21.04.21 – Forschung — read English version

TITK: Erste Lyocellfaser aus nicht Holz basiertem Zellstoff

Ein Beitrag von Dr. Frank Meister, Abteilungsleiter Native Polymere und Chemische Forschung am TITK, über die Erzeugung hanfbasierter Lyocell-Fasern.

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Anlagenfahrer Roberto Köhler vom TITK Rudolstadt zeigt zwei Spulen mit Garnen unterschiedlicher Feinheit, hergestellt aus der hanfbasierten Cellulose-Regeneratfaser Lyohemp. © TITK_ Steffen Beikirch

 
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Dr. Frank Meister (links), Leiter der Abteilung Native Polymere und Chemische Forschung am TITK Rudolstadt, prüft mit Anlagenfahrer Roberto Köhler gemeinsam textile Flächen aus Lyohemp. © TITK_ Steffen Beikirch

 
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Weltweit ist die Kapazität der Baumwollproduktion so gut wie ausgereizt, doch der Bedarf an Textilfasern steigt – vor allem angesichts eines rasanten Bevölkerungswachstums in den asiatischen Ländern. Dieser Konflikt beschleunigt die Nachfrage nach Cellulose-Regeneratfasern (Cellulose Man-Made Fasern – CMMF) so stark, dass bis zur Mitte dieses Jahrhunderts eine Angebotslücke von 30 bis 50 Mio. t CMMF erwartet wird. Holz wird als alleiniger Rohstoff-Lieferant für CMMF bald nicht mehr ausreichen. Selbst bei einer in Gang kommenden Wiederverwertung von Polyester-Baumwoll-Mischungen – den am häufigsten für Bekleidung verwendeten Fasermischungen – dürfte die verfügbare Menge an Zellstoff nicht genügen. Pflanzenfasern aus dem Direktanbau oder aus landwirtschaftlichen Reststoffen gewinnen daher zunehmend Marktanteile. An dieser Entwicklung orientierte sich das Thüringische Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung Rudolstadt (TITK) und etablierte gemeinsam mit seinem Tochterunternehmen Smartpolymer ein Verfahren zur Erzeugung hanfbasierter Lyocell-Fasern unter der Marke LyohempÒ.

LyohempÒ-Pilotproduktion – ein weiterer Schritt zur Markteinführung der ersten Lyocellfaser aus nicht Holz basiertem Zellstoff

Ein umfangreicherer Einsatz von Bast- und Blattfasern wurde bislang dadurch erschwert, dass er aufwendige und wenig umweltschonende chemische Vorbehandlungsprozesse erforderte, wollte man die gewohnten tragephysiologischen Eigenschaften bei gleichzeitig einfacher Verarbeitung erreichen. Auch die fehlenden Möglichkeiten zur textilen Direktverarbeitung von Kurzstapelfasern, die aus Reststoffen isoliert werden können, machten es erforderlich, diese zunächst in Chemiezellstoffe und erst danach in CMMF zu transferieren.

  • Ausgehend vom Hanfanbau und der mechanischen Trennung von Hanfnaturfasern und den holzhaltigen Reststoffen ergibt der Prozess am TITK einen komplett nachhaltig produzierten Hanfzellstoff, der allen Reinheitsanforderungen des Lyocellverfahrens entspricht.
  • Prozessgefährdende Schwermetallionen werden ausgeschlossen.
  • Zudem gelang es, in einem mit der Delfort-Tochter OP Papirna aus Tschechien entwickelten Kochprozess Zellstoffe bereitzustellen, die alle Voraussetzungen für den technischen Einsatz erfüllen.

Die so erzeugten LyohempÒ-Fasern besitzen neben den vergleichbaren textilphysikalischen Eigenschaften von Lyocellfasern zusätzlich ein verbessertes Feuchtigkeitsmanagement und eine tiefere Anfärbbarkeit speziell mit Schwarztönen. Bekleidungstextilien aus hochgedrehten Garnen weisen einen seidenartigen Fall und ein angenehmes Tragegefühl auf. All diese Vorteile und ein enormes Interesse von Bekleidungsherstellern haben die TITK-Tochter Smartpolymer bewogen, den nächsten Schritt zu gehen:

  • Ab dem vierten Quartal 2021 ist geplant, Fasermuster aus einer Pilotproduktion an ausgewählte Markenartikelhersteller zu übergeben, um mehr Erfahrungen zur Garnproduktion und -veredelung sowie zu Konfektionierung und Verkauf zu gewinnen.

Von besonderem Interesse wird nicht zuletzt die Frage sein, ob LyohempÒ-Fasern an die bekannten Wiederverwendungseigenschaften von Hanffasern anknüpfen können. Letztere bildeten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Basis für eine Reihe hochstrapazierfähiger, aber unbedingt verlässlicher Textilien, wie Seile, Taue und Segeltuch, sowie von langlebigen und mehrfach verwendbaren Papieren für Banknoten, Aktien und Urkunden. Das TITK plant bereits ein Forschungsprojekt zum Recycling von LyohempÒ-Fasern, um dem neuen Material einen festen Platz in einer textilen Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen. Insofern könnten hanfbasierte Lyocellfasern zu einem ersten Beispiel für Textilfasern werden, die in allen wesentlichen Technologieschritten vom Anbau bis zu einer textilen Wiederverwertung den globalen Herausforderungen in puncto Nachhaltigkeit und Umweltverbrauch entsprechen.