeren ziehen. Wenn wir allerdings die gesamten Lebenszykluskosten mit geringeren Logistikkosten, längeren Standzeiten und niedrigeren Instandsetzungsaufwand und den insgesamt geringerer CO2-Footprint berücksichtigen, hat Textilbeton fast nur Vorteile.

textile network: Nicht nur in der Schweiz und in Indien gibt es erste serielle Anwendungen. Sind andere schneller?

Dr. Klaus Jansen: Es macht fast den Eindruck. Die Zulassungsverfahren sind in jedem Land unterschiedlich geregelt und dauern oft nicht so lange wie in Deutschland. Dadurch können beispielsweise in der Schweiz Projekte kurzfristiger umgesetzt werden. Die bisher unserem Verband angehörenden Unternehmen arbeiten international. Speziell für Deutschland wünschen wir uns schnellere Realisierungszeiträume.

textile network: Welche Ziele hat sich Ihr Industrieverband für 2020/21 gesetzt?

Dr. Klaus Jansen: Generell wollen wir mehr öffentliche Aufmerksamkeit für C-Beton und seine Potenziale schaffen. Zudem wollen wir von Deutschland über die DACH-Region bis hinein in die EU stark wachsen und insbesondere Anwender, Planer, Architekten in den Verband integrieren, um schlagkräftiger zu werden. Inhaltlich gilt es, Unternehmen bei der Markteinführung zu unterstützen. Wir arbeiten daran, die eigene Organisation so zu professionalisieren und Kompetenzen aufzubauen, damit der Tudalit e.V. zum Dienstleister für die Industrie wird. Sicherlich steht dann auch eine Namensänderung und ein Umzug von Dresden nach Berlin an.

textile network: Und warum erfolgt der Umzug nach nach Berlin?

Dr. Klaus Jansen: Der Verband möchte sich grundlegend reformieren und alle wichtigen Kompetenzträger in Wirtschaft und Forschung gleichberechtigt am Tisch vereinen. Nur mit gebündelten Kräften und politischer Unterstützung kann uns diese Baurevolution gelingen.

Herr Dr. Jansen, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen für textile network stellte Hans-Werner Oertel.