29.04.21 – Mit Textil UN-Nachhaltigkeitsziele erreichen – Teil 2
Wasser ist Leben, Textil ist Teil der Lösung
Wie textile Innovationen bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen helfen.
Wenn Ramona Jasny über ihre Zeit als Master-Studentin an der Hochschule Niederrhein und über ihre Faser-Forschung spricht, ist sie schnell beim Thema Wasser. 17 l Wasser kommen zum Einsatz, um 1 kg Polyester-Fasern herzustellen, referiert die Expertin beim Webinar „Sauberes Wasser – ein Thema von globaler Bedeutung“ des Forschungskuratoriums Textil, FKT, und des Verbandes der deutschen Maschinen- und Anlagenbaus, VDMA. In der Tat gibt es kein anderes globales Gut, das mehr Bedeutung für uns Menschen hat. „Wasser ist Leben und Textil ist ein wichtiger Teil der Lösung, wenn es um das Ziel der Vereinten Nationen geht, dass bis 2030 jeder Mensch Zugang zu sauberem Wasser hat,“ sagt Johannes Diebel, Forschungsleiter beim FKT.
Sechsmal mehr Wasserverbrauch als vor 100 Jahren
- 2,2 Mrd. Menschen haben nach UN-Angaben keinen Zugang zu Trinkwasser. Rund 1,5 Mio. Menschen sterben jährlich durch verunreinigtes Wasser, weil etwa Müll nicht fachgerecht entsorgt wird, sondern in Flüssen und Seen landet, oder weil Abwässer nicht geklärt werden.
- Rund um den Globus wird heute sechsmal mehr Wasser verbraucht als vor 100 Jahren, heißt es im Weltwasserbericht. Bevölkerungswachstum, Wirtschaftswachstum und veränderte Konsumgewohnheiten führten dazu, dass der Wasserverbrauch um etwa 1 Prozent pro Jahr ansteige. Der Klimawandel verschärfe diese ohnehin schon prekäre Lage.
„Bis 2030 wird es möglich sein, bei der Textilproduktion nahezu ohne Wasser auszukommen. Zu diesem Ergebnis sind wir in unserer Zukunftsstudie Perspektiven 2035 gekommen. Speziell in den Bereichen Färben und Ausrüstung werden nachhaltige Prozesstechnologien etabliert sein. Unsere Textilforschungsinstitute leisten dazu einen erheblichen Entwicklungsfortschritt,“ beschreibt Johannes Diebel beim Expertenaustausch mit Wasserwirtschaft und Maschinenbauern die Zukunft, wenn es um innovative textile Lösungen geht.
99 Prozent des Faserabriebs soll in Kläranlagen aufgefangen werden.
Das stellt das Forschungsvorhaben TextileMission der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach unter Beweis. Das Projekt zeigt Wege auf, um die Entstehung von Mikroplastik-Partikeln zu reduzieren und damit die Umwelt zu schonen. Das fängt bei der Herstellung von Textilien und Kleidungsstücken an, die per se eine geringere Mikropartikelemisson aufweisen, und geht weiter über die Optimierung der Kläranlagentechnologie. Über drei Jahre liefen dafür die Waschmaschinen in der Hochschule Niederrhein im Dauerbetrieb.
- 70 g beträgt der Faserabrieb aus Textilwäsche pro Person pro Jahr. Zum Vergleich: Der Gummiabrieb von Autoreifen beträgt ca. 1,2 kg pro Person pro Jahr, also 17 Mal mehr. Während der Abrieb der Autoreifen zumeist direkt in die Umwelt gelangt, wird das Waschmaschinen-Wasser in der Kläranlage gereinigt. 95 Prozent des Faserabriebs werden nach einer Fraunhofer-Studie dort zurückgehalten. Das Ziel ist es, künftig 99 Prozent des Faserabriebs in der Kläranlage aufzufangen.
Auch das Sächsische Textilforschungsinstitut, STFI, beschäftigt sich in mehreren Projekten mit der Wasseraufbereitung. Ein Fokus liegt beispielsweise auf der Gewässersanierung mit Hilfe von biologisch filtrierenden Organismen wie etwa Muscheln, die auf textilen Aufwuchsflächen angesiedelt werden. STFI-Ingenieurbiologe Jens Mählmann sieht den Vorteil gegenüber herkömmlichen Methoden in der sehr wirkungsvollen Eliminierung von Schwebstoffen, Algen oder Bakterien sowie in den um bis zu 400 Prozent höheren Sedimentationsraten.
- „Bei der Sedimentation werden nicht entfernbare Feststoffe am Boden des Gewässers abgelagert“, berichtet Mählmann.
