13.11.20 – High-Tech Fashion
Re-Fream: Kunst und Wissenschaft für die Kleidung von morgen
Fashion ist weitestgehend analog. Um Bekleidung in der Ära des Digitalen smart zu gestalten, wurde das Projekt Re-Fream ins Leben gerufen.
Wissenschaft und Kunst miteinander verbinden
Mode soll sich nicht nur auf die Entscheidung des Äußerlichen beschränken, sie ist unmittelbar mit soziologischen, technologischen und ökologischen Weltanschauungen behaftet. Es geht nicht nur darum, das Schöne zu präsentieren. Zu unschön sind die Schattenseiten der Fashion-Industrie, die es gilt, mit aufzudecken und ihnen entgegen zu wirken: mit nachhaltigen Produktionszyklen und fairen Arbeitsbedingungen. Und so will das Projekt Re-Fream eben auch ein Umdenken und Neugestalten der Prozesse und Produktionsmethoden, sowie der Funktionalität und Traditionen in der Modewelt mitgestalten helfen.
Interaktion zwischen Mode, Design, Wissenschaft und Urban Manufacturing
Durch den Einbezug der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Fraunhofer IZM stehen den Kunstschaffenden neue technologische Möglichkeiten offen: Die Mikroelektronik wird nicht nur zum modischen Accessoire, sondern verleiht Kleidungstücken auch neue Funktionen. Mit Hilfe von Integrationstechnologien kann Kleidung vernetzt und textilintegrierte Sensorik verwendet werden, was Perspektiven von tragbaren Anwendungen im Bereich E-Health eröffnet.
Kontaktstellen zwischen Elektronik und Textilien
Eine Schwierigkeit, die die Fraunhofer-Forschenden dabei lösen müssen, sind die elektronischen Kontaktstellen zwischen Elektronik und Textilien, denn diese müssen im industriellen Maßstab fertigbar und bei textiltypischer mechanischer Belastung sowie Waschreinigung zuverlässig funktionieren, ohne an Leistungsfähigkeit einzubüßen. Eine weitere Herausforderung sind die elektronischen Module. Am Fraunhofer IZM werden die elektronischen Komponenten so stark miniaturisiert, dass sie im Kleidungsstück nicht auffallen. Die verbindenden Leiterbahnen werden schließlich auf die Stoffe laminiert oder gestickt.
Wissenschaft trifft auf Design
Die italienische Designerin Giulia Tomasello widmet sich in ihrem Vorhaben „Alma“ der weiblichen Gesundheit und entwickelte gemeinsam mit ihrem Team Unterwäsche mit integriertem pH-Sensor: Somit sollen eine nicht-invasive Diagnose von bakterieller Vaginose sowie fungaler Erkrankungen im Alltag ermöglicht und schwerwiegende Entzündungen verhindert werden. Im Zwickel der Unterwäsche sammelt der wiederverwendbare Biosensor Daten und leitet diese an ein ca. 1 Quadratzentimeter kleines Modul. Dank eines modularen Aufbaus kann der Mikrocontroller problemfrei von den Textilien gelöst werden. Auch der textile Sensor kann aus der Unterwäsche entnommen werden. Neben der technologischen Lösung stehen die ästhetischen Ansprüche im Vordergrund. Weitere Anwendungsmöglichkeiten wären das Monitoring von anormalen Gebärmutterblutungen sowie der Wechseljahre.
Max Marwede, der das Vorhaben „Alma“ am Fraunhofer IZM technisch begleitet hat:
„Durch die enge Kooperation mit den Künstlerinnen und Künstlern haben wir ganz besondere Einblicke in die Nutzerperspektive erhalten und sie wiederum in die der anwendungsorientierten Technologien. Wir haben uns gegenseitig stets gefordert und nun eine Lösung gefunden, die Medizintechnik, Wearables und eine zirkuläre Produktionsweise vereint, um Frauen zu stärken.“
Nutzerorientierte Kleidungsstücke
Im Vorhaben „Connextyle“ rund um Designerin und Produktentwicklerin Jessica Smarsch liegt dem Team daran, nutzerorientierte Kleidungsstücke zu entwickeln: Die mit textilen Leiterplatten und laminierten EMG-Sensoren versehenen Oberteile messen Muskelaktivitäten und optimieren damit Rehabilitationsprozesse von Patientinnen und Patienten. Eine App liefert visuelles Feedback aus den gesammelten Daten, generiert Berichte über den Heilungsprozess und erleichtert so Therapeuten, die Maßnahmen ideal anzupassen.
Soft Robotics
Im Vorhaben „Lovewear“ wurde inklusive Unterwäsche entwickelt, die besonders Menschen mit körperlichen Einschränkungen dabei helfen soll, die eigene Intimität zu erforschen und ein stärkeres Bewusstsein für den eigenen Körper zu entwickeln. Durch Interaktionen mit einem angeschlossenen Kissen, das als Interface fungiert, werden Drucklufteinlagen im Spitzenstoff aktiviert. Anstelle der üblicherweise genutzten silikonbasierten Materialien werden die Soft Robotics hier aus Textilien und thermoplastischen Materialien hergestellt. Somit vermeiden die Forschenden den langen Aushärtungsprozess bei silikonbasierten Ansätzen und ermöglichen eine schnellere und kostengünstigere Massenfertigung mit verfügbaren Textilmaschinen.
Gestaltung nachhaltiger und zirkulärer Produktionsdesigns
Bereits beim Design ökologische Prinzipien berücksichtigen heißt negative Auswirkungen auf die Umwelt entlang des Produktlebenszyklus’ minimieren. Dazu zählt, wie zuverlässig die Ankontaktierungen der Komponenten sind, wie lang die Sensoren auf dem Textil haften, die Materialauswahl und der modulare Aufbau, um die Mikrocontroller wiederverwenden zu können. Die Teams erstellen jedoch keine Einzelstücke, sondern wollen zeigen, dass der Weg zu High-Tech-Fashion auch ein umweltfreundlicher sein kann. Hier wurde auch an zirkulären Geschäftsmodellen gearbeitet, die zur nachhaltigen Mission der Projekte passen.
- Die Expertise des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM in den Bereichen der E-Textiles und des zirkulären Designs stellt entsprechend einen hohen Mehrwert im Projekt Re-Fream dar.
- Mit weiterführenden Untersuchungen zu geeigneten leitfähigen Materialien entwickeln die Forscherinnen und Forscher aktuell sensorische Textilien und Textil-geeignete Kontaktierungstechnologien.
- Zudem arbeiten sie an thermoplastischen Substraten, die in so gut wie jedes Textil integriert werden können.
- Re-Fream ist Teil des Programms „Starts“ (Science + Technology + Arts), welches als Initiative der Europäischen Kommission im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 gefördert wird.
Olga Putsykina, Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM