18.08.20 – Interview mit Prof. Dr. Robert Off von der Hochschule Anhalt

Über die Zukunftsfähigkeit des Membranbaus

Die Leichtbautechnologie mit Membranen muss funktionaler werden, so Prof. Dr. Robert Off von der Hochschule Anhalt.

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P&S-Building neben dem Kongress-Zentrum der Afrikanischen Union in Addis Abeba: Prof. Off entwarf für das Gebäude die solarbestückte Kuppel des Atriums. Das Gebäude wurde von der Bundeskanzlerin gestiftet; Institutsmitglieder haben die Membrankuppel gebaut. © IMS

 
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Die meisten Membranbauten, egal ob in München, Berlin oder Shanghai, sind riesige Regen- und Sonnenschirme, sonst nichts. Prof. Dr. Robert Off ist Gründungsdirektor des IMS Bauhaus Archineer Institutes e.V. sowie Initiator der internationalen Bewegung Bauhaus 21 und ist weltweit als Membranbau-Experte gefragt. © IMS

 
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Im Kolosseum von Rom kamen sie zur Blüte, 1900 Jahre später beim Bau des Münchner Olympiastadions auch: Textile Überdachungen als Wetterschutz und Architekturnormativ. Will diese Leichtbautechnologie mit Membranen im Wettbewerb überleben, muss sie funktionaler werden – fordert Prof. Dr. Robert Off von der Hochschule Anhalt. Der Lehrstuhlinhaber für Immobilienentwicklung und Membranstrukturen leistet mit seinem privaten IMS-Archineer Institut weltweit einen solitären Beitrag für Zukunftsfähigkeit des Membranbaus.

Wie leben wir in Zukunft?

Das Bauhaus hatte dazu vor 100 Jahren zahlreiche neue Visionen entwickelt und darauf zum Teil bis heute gültige Antworten gefunden. „Wollen wir das gleiche für die Zukunft wiederholen, müssen wir uns vor allem mit anderen Disziplinen wie Biotechnologie, Medizin und Informatik verbinden, um jetzt zum Beispiel mit künstlicher Intelligenz neue Lösungen für das Leben am Ende des 21. Jahrhunderts zu entwickeln“, umriss Prof. Off vor den Teilnehmer einer internationalen Textiltagung die Zielsetzung. Dabei sollten aus seiner Sicht Textilien und Membrankonstruktionen wie allgemein auch Fassaden eine wichtige Rolle spielen. textile network bat den aus Süddeutschland stammenden Experten um ein Exklusivinterview:

textile network: Wie ordnet sich der Membranbau heute ein?

Prof. Dr. Robert Off: Die Kernfrage dabei ist: Ist der Membranbau am Markt wirtschaftlich besser als etablierte Bautechniken und -stoffe? Bei Stadionbauten mit gespannten Konstruktionen, die mit anderen Techniken kaum wirtschaftlich zu verwirklichen wären, kann man das bejahen. In anderen Einsatzbereichen sind solche textilen Konstruktionen viel zu teuer. Daraus folgt: Membranbau muss künftig mehr sein als nur ein Regen- oder Sonnenschirm.

  • Wenn der Membranbau nicht mehr kann als vor Regen oder Sonne zu schützen, dann wird er künftig auch nicht aus der Nische herauskommen bzw. kaum ein Mehr an Akzeptanz gewinnen.

Beispiel: Landesvertretung Sachsen-Anhalt

Über dem Atrium des Repräsentationsgebäudes spannt sich seit 2012 eine Folien-Experimentalstruktur. Das Besondere: Die natürliche Durchlüftung, die anhand von Kissenstrukturen als Deckschicht, mit darunterliegendem Zwischenraum und einer tragenden Gurtunterstützten Unterfolie in Gesamtform eines Flugzeugflügels erzielt wird. Das Klima in und zwischen den Kissen wird unter Realbedingungen thermisch ausgewertet. Das Prinzip lässt sich auf Gebäudehüllen übertragen und könnten künstliche Klimazonen um ein ganzes Gebäude schaffen.

textile network: In den letzten Jahrzehnten hat sich doch gerade auf der Membran-Materialseite viel getan?

