11.11.16 – Interview mit José Sette — read English version

Wie kann Baumwolle mit Chemiefasern konkurrieren?

Ein Interview mit José Sette, geschäftsführender Direktor des International Cotton Advisory Committee (ICAC), Washington.

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Interview mit José Sette, geschäftsführender Direktor des International Cotton Advisory Committee (ICAC), Washington (Photo: Bremer Baumwollbörse)

 

Baumwolle ist die weltweit gebräuchlichste Naturfaser mit einem Anteil von 27 % am gesamten globalen Faserverbrauch. Ihr Anteil an der weltweiten Naturfaserproduktion beträgt 78 Prozent. D Die Art, wie man dieser Herausforderung begegnet, wird das Wohlergehen des Baumwollsektors in den kommenden Jahrzehnten bestimmen. Der Bremen Cotton Report diskutierte darüber mit José Sette, geschäftsführender Direktor des International Cotton Advisory Committee (ICAC), Washington.

 

Herr Sette, welche bedeutenden Faktoren beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit der Baumwolle?

José Sette: Einer der bedeutendsten Faktoren, der die Wettbewerbsfähigkeit der Baumwolle in den vergangenen Jahren gehemmt hat, ist die Aufhäufung der weltweiten Lagerbestände. Obwohl das globale stocks-to-use-Verhältnis 2015/16 auf 0,82 fiel, blieben die Weltbestände historisch betrachtet auf einem extrem hohen Niveau.

Auch der zunehmende Unterschied zwischen Baumwoll- und Polyesterpreisen und der anteilige Rückgang am globalen Textilfaserverbrauch trugen auf Seiten der Baumwolle zu einer Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit bei. In den vergangenen Monaten zogen die Baumwollpreise an, was ebenfalls zu einer weiteren Schwächung der Konkurrenzfähigkeit im Verhältnis zu anderen textilen Fasern führte.

Nicht nur die Spanne zwischen Baumwolle und Polyester hat sich vergrößert, auch die Preisvolatilität nimmt erneut zu. Das Ausmaß der Baumwollpreisschwankungen und die Lücke zwischen Baumwolle und Polyester haben langfristig betrachtet nachteilige Auswirkungen, da sie zu Unsicherheit in der gesamten Baumwollwertschöpfungskette führen. Darüber hinaus animiert diese Situation die Spinnereien, in ihren Mischungen den Baumwollanteil zugunsten von Polyester zu reduzieren, was zu einem weiteren globalen Rückgang der Baumwollnachfrage führen könnte.

Und was bedeutet das für den Weltbaumwollsektor?

José Sette: Der Weltbaumwollsektor steht der schwierigen Aufgabe gegenüber, den Verbrauch zu steigern. Die hohen Baumwollpreise während der Saison 2010/11 führten zu Veränderungen auf dem internationalen Bekleidungsmarkt. Die Einzelhändler erkannten, dass die Konsumenten bereit sind, Bekleidung mit einem hohen Polyesteranteil zu kaufen, solange der Preis nicht steigt. Die Konkurrenz durch Chemiefasern wurde durch einige der neuesten Modetrends zusätzlich verstärkt. Ihr Marktanteil hat in den vergangenen Jahren infolge der steigenden Popularität der sogenannten „Athleisurewear“-Produkte deutlich zugenommen. „Athleisure“-Kleidung ist sowohl für sportliche Anwendungen als auch für die Freizeitbekleidung gedacht. Dieses Phänomen wird hauptsächlich in der Damenmode beobachtet, wo Leggings und Yoga-Hosen, die alle zu einem hohen Polyesteranteil tendieren, häufig anstelle von Baumwoll-Jeans getragen werden. Desweiteren hat der Einsatz neuer Technologien bei der Herstellung der künstlichen Fasern zu vielseitigeren und robusteren Materialien geführt, die günstigere Kosten mit einer natürlicheren Optik vereinen.

Wie lässt sich dem sinnvoll entgegenwirken?

