14.10.20 – In Weimar laufen die textilelektrischen Fäden zusammen

Zehn Jahre Smart Textiles-Netzwerk

Eine der verheißungsvollsten Technologieentwicklungen wird seit einem Jahrzehnt vom Weimarer Goetheplatz in die Märkte überführt: Smart Textiles.

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Internationale Ausrichtung: Netzwerker tauschen in der Schweiz bei der Lantal Textiles AG Erfahrungen aus. © Thomas Heinick/SmartTex-Netzwerk

 
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Netzwerkgründer Klaus Richter: „Wir werden uns zum Dienstleister, genauer gesagt zum Systemanbieter für Smart Textiles entwickeln – und das auf europäischer Ebene.“ © Thomas Heinick/SmartTex-Netzwerk

 

Das SmartTex-Netzwerk mit 65 Firmen und Forschungsinstituten aus sieben Ländern gilt als das größte seiner Art in Europa. Es wird vom Freistaat Thüringen mit dem Ziel gefördert, neue Wertschöpfungsketten für neue Produkte, Dienstleistungen und Technologien und damit zukunftsträchtige Umsatzpotenziale zu erschließen. Sogenannte intelligente Textilien, die heizen, steuern und leuchten können und über Sensoren Vitalparameter bei Mensch und Tier oder Ist-Zustände in Bauteilen erfassen, ermöglichen mit Blick auf Bekleidung, Industrie und Medizintechnik zahlreiche Innovationssprünge. Experten sagen Produkten auf dieser Grundlage jährliche Wachstumsraten im zweistelligen Bereich voraus.

Aktuelle Projekte des Verbunds unter Einbeziehung von Materialwissenschaftlern, Biowissenschaften und Elektronikern wollen neue Standards setzen. Ein Schwerpunkt richtet sich beispielsweise auf die Entwicklung bedarfsgerechter innovativer Assistenzsysteme für Menschen mit Handicaps. Dabei geht es u. a. um Bekleidung mit Sensoren bzw. Aktoren, Textilien mit Memofunktion, die bei motorischen Störungen die Greiffunktion unterstützen, oder auch um die Klimatisierung von Rollstühlen und Handschuhen. Textile Solargewebe für das energieautarke Monitoring von Körperfunktionen in Medizin, Gesundheit und Sport bzw. zur Energieversorgung von Consumer-Elektronik stehen gegenwärtig ebenso auf dem Plan wie drei weitere „folgenreiche“ Produktentwicklungen:

Textil-Lautsprecher

Der flexible Stereo-Lautsprecher kann beispielsweise Freizeithemden oder Berufsbekleidung zum Sprechen bringen (Sprach- oder Musikausgabe für Handys) oder – eingebaut im Dachhimmel von PKW – sitzplatzbezogene Informationen beispielsweise nur für den Fahrer ermöglichen. Kern des Planarlautsprechers mit einer denkbar großen Anwendungsbreite ist eine auf Stoff gestickte Spule und ein flacher Magnet, der inzwischen auf zwei Millimeter Dicke herunter optimiert wurde.

Flexibles Flächenlicht

Das neuartige Leuchtelement für Sicherheitsanwendungen und Kennzeichnung an Arbeitsschutzbekleidung kommt mit wesentlich weniger Spannung und Wechselstromfrequenzen als marktübliche Produkte aus. Es besteht aus einem mehrschichtigen Polymer- oder Silikonkörper; die aus flexiblen Platinen bestehende Elektronik ist teilweise darin integriert. Durch diesen Ansatz lässt sich die Größe der externen Elektronik verringern. Erste Elemente mit einer Leuchtfläche von 35 x 100 mm wurden inzwischen hergestellt; an größeren Leuchtflächen wird derzeit gearbeitet.

Rauschgift-„Schnüffler“

Fast jeder kennt die „lästigen“ Drogen- und Sprengstoffkontrollen beim Kofferdurchleuchten auf den Flughäfen: Mit einem Spezialpapier wird an Gepäckstücken oder auf der Tastatur von Laptops ein Abstrich gemacht, der dann separat im Labor nebenan ausgewertet wird. Um Zeit zu sparen, will ein Netzwerkmitglied jetzt die Möglichkeiten von Textilelektronik ins Spiel bringen. Entwickelt wird eine Art Wischtuch für den Zoll, dass Nanometer-große Partikel von verbotenen Substanzen aufspüren kann und noch während der Anwendung entsprechende Informationen direkt an den Auswertungs-Computer gibt. Herzstück dieser Innovation ist ultradünne Sensorik, die in die textilen Fäden eingearbeitet werden.

Deutsche Innovationskraft endet vor Markteinführung

Smart Textiles sind ein weltweiter Wachstumsmarkt. Eine Expertise des Europäischen Zentrums für Wirtschaftsforschung prognostiziert bis 20230 allein für Deutschland ein Marktvolumen von 4,2 Mrd. Euro (derzeit 700 Mio. Euro). Hierzulande laufen seit fast 25 Jahren entsprechende Vorlaufforschungen, jedoch tue man sich im Unterschied zu Wettbewerbern aus Asien und den USA mit der Umsetzung in marktbezogene Produkte weiterhin schwer, sagt Netzwerkgründer Klaus Richter. „Uns fehlen nach wie vor Anreizsysteme, um schnell und schlaggkräftig entsprechende Produkte in die Märkte zu bringen.“ Die große und breite Innovationskraft laufe sich leider bei der Umsetzung oftmals tot. Weiteres Mankobereiche seien die noch fehlenden Standards bzw. Zertifizierungen auf EU-Ebene und das Hinterherhinken von Textilmaschinenhersteller, automatisierte Produktionstechniken zur Verfügung zu stellen. 2001 gegründet, gehörte Richters in Chemnitz und Weimar ansässige Gesellschaft für Intelligente Textile Produkte (ITP) zu den weltersten Unternehmen mit Ausrichtung auf smarte Textilien.

Dienstleistungen als Netzwerkzukunft

Wegen des großen Potenzials, das intelligente Textilien vor allem im Industriebereich zum Beispiel an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine haben, will das Netzwerk neben der Produktentwicklung künftig auch zur schnelleren Umsetzung von Ergebnissen aus Forschung und Entwicklung beitragen. „Wir werden uns zum Dienstleister, genauer gesagt zum Systemanbieter für Smart Textiles entwickeln – und das auf europäischer Ebene“, sagt Richter. Es gelte, Firmen für die Produktion großer Stückzahlen Know-how und Technik zur Verfügung zu stellen – beispielsweise Stickerei- und 3D Druck-Kapazitäten.

Das Netzwerk als Wissens- und Erfahrungsplattform für den kooperativen Erfolg hatte seinen Wertschöpfungsansatz gleich zu Beginn des Lockdowns unter Beweis stellen können. Kaum war Covid-19 ausgebrochen, schlossen sich nach Konzept binnen weniger Wochen Hersteller zusammen, die zur Serienproduktion von Masken mit besonderer Funktionalität auch die Expertise anderer Branchen mit ins Boot geholt hatten. Im Falle einer zweiten Welle, so Richter, ließe sich diese Kette sofort wieder aktivieren.

Die im April Corona-bedingt ausgefallene erste internationale Smart Textiles-Konferenz InMotion2021 findet nun voraussichtlich vom 13. bis 14. April 2021 in Weimar statt.