Prof. Dr. Robert Off: … zweifelsohne. Quelle für moderne Membranstrukturen war die Entwicklung von PVC-Polyester- und PTFE-Gewebe. Mit dieser Art von Textilien konnten wir Dachkonstruktionen und Werbetafeln bauen. Wir haben gelernt, wie man sie strukturell beherrscht, und das Textilverhalten durch bessere Selbstreinigung, reflektierende Decklacke und mehr optimiert. Mit der aufkommenden Ära der modernen Textilarchitektur konnten wir beispiellose Strukturen wie Stadiondächer, Cabrios, leichte Gehäuse und Fassaden bauen.

textile network: Was ist also zu tun?

Prof. Dr. Robert Off: Wegen ihres großen energetisch bzw. thermischen Potenzials sollte diese Technologie einen Beitrag zur Zukunft des Bauens leisten. Membranen sind hauchdünne gespannte Häute (aus welchem Material auch immer). An Fassaden angebracht bzw. als Gebäudehüllen bzw. in den Bauten selbst könnten sie zur thermischen Konditionierung beitragen. Auf diesem Feld ist noch viel Forschungsbedarf; auch unser Institut hat begonnen, sich dieser Entwicklung zu stellen. Ich bin fest davon überzeugt:

In dem Moment, wo Membranbau weggeht von der reinen Verschattung und vom Regenschutz und sich der thermischen Seite von Bauwerken zuwendet, sprechen wir andere Märkte und Bedarfssituationen an. Wer beispielsweise das Strahlungsverhalten von Folien am Gebäude untersucht, die sich schnell im Fokus der Sonne aufheizen, wird fast von selbst zu neuen energiesparenden Anwendungen, so z. B. zur Verminderung der Wärmeabstrahlung finden ...

textile network: Für die Baupraxis hieße das was?

Prof. Dr. Robert Off: Ich hatte in China einen Vortrag zum Bauhaus und seine Botschaften für das 21. Jahrhundert gehalten. Das hat zunächst wenig mit Membranen zu tun; wenn wir aber die Zukunft des Lebens und Wohnens am Ende des Jahrhunderts betrachten, wird es ohne Membranbau nicht gehen. Auch dann wird niemand ganze Stadtteile überdachen wollen, aber Folgendes wäre mit Membranen denkbar und möglich: Wenn wir damit große Bereiche als künstliche Klimazonen mit thermisch anderem Verhalten schaffen könnten, dann wäre das ein kühnes Ziel für unsere Aktivitäten heute. An dem Rad möchte ich, obwohl ab Oktober im Ruhestand, noch mit drehen.

textile network: Prof. Werner Sobeck und Sie sind weltweit anerkannte Leichtbauexperten. Wie ist diese Kompetenz auf Deutschland verteilt?

Prof. Dr. Robert Off: Klar wissen wir, wo, wer gerade an welchem Thema forscht, wer was herstellt und welche Projekte es gibt. Dennoch ist es überfällig, unsere unterschiedlichen Kernkompetenzen zu vernetzen und vielleicht in einem staatlich geförderten Sonderforschungsprojekt zu vereinen. Arbeitsgrundlage dafür könnte die angedachte Vision „Bauhaus 21. Jahrhundert“ sein. Apropos Vision: Kommen wir nochmals auf die Kissenstrukturen von Membranen in der Landesvertretung zu sprechen. Wenn ein Gebäude mit seiner Membrane ein lebender Organismus wäre, also mehr Energie und mehr Sauerstoff produzieren könnte als es verbraucht, dann wäre ein Gebäude ein Baum und eine Stadt ein Wald. Die Membrantechnik könnte vieles ermöglichen, damit der Mensch besser im Einklang mit seiner Umwelt und der Natur lebt!

Herr Prof. Off, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen für textile network (TNW) stellte Hans-Werner Oertel

Gemeinnütziges IMS Bauhaus Archineer Institutes e.V.

Gegründet 1999 vom heutigen Direktor Prof. Dr.-Ing. Robert Off, ist die private Einrichtung mit eigener Forschungskompetenz seit 2005 An-Institut der Hochschule Fachhochschule Anhalt in Dessau-Rosslau. Ein Jahr später startete der weltweit erste Master- und Archineer-Studiengang. Bislang qualifizierten sich über 200 Architekten und Ingenieure zu Experten für Membranstrukturen. „Der MS-Kurs in Dessau ist definitiv einer der besten Orte der Welt“, so der serbische Absolvent von 2017, Vuk Milosevic. Mit der Gründung des IMS Montevideo (Uruguay) ist die Einrichtung inzwischen auch auf dem lateinamerikanischen Kontinent verankert; ferner eröffnet die Kooperation mit der SusTech University in Shenzhen China eröffnet neue Optionen in Asien.