Wie hoch effektiv Textilien bei der Reinigung von Industrieabwässern sind, weiß auch Dr. Thomas Stegmaier vom Deutschen Institut für Textil- und Faserforschung Denkendorf, DITF: „3D-Textilien werden in der biologischen Reinigungsstufe verschiedener Kläranlagen eingesetzt. Sie dienen als Träger für die Biomasse – Mikroorganismen, die für den Abbau der Schadstoffe zuständig sind. Die dadurch gewonnene biologisch aktive Fläche ist gegenüber herkömmlichen Methoden stark vergrößert und damit natürlich wesentlich wirkungsvoller.“
- Nicht nur industrielle Kläranlagen profitieren von den Innovationen des DITF. Auch in kommunalen Kläranlagen oder bei der Regenwasser- und Schwimmbadwasseraufbereitung können diese eingesetzt werden.
Von Käfern lernen: aus Nebel Trinkwasser machen
Thomas Stegmaier kennt sich auch aus, wenn es um Wassergewinnung in den trockensten Landstrichen der Erde geht. Zusammen mit Jamal Sarsour entwickelte er schon vor Jahren einen dreidimensionalen Nebelfänger. Als Vorbild für ihre Erfindung diente ein Käfer, der Nebeltrinkerkäfer, Onymacris unguicularis, aus der Namibwüste. Der Käfer stellt sich in den Morgenstunden mit seinen Hinterfüßen gegen den in der Namibwüste oft vom Meer kommenden Nebelstrom und fängt mit seinem Rücken die Aerosoltröpfchen daraus auf.
Also entwickelten die Ingenieure unter der Verwendung von sogenannten Abstandstextilien eine Polyesterstruktur, bei denen zwei Lagen auf Abstand zueinander gehalten werden.
Aufgestellt wird der dreidimensionale Nebelfänger wie ein Volleyballnetz: etwa 1,5 m über dem Boden wird er zwischen zwei Masten straffgezogen. „Den meisten Nebel gibt es erfahrungsgemäß in der Nacht oder frühen Morgenstunden“, sagt Stegmaier. Aufgefangen wird das Wasser in einer Rinne, die über einen Schlauch in einen Tank geleitet wird und nur noch gefiltert werden muss, um der Bevölkerung als Trinkwasser zu dienen.
- Die Ausbeute der Nebelkollektoren ist standortabhängig: Pro Quadratmeter Gewebe und Tag kann sie zwischen 3 l Wasser in der extrem trockenen Namibwüste und 10 l in den Bergen Eritreas schwanken – vorausgesetzt, es gibt Nebel. Mit Textil das kostbare Nass auffangen – das ist eine der Lösungen aus deutschen Forschungsinstituten.
Aus Wasser Gold fischen
Zukunftsweisend ist auch eine Erfindung, die Industrieabwässer filtert und gleichzeitig kostbare Rohstoffe in den Wirtschaftskreislauf zurückführen kann. Rund 30 mg Gold im Wert von rund 1 Euro stecken in jedem Handy. Bei der Produktion fallen literweise Industrieabwasser mit Restbeständen wertvoller Ressourcen an. Eine Goldgrube für die Textilforschung. Hausbesuch beim Deutschen Textilforschungszentrum Nord-West (DTNW) in Krefeld bei Dr. Klaus Opwis, der als Vater des textilen Urban Minings gilt. Seine Erfindung erscheint zunächst unspektakulär: ein farbloser Stoff, die Oberfläche rau. Glanz erhält die Faser durch das, was an ihr haften bleibt: Gold beispielsweise, das Platin-verwandte Edelmetall Palladium oder die seltene Erde Lanthan. Kostbare Metalle aus Abwässern der Industrie, die bisher ungenutzt bleiben. Die Faser gewinnt sie zurück, damit daraus erneut LED-Leuchten oder Computerbildschirme entstehen.
- Moderne Restverwertung mit textilen Filtern, die gleichzeitig auch das Industrieabwasser reinigen; auch hier zeigt sich, wie Textilien in ganz verschiedenen Anwendungsbereichen der Stoff für ein erfolgreiches Umwelt- und Wassermanagement sind.
„Wir können in Deutschland mit unserer Forschung und Industrie einen wertvollen Beitrag zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen leisten,“ ist FKT-Forschungsleiter Johannes Diebel überzeugt. Der interdisziplinäre Austausch zwischen den Branchen Textilindustrie und Maschinenbau sowie Unternehmen aus dem Bereich Wasser- und Abwassertechnik soll deshalb fortgesetzt und ausgebaut werden. Die deutsche Textilforschung und die Textilindustrie haben noch jede Menge Einfälle, wie sie mithelfen können, das Nachhaltigkeitsziel 6 der Vereinten Nationen umzusetzen.