José Sette: Zuallererst müssen die Baumwollpreise wettbewerbsfähig bleiben. Es könnte jedoch schwierig sein, den derzeit niedrigen Polyesterpreis zu schlagen. Sinken die internationalen Baumwollpreise im Vergleich zu anderen Ernten, kann dies zu einem rückläufigen Baumwollanbau führen. Farmer tendieren bei niedrigen Preisen zum Anbau anderer Feldfrüchte wie Mais, Hirse, Soja, Reis, Weizen und Zuckerrüben, wenn hier höhere Verdienste möglich sind. Darüber hinaus wird jeder deutliche Baumwollpreisrückgang voraussichtlich zu verstärkten Regierungsinterventionen mit dem Ziel der Unterstützung der lokalen Produzenten führen, sodass die Preise vorübergehend gestützt werden und eine Anpassung, wie sie in Anbetracht des Wettbewerbs notwendig wäre, verzögert wird.

Insgesamt sollte die Lücke zwischen den Preisen für die beiden Produkte nicht noch weiter auseinanderklaffen. Das heißt, dass die Baumwollproduzenten weiterhin alle Anstrengungen unternehmen müssen, um ihre Produktionskosten zu senken und ihre Produktivität zu steigern. Langfristige Investitionen in Beratungsleistungen und landwirtschaftliche Forschung sind ein Teil der Lösung. Die Erträge variieren in der Baumwollproduktion erheblich; es gibt reichlich Spielraum für Verbesserungen in vielen Baumwolle produzierenden Ländern, insbesondere in Afrika und Asien.

Wie sieht es bei den Investitionen für Forschung und Entwicklung aus?

José Sette: Forschung muss auf vielerlei Art fortgeführt werden, um die technische Leistungsfähigkeit der Baumwolle im Vergleich zu konkurrierenden Fasern zu steigern. Baumwolle hat bedeutende natürliche Qualitäten, die von den Verbrauchern sehr geschätzt werden. Höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung sind jedoch erforderlich, um den Einsatz der Baumwolle in industriellen Prozessen zu verbessern.

Muss das Bild und der Ruf der Baumwolle in der Öffentlichkeit nicht ebenfalls erheblich aufgewertet werden?

José Sette: Baumwolle muss ihren positiven Einfluss auf die Welt deutlicher zeigen. Oft ist sie Ziel ungerechter und inkorrekter Attacken hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Umwelt. Doch Baumwolle trägt zur Versorgungs- und Einkommenssicherung von mehreren 100 Millionen Menschen auf der ganzen Welt bei. Wir müssen alle gemeinsam an einem Strang ziehen, um die Öffentlichkeit auf die Vorteile von Baumwolle aufmerksam zu machen.

Wie könnte das aussehen?

José Sette: Werbekampagnen könnten die Vorlieben der Verbraucher beeinflussen und dem Rückgang im Baumwollverbrauch entgegenwirken. Die Notwendigkeit, Verbraucher intensiver zu informieren, ist besonders in den aufstrebenden Märkten Asiens und Afrikas von Bedeutung, wo in den kommenden Jahrzehnten der größte Bevölkerungszuwachs erwartet wird. Dort haben die Verbraucher meist die geringsten Kenntnisse über Baumwolle und ihre Vorteile. Ihre Schulung ist also wichtig, um für die Zukunft loyale Konsumenten zu bekommen. Wahrscheinlich wird der Baumwollanteil am Weltfaserverbrauch rückläufig bleiben. Dennoch können die genannten Maßnahmen zu einer Verlangsamung des Rückgangs beitragen. Baumwolle kann weiterhin eine führende Rolle bei Bekleidung und Heimtextilien in der Welt spielen und zeitgleich den Lebensstandard von Millionen bedürftigen Menschen auf der ganzen Welt steigern.

 

Herr Sette, vielen Dank für das Gespräch!

 

Quelle: BREMEN COTTON REPORT NR. 43/44 - 10. NOVEMBER 2016

Herausgeber des BREMEN COTTON REPORT ist die Bremer Baumwollbörse. Mehr zur Geschichte sowie den heutigen Aufgaben und Zielen der Baumwollbörse unter www.baumwollboerse.de